Edgardo Lander, Berater des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, über die neue Rolle des Erdölproduzenten Venezuela, darüber, warum die US-Regierung so verärgert ist und warum die EU auch nicht besser ist.
taz: Venezuelas Präsident Hugo Chávez ist einer der wenigen Regierungschefs, die sich offen den USA entgegenstellen. Hat Ihr Land gar keine Angst vor der größten Militärmacht der Welt?
Edgardo Lander: Doch. Wir fürchten langfristig sogar einen militärischen Angriff. Noch sind die USA im Irak gebunden. Aber wenn sie wieder freie militärische Kapazitäten haben, könnte es sein, dass sie sich auf uns konzentrieren.
Weil Präsident Chávez so viel im Fernsehen redet und die USA provoziert?
Weil wir über die größten Ölvorkommen des amerikanischen Kontinents verfügen. Neben dem Irak ist Venezuela eines der wenigen Länder, die ihre Förderung noch steigern können. Leider betrachten die USA seit der Monroe-Doktrin von 1823 Lateinamerika als ihren Hinterhof. Sie glauben daher, dass unsere Ölreserven eigentlich ihnen gehören. Vielleicht wird Venezuela ja bald zu einer Gefahr für die nationale Sicherheit der USA erklärt.
Zur Zeit konzentrieren sich die militärischen Drohungen der USA aber mehr auf den Iran.
Der Iran ist isolierter als Venezuela. Wir haben in den letzten Jahren viel für unsere außenpolitischen Beziehungen getan. Gegenüber anderen lateinamerikanischen Staaten, China und Frankreich. Das macht es den USA schwer, uns zu drohen.
Wovor haben die USA denn Angst?
Die Macht der USA stützt sich ja auf die Sonderrolle des Dollars als weltweite Reservewährung. Wir haben unsere Währungsreserven in Euro umgetauscht. Wenn Länder wie China, Japan oder Saudi-Arabien unserem Beispiel folgen, dann wäre es um die wirtschaftliche Vormachtstellung der USA geschehen. Auch die Art und Weise, wie wir die gesamtamerikanische Freihandelszone (ALCA) sabotiert haben, dürfte die USA sehr geärgert haben. Außerdem hat Venezuelas Souveränität eine Vorbildfunktion für ganz Lateinamerika.
Stört der Führungsanspruch Venezuelas nicht die anderen lateinamerikanischen Staaten?
Im Unterschied zu den meisten anderen Ländern hat Venezuela durch seine Ölvorkommen finanzielle Spielräume. Das drängt uns gewissermaßen in diese Rolle. Früher war Venezuela wie viele lateinamerikanische Staaten eher isoliert. Die neoliberale Wirtschaftspolitik hatte in fast allen Ländern Lateinamerikas den Binnenmarkt zerstört. So ist eine starke Abhängigkeit vom Export entstanden. Da fast alle die gleichen Güter exportierten, müssen sie untereinander konkurrieren. Nur vor diesem Hintergrund versteht man, wie revolutionär unsere Bemühungen um einen lateinamerikanischen Binnenmarkt sind.
Und warum war das all die Jahre vorher nicht möglich?
Weil die herrschende Elite sich eher den USA als Venezuela zugehörig fühlte. Ein Beispiel dafür ist unsere Ölfirma PDVSA. Obwohl sie seit den 70er-Jahren staatlich ist, ging es den liberalen Eliten im Vorstand darum, dem Staat so wenig wie möglich zu geben. Bis 1999 wurde unser Öl zu einem Drittel des Weltmarktpreises, damals 7 Dollar, verscherbelt. Die Ölfirma hatte trotzdem eine Rendite, die zweieinhalb Mal so groß war wie das venezolanische Staatseinkommen. Seit Chávez an der Macht ist, hat er gezeigt, dass er die Verhältnissen wirklich ändern will.
Doch auch heute wird Chávez Populismus vorgeworfen.
Das ist doch die typische Propaganda der Wirtschaftseliten. Wer die Interessen des Volkes vertritt, gilt als Populist. Unsere Regierung stand vor dem Problem, mit einem Staatsapparat agieren zu müssen, der von den alten Kräften durchsetzt war. Das führte dazu, dass wir uns bei unseren Reformen nicht einfach auf die bestehenden staatlichen Institutionen stützen konnten. So schickten wir zum Beispiel einfach ohne direkte Beteiligung des Gesundheitsbehörden tausende kubanische Ärzte in die sozial schwachen Gebiete.
Könnte Europa in diesem Prozess der lateinamerikanischen Emanzipation nicht eine Rolle spielen?
Als der argentinische Staat durch den IWF in die Pleite getrieben wurde, haben sich europäische Firmen leider genauso an der Plünderung öffentlicher Güter beteiligt wie die USA. Spanische Firmen haben den argentinischen Ölkonzern und das Telekommunikationsnetz zu einem Spottpreis aufgekauft. Während Frankreich sich die argentinischen Wasserwerke angeeignet hat. Ich bin daher sehr skeptisch, dass ein wiedererstarktes Europa sich sehr viel anders als die USA verhalten würde.
INTERVIEW: HAUKE RITZ
taz Nr. 7830 vom 26.11.2005, Seite 12, 147 Interview HAUKE RITZ