Kraeuter: Arznei oder Lebensmittel?

In Brandenburg dürfen Bauern keine Kräutertees mehr produzieren und verkaufen. Begründung: Nach dem Arzneimittelgesetz bräuchten sie dazu eine pharmazeutische Ausbildung. Grüne: Damit wird die Verwertung traditionellen Wissens monopolisiert.
Für die taz von MARINA MAI aus Belzig:
Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker, heißt es. Weil er weder Arzt noch Apotheker ist, darf Landwirt Thomas Beutler keine Tees mehr produzieren und verkaufen, die Risiken und Nebenwirkungen haben könnten. Insgesamt elf Kräuter wie Birkenblätter, Malvenblüten, Frauenmantelkraut und Hirtentäschel hat das Brandenburgische Gesundheitsministerium als Arzneimittel statt als Lebensmittel eingestuft. Bauern ist damit die Produktion untersagt. Was wie eine Provinzposse begann, beschäftigt jetzt auch den Deutschen Bundestag. Die bündnisgrüne Abgeordnete Cornelia Behm hat einen schriftlichen Bericht der Bundesregierung über Kräuter vom Bauern angefordert. Auch im Agrarausschuss ist das Thema angemeldet.
Bisher hatte Beutler, der im brandenburgischen Belzig lebt, die Wiesen und Wälder der dünn besiedelten Fläming-Region nach diesen Kräutern abgesucht. Die Tees bot er als regionaltypische Produkte in Touristenshops an. Nicht als Einziger. Auch dem Inhaber eines großen Fruchthofs ist beispielsweise untersagt worden, Zitronenmelisse an Fruchtgelees zu mischen. Beutler wehrt sich juristisch gegen das Verbot. Das Ministerium hat gegen ihn Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz erstattet.
Aus anderen Bundesländern sind keine vergleichbaren Fälle bekannt. Doch Brandenburg hat sich mit einer bundesweiten Umfrage abgesichert: Demnach soll die Mehrheit der Länder die Brandenburger Einordnung der Kräuter als Arznei mittragen.
Das will die Grüne Cornelia Behm nicht einfach hinnehmen. Es könne nicht sein, „dass viele Kräuter, die seit Jahrhunderten ganz selbstverständlich verwendet werden, nicht mehr von kleinen bäuerlichen Betrieben, sondern nur noch von Pharmazeuten produziert und vertrieben werden dürfen“. Der Bericht der Bundesregierung soll in nächster Zeit vorliegen. Behm: „Ob die Brandenburger Praxis dann Bestand hat, wird sich ja zeigen.“
Brandenburgs Gesundheitsstaatssekretär Winfrid Alber (SPD) verteidigt das Kräuterverbot. „Johanniskraut, Weißdornbeeren und die anderen anstehenden Kräuter fallen unter das Arzneimittelgesetz, weil sie bundesweit eine Standardzulassung als Arzneimittel haben“, hatte er im Februar erklärt. Behörden hätten deshalb „keinerlei Ermessensspielraum, einen Vertrieb als Lebensmittel zu gestatten“. Lediglich bei einem verbotenen Kraut, dem Spitzwegerich, sei sein Ministerium zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen und müsse die Rechtslage erneut prüfen. Inzwischen will sich das Brandenburger Gesundheitsministerium zum Kräuterverbot allerdings nicht mehr öffentlich äußern, erklärte eine Sprecherin.
Landwirt Beutler vergleicht seine Situation mit der von Bauern in Staaten der Dritten Welt. „Dort gibt es immer wieder Versuche der Pharmaindustrie, Pflanzen und traditionelles Heilwissen zum Patent anzumelden, um sich ein Monopol zu sichern.“ In Deutschland brauche die Pharmaindustrie nicht einmal ein Patent. „Es reicht eine Standardzulassung als Arzneimittel“, so Beutler. „Dann schaffen Ministerialbeamte den Pharmabetrieben lästige Mitbewerber vom Hals.“
Um Arzneimittel produzieren zu dürfen, benötigt ein Betrieb eine Anzeige beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und eine spezielle Herstellungserlaubnis vom Land. Dazu sind nach Auffassung der Brandenburger Behörden pharmazeutisch ausgebildetes Personal und spezielle räumliche Voraussetzungen erforderlich. Beutler hält diese Investitionen für bäuerliche Kleinbetriebe schlicht für nicht machbar.
taz vom 8.4.2006, S. 8, 121 Z. (TAZ-Bericht), MARINA MAI

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