<u>Hintergrund:</u> Privatisierungswelle im Klinikmarkt rollt weiter
Die Privatisierungswelle bei deutschen Krankenhäusern wird sich 2006 beschleunigen. Wegen des wachsenden Kostendrucks können Städte und Landkreise die oftmals defizitären Kliniken nicht mehr finanzieren, das Geld für notwendige Investitionen fehlt. Die Folge: Öffentlich-rechtliche Krankenhäuser werden geschlossen oder an private Betreiber verkauft. Verbraucherschützer befürchten dadurch freilich eine Verschlechterung der Patientenversorgung. Der Verkauf der Universitätsklinik Gießen-Marburg an den börsennotierten Krankenhausbetreiber Rhön-Klinikum – die erste Privatisierung einer Uniklinik in der Europäischen Union – dürfte erst der Anfang gewesen sein. „In den nächsten zwei bis drei Jahren werden wir verstärkt sehen, dass Krankenhäuser übernommen werden“, sagt Analyst Volker Braun vom Broker Equinet. „Wir haben einen sehr starken Trend in Richtung Privatisierung. Das wird sich 2006 bestätigen“, sagt Christian Cohrs von der HVB. Dabei entdecken mehr und mehr Unternehmen die Branche als attraktiv: Der Gesundheitskonzern Fresenius hatte mit der milliardenschweren Übernahme des Fuldaer Klinikbetreibers Helios für Aufsehen gesorgt, mit der er groß in das Geschäft einstieg. Helios soll erklärtermaßen Plattform für weitere Übernahmen sein.
PRIVATE BETREIBER AUF DEM VORMARSCH
Einer Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) zufolge wird jede zehnte Klinik in Deutschland in den nächsten fünf Jahren schließen. „Es handelt sich dabei um einen normalen und sogar wichtigen Prozess in einer Marktwirtschaft, die sich in einem wandelnden Umfeld ständig neu ausrichten und optimale Strukturen finden muss“, schreiben die RWI-Experten in ihrem „Krankenhaus Rating Report 2006“ (vgl. Executive Summary, pdf). Die Versorgung der Patienten sehen sie nicht gefährdet. Das Institut erwartet, dass es bis 2010 fast so viele private wie staatlich betriebene Häuser gibt. 2004 waren nach den Daten des Statistischen Bundesamtes noch 52,8 Prozent der Krankenhausbetten in Deutschland in öffentlicher Hand, 35,6 Prozent in Krankenhäusern, die von gemeinnützigen Trägern wie den Kirchen betrieben werden. Der Marktanteil privater Betreiber lag – in Betten gerechnet – bei 11,5 Prozent. Dabei sind schon ein Viertel aller Häuser in privater Hand. Dort liegen freilich überwiegend kleinere Einrichtungen mit geringer Bettenzahl. Derzeit sind Helios und Rhön-Klinikum die größten privaten Betreiber deutscher Krankenhäuser. HVB-Analyst Cohrs sieht sie bei Übernahmen in einer starken Verhandlungsposition, da derzeit viele Häuser zum Verkauf stünden, es aber nur wenige mögliche Käufer gebe. „Es ist ganz klar ein Käufermarkt“, sagt auch Braun. „Die öffentlichen Träger versuchen jetzt, die Häuser los zu werden, bevor es schlimmer wird. Es gibt genug für alle zum Verteilen.“ Cohrs schätzt, dass mit der Privatisierungswelle die privaten Betreiber bis 2015 ein Umsatzvolumen von 27 Milliarden Euro kontrollieren – das wären fünf Mal so viel wie 2003.
VERBAND FÜRCHTET UM PATIENTENVERSORGUNG
Interessenvertreter der Patienten befürchten, dass sich die medizinische Versorgung durch diese Entwicklung verschlechtern wird. „An der Privatisierung ist ein Riesennachteil, dass die Aktionäre an den Einnahmen beteiligt werden wollen. Dieses Geld kann dann nicht in die Patientenversorgung investiert werden“, urteilt Wolfram-Armin Candidus, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten (DGVP). Nach seiner Einschätzung werden sich die Kliniken auf profitable Leistungen konzentrieren und andere Leistungen, die etwa sozial schwächere Patienten benötigten, nicht mehr erbringen. „Die Investoren suchen sich die Rosinen aus, kleinere Kliniken werden geschlossen. Damit ist die wohnortnahe Versorgung gefährdet“, sagte Candidus. Er verweist zwar darauf, dass privat betriebene Kliniken oftmals über bessere Managementstrukturen verfügten. „Das macht aber die Qualität nicht besser.“ Am Kapitalmarkt sieht man das anders: Mehr Wettbewerb sorge auch für mehr Qualität in den Krankenhäusern. Davon profitierten die Patienten, auch wenn sie weitere Wege fahren müssten, argumentieren Analysten. Equinet-Analyst Braun erwartet, dass die Patienten zwangsläufig mobiler würden und dahin gingen, wo Qualität angeboten werde. „Da sind die Privaten schon etwas weiter“, sagt er.
Quelle: Reuters, Patricia Gugau, Frankfurt, 28. Dez