Ralf Streck: Immer für einen interessanten Hintergrundartikel aus dem spanischsprachigen Bereich gut

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Berliner Buendnis gegen Privatisierung startet drei parallele Volksbegehren

Am Montag, den 18.Juni 2007 gab das Berliner Bündnis gegen Privatisierung den Start dreier paralleler Volksbegehren bekannt. Die Volksbegehren befassen sich mit den Themen „Berliner Sparkasse“, „Berliner Wasserbetriebe“ und „Berliner Hochschulgesetz“.

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….dass es in einer jeden Gesellschaft am Gemeinwohl orientierte Schutzzonen geben muss…

Marburg.1.Mai2007
Hans-Ulrich Deppe

Maikundgebung des DGB am 1. Mai 2007 auf dem Marktplatz von Marburg an der Lahn

Liebe Kollegin, lieber Kollege!
Lassen wir die letzten Jahre Revue passieren: Es gibt ein Phänomen, das in unterschiedlichen Verpackungen immer wieder auftritt und gewerkschaftlichen Protest hervorruft. Das ist die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen. Die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen hat im letzten Jahrzehnt dramatisch zugenommen. Um nur einige aus der Vielzahl herauszugreifen, die einem spontan einfallen: die Post, die geplante Privatisierung der Bahn, kommunale Einrichtungen wie Wasser-, Elektrizitätswerke und soziale Treffpunkte, Krankenhäuser, die Rente, Universitäten oder die Studiengebühren. Unter Privatisierung versteht man die Enteignung öffentlichen Eigentums! Öffentliches Eigentum das meint Einrichtungen, die mit Steuermitteln – also kollektiven Geldern – aufgebaut und eingerichtet wurden, weil sie gesellschaftlich notwendig sind. Sie werden heute abgestoßen, weil sie unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten die Landes- oder kommunalen Haushalt belasten. Natürlich waren die Landes- und Kommunalhaushalte Jahre lang klamm. Das hat sich erst in den letzen Monaten etwas gebessert. Und wo nichts ist, da kann man auch nichts holen. Das ist zwar eine eingehende Logik – nur: Leider ist sie falsch! Denn wir dürfen bei dieser Argumentation nicht stehen bleiben und sie resignativ hinnehmen. Wir müssen vielmehr weiterfragen: Warum sind oder waren die öffentlichen Haushalte solange unterfinanziert? Und das wiederum hängt mit einer Steuerpolitik zusammen, die die Kassen der öffentlichen Haushalte bewusst leer gefegt hat. Ein Steuerpolitik, die die Unternehmen begünstigt und die Bürger belastet. In unserer Republik gibt es Großunternehmen, die heute so gut wie keine Steuern bezahlen, während die Bürger gerade eine drastische Erhöhung der Mehrwertsteuer hinnehmen mussten. Öffentliche Einrichtungen, die einst als soziale Errungenschaften galten und allen in der Gesellschaft zur Verfügung standen, werden nicht im öffentlichen Interesse saniert. Man lässt sie bewusst verkommen oder putzt sie raus, um sie unter Wettbewerbsbedingungen vermarkten und schließlich privatisieren zu können. In der Regel werden sie zu Spottpreisen verschleudert. Die verbleibenden sozialen Kosten, die in jeder Gesellschaft auftreten, werden auf die einzelnen Bürger abgewälzt. Eine solche neoliberale Politik führt zu einer Polarisierung in der Gesellschaft. Die Reichen werden reicher und die Armen werden ärmer. Und damit steigt das Konfliktpotenzial in der Gesellschaft. Das beginnt mit dem Anstieg der Kriminalität auf der Straße und in der Wirtschaft (siehe Siemens!) und geht bis zu kriegerischen Auseinandersetzungen auf globaler Ebene.

Nun – schauen wir uns hier in Marburg unter dem Gesichtspunkt der Privatisierung einmal etwas um. Da fällt einem natürlich sofort die Universität ein. Gegenwärtig werden Lehre und Forschung an den Hochschulen mittels Drittmittelforschung, Stiftungsuniversitäten und privaten Lehrstühlen, Bachelor-Studiengängen und der Einführung von Studiengebühren an den Interessen der Wirtschaft und der herrschenden Politik neu ausgerichtet. Die Kommerzialisierung von Bildung und Wissenschaft wird massiv vorangetrieben. Spielräume wissenschaftlicher Autonomie werden dramatisch verengt. Während der direkte Einfluss der Wirtschaft auf die Hochschulen mittels neuer Steuerungsinstrumente festgeklopft wird, bekommen Kooperationen mit der Zivilgesellschaft, sozialen Bewegungen und Organisationen mehr denn je Seltenheitswert. Aufklärendes Denken und kritische Wissenschaften werden an den Rand gedrängt– und in Marburg darf man noch hinzufügen: Marxistische Theorie wird langsam aber sicher ausgeschlossen!

Die Allein-Regierung der CDU in Hessen hat diese Entwicklung der Privatisierung der Hochschulen mit Macht vorangetrieben. Dabei denke ich an die in Kürze geplante Umwandlung der gesamten Frankfurter Universität in eine Stiftungsuniversität. Weiter geht es um die Einführung der Studiengebühren, die vor allem die sozial Schwachen trifft und auf den heftigen Widerstand der Studierenden gestoßen ist. Und es geht um die Privatisierung der Universitätsklinika von Gießen und Marburg, ihren Verkauf an eine private Aktiengesellschaft. Die Rhön-Klinikum AG hat am 1. Februar 2006 die volle unternehmerische Verantwortung für das Universitätsklinikum Gießen und Marburg übernommen. Hessen hat als erstes Bundesland ein Universitätsklinikum privatisiert. Die von der CDU geführte hessische Landesregierung hat damit Pilotfunktion für die gesamte Republik übernommen.

Es ist aber nicht nur das Universitätsklinikum Gießen und Marburg – auch in anderen Teilen Hessen haben wir Krankenhausprivatisierungen. Ich denke dabei an das Krankenhaus in Langen, an die Schwalm-Eder-Kliniken oder die Privatisierungsgerüchte um das Höchster Krankenhaus in Frankfurt und das Krankhaus Witzenhausen in Nordhessen.

Schauen wir uns einmal an, was die Privatisierung eines Krankenhauses nach innen bedeutet: Als erstes verändert sich das Ziel der Einrichtung. Eine öffentliche Einrichtung ist am Bedarf orientiert und darüber wird demokratisch beschlossen. Deshalb heißt es auch im Hessischen Krankenhausgesetz: „Die Gewährleistung der bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung durch leistungsfähige Krankenhäuser ist eine öffentliche Aufgaben.“(§3) Private Unternehmen haben ein anderes Ziel. Für sie hat die Rentabilität des eingesetzten Kapitals oberste Priorität. Und wie dieses Ziel erreicht werden soll, entscheiden vor allem die privaten Eigentümer. Die Aktionäre – gleich welcher Aktiengesellschaft – wollen eine satte Dividende sehen. Sie interessiert die Höhe der Dividende mehr als die Frage, wie diese zustande kommt.

Als Zweites werden Arbeitsplätze gestrichen. Immerhin betragen die Personalkosten im Krankenhaus etwa zwei Drittel der Gesamtausgaben. So heißt es hierzu in der Jahresbilanz des Deutschen Ärzteblatts zur Privatisierung des Universitätsklinikums Gießen und Marburg: „Leitende Chirurgen (müssen sich) in ´Performance-Gesprächen´ die Frage gefallen lassen, was sie eigentlich den ganzen Tag tun. Ihre Abteilungen stehen plötzlich in Konkurrenz mit (angeblich) vergleichbaren Abteilungen anderer Rhön-Kliniken … (Und) stimmt die ´Performance´ nicht, werden ärztliche Stellen gestrichen.“ Darüber hinaus beklagt das Deutsche Ärzteblatt bei seinen Recherchen eine bisher nicht bekannte Zurückhaltung der Beschäftigten gegenüber Journalisten – und meint: „Was dahinter steckt ist klar. Als börsennotiertes Unternehmen muss die Rhön-Klinikum AG darauf bedacht sein, dass keine Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, die sich negativ auf den Aktienkurs auswirken könnten.“ (DÄ H.9, 2007, S. 453)

Das um sich greifende Rentabilitätsdenken in der Medizin führt zu einer immer stärkeren Kommerzialisierung in der Krankenversorgung. Das äußert sich darin, dass die Effizienz, die wirtschaftliche Kosten-Nutzen Relation, immer mehr in den Vordergrund geschoben wird und auf Teufel komm raus schwarze Zahlen geschrieben werden müssen. Aber die Häufigkeit und Schwere von Krankheiten richten sich leider nicht nach der jeweiligen Finanzsituation. Vom Arzt wird immer nachhaltiger eine messbare Leistung zu einem festgesetzten Preis verlangt. Diese Leistung nimmt zunehmend Merkmale einer Handelsware an, die unter Bedingungen der Konkurrenz erbracht wird. Entsprechend verwandelt sich der Patient immer mehr in einen Kunden, an dem verdient werden soll. Und der beste Kunde ist in der Regel der, an dem am meisten verdient wird. Patienten werden unter solchen Bedingungen dann vielleicht wie „König Kunde“ bedient, aber nicht mehr wie kranke Menschen behandelt.

Die zunehmende Kommerzialisierung ist freilich nicht nur ein Problem für die praktische Medizin. Auch die Forschung am Menschen ist davon betroffen. Ich denke insbesondere an die Forschung, die zunehmend über private Drittmittel finanziert wird und von den Interessen der Geldgeber keineswegs unabhängig ist. Auch hier gilt nach wie vor das Sprichwort: Wer zahlt, schafft an!

Aus dieser Problemlage ergibt sich, dass es in einer jeden Gesellschaft am Gemeinwohl orientierte Schutzzonen geben muss, die nicht der blinden Macht des Marktes und der deregulierenden Kraft der Konkurrenz überlassen werden dürfen. Es ist die oberste Aufgabe des Staates zum Schutz und zur Sicherheit seiner Bürger hier einzugreifen. Erst auf dieser Grundlage lassen sich nämlich Selbstbestimmung und eigenverantwortliches Handeln entfalten. Hier liegen die Freiheit stiftenden Effekte sozialer Sicherheit.

Kommen wir nun zur so genannten Gesundheitsreform. Nach langem Hin und Her hat die Große Koalition aus CDU und SPD ein Gesetz verabschiedet, das am 1. April dieses Jahres in Kraft getreten ist. Trotz zahlreicher Detail-Veränderungen sind die grundlegenden Probleme geblieben. Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz trägt nicht zur Lösung der Finanzprobleme in der gesetzlichen Krankenversicherung bei. Es behebt nicht die bestehenden Gerechtigkeitsdefizite in der Finanzierung der Krankenbehandlung, sondern verschärft diese noch. Das Gesetz schont einseitig die Interessen einflussreicher Lobbygruppen. Ich denke hier besonders an die Pharmaindustrie und die privaten Krankenversicherungen. Und die finanziellen Lasten dieser Politik haben in erster Linie die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen zu tragen. Die Verlierer dieser Reform sind die Kassen und die Versicherten. Insgesamt fällt auf, dass auf die eigentlichen Finanzprobleme der GKV nicht eingegangen wird. Kein Wort wird darüber verloren, dass die neoliberale Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die stagnierenden Erwerbseinkommen und die anhaltende Massenarbeitslosigkeit den Umfang sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung eingedampft haben. Wie wichtig dieser Punkt ist, können wir daran sehen, dass öffentliche Haushalte und gesetzliche Krankenversicherungen schnell wieder liquide werden, wenn die Arbeitslosigkeit – wie in den letzten Monaten – nur geringfügig zurückgeht und sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen. Eine vernünftige Arbeitsmarktpolitik ist also die beste Finanzierungsgrundlage für die GKV. Solange hier keine grundsätzliche Umorientierung stattfindet und die neoliberalen Bedingungen auch weiterhin als unveränderlich akzeptiert werden, ist die nächste Finanzierungskrise der Krankenversorgung vorprogrammiert.

Immer wieder können wir hören, dass die Entwicklung schon weit fortgeschritten sei und dass es dagegen kein Heilmittel gebe. Es handele sich sozusagen um einen Sachzwang, dem man sich beugen müsse. Ohne den zweifellos entstandenen Druck bagatellisieren zu wollen, meine ich aber, dass dieser von Menschen erzeugte Druck auch von Menschen verändert werden kann. Schließlich sind ökonomische Modelle menschliche Konstrukte und keine Naturgesetze.

Kerngedanke eines anderen, gegen die zerstörerische Kommerzialisierung gerichteten Modells ist die Solidarität. Denn Solidarität geht nicht von den Individuen und ihren marktvermittelten Beziehungen aus. Sie beruht vielmehr auf Gemeinsamkeit und Fairness. Solidarität setzt ein Bewusstsein von Gemeinsamkeit und innerer Verbundenheit voraus, das in einer Kultur, einer ethnischen Gruppe oder in einer sozialen Lage mit spezifischen Lebenserfahrungen begründet ist. Wie wir aus der Geschichte wissen, kann Solidarität große Probleme wie Arbeitslosigkeit, Armut oder Rechtlosigkeit bewältigen. Am wirkungsvollsten kommt Solidarität in organisierter Form mit breiter Beteiligung von unten zur Geltung. Und im Gesundheitswesen sind in der Tat gemeinsame Anstrengungen zur Lösung eines gemeinsamen Problems gefragt.

In vielen Ländern zählt gerade die Krankenversorgung zu dem Bereich, in dem Solidarität ein traditionelles Strukturprinzip ist. Sie kommt hier in unterschiedlichen Formen wie Hilfsbereitschaft, Caritas, Diakonie oder Gegenseitigkeit zum Ausdruck. Krankheit ist nämlich ein allgemeines Lebensrisiko, von dem alle betroffen werden können. Und in der Stunde der Not sind Kranke auf Solidarität angewiesen. Auch im deutschen Gesundheitssystem hat Solidarität einen hohen Stellenwert. Es besagt, dass bis zu einer festgelegten Einkommensgrenze Sozialversicherte mit unterschiedlichen Beiträgen einen Anspruch auf gleiche Leistungen im Krankheitsfall haben und dass bestimmte Gesellschaftsgruppen wie Kinder oder nicht berufstätige Ehepartner ohne eigene Beiträge mitversichert sind. Auch die Mitfinanzierung der Krankenversicherung von Rentnern und Arbeitslosen durch versicherungspflichtige Beschäftigte ist in einem erweiterten Sinn der Solidarität zuzurechnen.
Diese Solidarität im Gesundheitswesen ließe sich durch eine Bürgerversicherung ausweiten. Stattdessen wird sie durch den Einsatz neoliberaler Instrumente systematisch zerstört. Bedauernswert ist, dass inzwischen selbst politische Organisationen, die einst ihre Identität aus der Kraft der Solidarität schöpften, sich heute diesem Prozess nicht nur nicht widersetzen, sondern ihn sogar noch unterstützen.

Solidarische Alternativen sind möglich! Im Gesundheitswesen wird dabei an folgende Grundsätze gedacht:
– Die Krankenversorgung ist alleine am medizinischen Bedarf auszurichten.
– Die gesamte Bevölkerung hat freien Zugang zur Krankenversorgung.
– Die medizinischen Leistungen sind für alle gleich, unabhängig von den individuellen finanziellen Möglichkeiten.
– Die Finanzierung erfolgt solidarisch in Form von Steuern oder Beiträgen.
– Gesundheitsförderung hat einen erheblichen Nachholbedarf gegenüber der Krankenversorgung.
Diese Eckpunkte richten sich gegen die Unterwerfung der Krankenversorgung unter die kommerziellen Gesetze des globalen Marktes. Sie stehen für eine Absicherung des sozialen Risikos Krankheit durch die solidarische Bereitstellung öffentlicher Güter. Sie demonstrieren, dass das Prinzip der Solidarität als Alternative zur Privatisierung und Kommerzialisierung der Krankenversorgung möglich ist. Deshalb lohnt es sich auch, für ihren weiteren Ausbau zu kämpfen. Und das gilt nicht nur für die Krankenversorgung, sondern für eine humane Gesellschaft insgesamt, in der soziale Gerechtigkeit und gute Arbeit respektiert werden (Motto).

De-Privatisierungen urbaner Dienstleistungen

Die Welle der Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen ist noch längst nicht abgeklungen. Dennoch nehmen jetzt einige Gemeinden frühere Entscheidungen zurück und geben beispielsweise die Müllabfuhr wieder in die Hände städtischer Eigenbetriebe.

Von Heike Langeberg in: Verdi Publik
http://publik.verdi.de/2007/ausgabe_04/gewerkschaft/brennpunkt/seite_3/A1

Wieder unter das kommunale Dach:
Immer mehr Städte und Gemeinden holen Dienstleistungen zurück

Berlin – Mal ist es die Reinigung, mal sind es die Bauhöfe, dann wieder die Abfallwirtschaft, teilweise auch die Stadtwerke. Während in einigen Kommunen munter weiter auf „Privatisierung“ gesetzt wird, holen sich andere Städte und Gemeinden längst zurück, was sie einst teilweise lautstark ausgegliedert haben. Und damit ist klar: Während der Privatisierungszug vor ein paar Jahren noch nur in eine Richtung fuhr und den Anschein erweckte, als würde er jeden Bereich erfassen, gibt es einen ersten Trend in die andere Richtung.

Rekommunalisierung ist kein Indiz dafür, dass die Städte und Gemeinden finanziell gesehen aufatmen können. Im Gegenteil: Vielen Kommunen steht das Wasser nach wie vor bis zum Hals. In den vergangenen Jahren wurde auf Geldnot mit Ausgliederung reagiert und mit echter Privatisierung. Die Folge: Personal wurde abgebaut – tatsächlich und vor allem auf dem Papier. Denn bei einer Ausgliederung verschwanden mit einem Federstrich oft hunderte Mitarbeiter aus der Personalliste der Kommune. Und mit diesem Federstrich hatten die Kommunen weniger Personalkosten auszuweisen.

Vor allem bei der Abfall-Verwertung, den Krankenhäusern und der Energieversorgung entschieden sich viele Kommunen für die Privatisierung. Hier liegt die Privatisierungsquote bundesweit gesehen bei über 90 Prozent. Demgegenüber liegt die Privatisierungsquote bei den Bauhöfen, den Kitas, den Grünflächenämtern, den Sportstätten oder den kulturellen Einrichtungen mit unter 20 Prozent relativ niedrig.

Mit der Privatisierung verloren die Städte auch politischen Einfluss, der Betrieb entzog sich der öffentlichen Kontrolle. Kritiker der Privatisierung hatten diese Auswirkungen immer wieder vorhergesagt, meist blieben sie ungehört. Doch sie sollten nicht nur bei den Folgen der Privatisierung Recht behalten, sondern auch bei den Kosten. Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass die Privaten letztendlich nicht billiger sind als die kommunalen Dienstleister. Kommunen, die nun rekommunalisieren, haben genau das festgestellt: Die Kommunalen können die jeweilige Dienstleistung ebenso günstig anbieten wie die Privaten – und oft erbringen die kommunalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Leistung besser als die Privaten.

Heißt Rekommunalisierung deshalb, dass alles wieder so wird wie vor der Privatisierung? Nein, das heißt es nicht. Mit dem Zurückholen der Dienstleistung geht in der Regel eine Binnenmodernisierung einher: Die Orientierung an ökonomischen Leitbildern bestimmen nun das betriebliche Handeln. Die Folge: Rationalisierungsreserven werden ausgeschöpft. Oder wie es eine Personalrätin ausdrückte: „Wir konnten die Dienstleistung nur zurückholen, indem wir alle Bereiche, alle Arbeitsschritte optimiert haben.“

Rekommunalisierung ist ein Weg, Arbeitsplätze bei den Städten und Gemeinden zu erhalten und neue zu schaffen. Damit ist auch gewährleistet, dass für die Kolleginnen und Kollegen weiter der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes gilt, dass nicht nur eine gesetzliche, sondern mit der Zusatzversorgung auch eine „betriebliche“ Altersvorsorge gilt.

Rekommunalisierung bedeutet, dass die Daseinsvorsorge weiter in öffentlicher Hand bleibt. Davon profitiert die kommunale Politik durch direkten Einfluss auf die Dienstleistung, ihren Preis und die Qualität. Und das kommt all jenen zugute, die nicht zu den gut und sehr gut Verdienenden gehören.

Im Folgenden dokumentiert die Fachgruppe Beispiele, in denen Kommunen ausgegliederte Bereiche wieder zurück unters das kommunale Dach geholt haben.

http://kommunalverwaltung.verdi.de/themen/rekommunalisierung

Die Frankfurter Rundschau aeussert sich kritisch zu PPP im allgemeinen

„Public-Private-Partnership“ – Partnerschaftliche Zusammenarbeit von Öffentlicher Hand und Privatwirtschaft wird als wundersames Heilmittel gegen die öffentliche Verschuldung und die binnenwirtschaftliche Stagnation propagiert. Stadtkämmerer und Finanzminister atmen auf, weil sie dem Ziel schuldenfreier Haushalte näher rücken, Baufirmen und Elektrokonzerne wittern neue Märkte in den Sektoren öffentlicher Güter, die ihnen bisher verschlossen waren. Faszinierend wirkt die Verheißung, das neue Zusammenspiel sei bürgerfreundlicher, kostengünstiger und leistungsstärker.

Devise Heilmittel
VON FRIEDHELM HENGSBACH

Die Spielarten der Zusammenarbeit sind bunt und schillernd: Öffentliche Einrichtungen werden an Private verkauft, Gebäude werden von Investoren errichtet und von der Kommune gemietet, Investoren kaufen städtische Betriebe und lassen sie von der Kommune zurück mieten, die öffentliche Verwaltung gliedert Tochterfirmen aus, der Staat vergibt Lizenzen an private Betreiber.
Ist die Euphorie für die verheißungsvolle Kooperation von Staat und Privatwirtschaft gerechtfertigt? Nein, erklärt das Fernsehmagazin „Monitor“, nachdem es im Herbst 2006 aufdeckte, dass die Bundesministerien in den vergangenen vier Jahren für 100 Mitarbeiter von Industriekonzernen und Großbanken eigene Büros mit Durchwahl eingerichtet hatten. Diese waren sogar bei der Vorbereitung von Gesetzesvorlagen beteiligt, während sie von den Privatfirmen bezahlt wurden. Die Redakteure von „Monitor“ haben für ihre Recherchen zur Lobbyarbeit im Dunstkreis von Korruption den Adolf-Grimme-Fernsehpreis 2007 erhalten.
Zu einem durchweg negativen Urteil über gängige Formen der privat-öffentlichen Zusammenarbeit kommt auch Werner Rügemer, stellvertretender Vorstandssitzender von „Business Crime Control“, einer Bürger- und Menschenrechtsorganisation gegen Wirtschaftsverbrechen. Er weist nach, dass die ursprünglichen Versprechen einer Privatisierung öffentlicher Aufgaben, etwa die Stabilität der Gas-, Strom- und Wasserpreise nicht eingehalten werden. Die Kosten werden auf die Beschäftigten abgewälzt, ihre Arbeit wird verdichtet, ihr Lohn gekürzt und ihre Arbeitszeit verlängert.

Geheime Verträge
Bei der Bahn, Post und Telekom ist zu sehen, wie Leistungen, die allen Bürgern zugänglich waren, gestrichen werden, während globale Expansion und selektive Bedienung kaufkräftiger Kunden erstes Ziel sind. Die meisten Verträge unterliegen der Geheimhaltung oder sind selbst für Abgeordnete, die entscheiden, undurchsichtig. Deshalb ist die Flucht der Privatfirmen aus der Haftung für Folgekosten normal.
Wie kann verhindert werden, dass die Öffentliche Hand über den Tisch gezogen wird? Die Verträge müssen auf gleicher Augenhöhe und öffentlich ausgehandelt werden. Die Kalkulation sollte auch unter dem „langen Schatten der Zukunft“ stimmen. Eine Sperrklinke gegen die Vermarktung menschlicher Arbeit ist einzubauen. Gesellschaftliche Risiken sollten weiterhin solidarisch abgesichert sein.
Dass Profite in die privaten Kassen fließen, während ein Großteil der Folgekosten auf die Allgemeinheit abgewälzt wird, ist nicht vertretbar. Ein gleicher Zugang zu den Grundgütern: Arbeit, Mindesteinkommen, Gesundheit, Bildung, Mobilität und Kommunikation für alle unabhängig von der Kaufkraft gehören zur Lebensqualität demokratischer Gesellschaften.

Afrikanisches Wassernetzwerk gegruendet

Auf dem Weltsozialforum in Nairobi hat sich im Februar 2007 ein afrikanisches Wasser-Netzwerk (African Water Network) gegründet. Rund 250 Aktivisten verschiedener Organisationen kamen zur Vorstellung der Ziele. »Heute feiern wir die Geburt eines neuen Netzwerkes, um Widerstand gegen den Diebstahl unseres Wassers zu leisten, morgen werden wir den freien Zugang zum Wasser für alle feiern«, so Virginia Setshedi von der »South African Coalition against Water Privatisation«.
Mehr: http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Afrika/wasser.html

Kontakt:
Al-hassan Adam (Ghana Coalition against Privatisation of Water), 0736155485 (from local); 00254 736155485 (from abroad) – from Saturday 20/1, email alhassan.adam@gmail.com.
Anil Naidoo (Blue Planet Project), 0736539620 in Kenya; 001.613.233.2773 after the World Social Forum – email anil@canadians.org.

P/OeG Newsletter Januar 2007

1. Bericht PRESOM
2. Freiburg Bürgerentscheid gegen Privatisierung
3. WSF Nairobi-Berichte (p/ög, U.Brand, P.Wahl)
4. zwei Fragen aus der Newsletter-Redaktion
5. Termine/Konferenzen/Ankündigungen

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1. PRESOM Athens Workshop
————————-

„Privatisation and the European Social Model
(26/27 January 2007)“

Das von der Europäischen Union im 6. Rahmenprogramm geförderte
Forschungsprojekt PRESOM (Privatisierung und das Europäische
Sozialmodell) hat mit einer Tagung in Athen sein zweites Programmjahr
gestartet. Gastgeber war die Nicos Poulantzas Gesellschaft in Athen.
Ziel des PRESOM Projektes ist es, eine wissenschaftlich gesicherten
Einschätzung der Auswirkungen von Liberalisierung und Privatisierung
auf das Europäische Sozialmodell zu erarbeiten.

Zum Auftakt gab es eine Podiumsdiskussion mit griechischen
Gewerkschaftsvertretern, auf der verschiedene Aspekte der
Privatisierungspolitik in Europa erörtert wurden. Jürgen Huffschmid,
einer der Koordinatoren des PRESOM Projektes stellte zunächst die Ziele
und Fragestellungen der Projektes vor. Anschließend gab Malcolm Sawyer
von der Business School der Universität in Leeds einen Einblick in
seine Forschung zu den finanzpolitischen Auswirkungen der
Privatisierungspolitik und argumentierte, dass die Privatisierungen
keineswegs zu einer Entlastung der öffentlichen Haushaltsschulden
führen. Im Gegenteil: gerade in langfristiger Perspektive wird die
Sicherung öffentlicher Infrastrukturen und die Versorgung mit sozialen
Dienstleistungen für die öffentlichen Haushalte teurer, wenn sie von
privaten Anbietern gekauft oder geleast werden müssen. Christoph
Hermann von der Forschungs- und Beratungstelle für betriebliche
Arbeitnehmerfragen (FORBA) in Wien stellte die ersten Überlegungen zum
Europäischen Sozialmodell vor. Problem sei es dabei vor allem, dass der
Begriff einer blackbox gleich von verschiedenen politischen Kräften
gebraucht und mit jeweils eigenen Inhalten gefüllt werde. Insbesondere
die Liberalisierungslobby in der EU gebrauchen den Begriff vor allem
als Instrument um bisher bestehende nationalstaatliche Regelungen
auszuhebeln. Die Linke habe es bisher verpasst, den Begriff des
Europäischen Sozialmodells nach eigenen Vorstellungen zu definieren.
Marica Frangakis, von der Nicos Poulantzas Gesellschaft stellte die
ersten Ergebnisse der PRESOM Forschung vor und differenzierte das
Privatisierungsgeschehen sowohl in zeitlichen Wellen als auch nach
Ländergruppen. Insbesondere unterschied sie ein skandinavisches, ein
west-, ein ost- und ein südeuropäisches Privatisierungsmuster. Karoly
Lorant, ungarischer Abgeordneter des Europaparlaments, gab einen
Überblick zum Privatisierungsgeschehen in den mittel- und
osteuropäischen Ländern. Anders als die Privatisierungsprozesse in
Westeuropa erfolgte der Ausverkauf staatlicher Beteiligungen hier nicht
schrittweise, sondern schockartig im Rahmen einer abrupten
gesellschaftlichen Transformation. Die anschließende Diskussion rankte
sich vor allem um die Gefahren und Perspektiven einer Europäisierung.
Während einerseits vor allem auf die neoliberalen Impulse der
Europäischen Union verwiesen wurden, plädierten andere dafür, die
europäische Ebene stärker als politische Arena zu begreifen und sich
entsprechend mit eigenen Vorstellungen in die Europäisierungsprozesse
einzubringen.

Auf der eigentlichen PRESOM Tagung wurde der erste Jahresbericht
diskutiert und die Ergebnise der ersten drei Arbeitsgruppen (WP 1:
Hintergrund und Geschichte der Liberalisierung und Privatisierung in
der EU; WP 2: Theoretische Ansätze zur Privatisierung; WP 3: Konzepte
des Europäischen Sozialmodells) vorgestellt. Anschließend wurden die
Arbeitspläne für 2007 abgestimmt. Im Vordergrund werden dabei
Untersuchungen in den Sektoren Finanzen, Soziale Dienste
(Gesundheitsversorgung und Rentensystem) sowie Bildung stehen. Parallel
sollen die Privatisierungseffekte in den neuen Mitgliedstaaten der EU
in Osteuropa systematisch untersucht werden. Erste Zwischenergebnisse
sollen bereits in den nächsten Monaten auf verschiedenen Konferenzen
(unter anderen auf der Alternativen EcoFin-Konferenz am 20./21. April
in Berlin) zur Diskussion gestellt werden. Die nächste größere
PRESOM-Tagung wird am 29./30. Juli in Ljubljana (Slowenien)
stattfinden.
http://www.presom.eu/

2. Freiburg: Erfolg gegen Privatisierung durch Bürgerentscheid
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Friedrich Hecker (p/ög-Korrespondent – Freiburg) berichtet: In
Freiburg hat am Sonntag, 12. November 2006, ein Bürgerentscheid
erfolgreich den Verkauf der städtischen Wohnungen verhindert. 41.000
Menschen, d.h. 70,5% der Stimmen, sprachen sich gegen den Verkauf aus
und nur 29,5% dafür. Anfang April hatte der grüne Oberbürgermeister
angekündtigt, die Freiburger Wohnungen zwecks Haushaltssanierung zu
verkaufen. Mögliche Käufer: „Heuschrecken“ wie z.B. Fortress oder
Cerberus, denen es nicht um sozialen Wohnungsbau, sondern nur um
größtmögliche Profite geht. Eine schwarz-grüne Koalition beschloss dann
im Juli den Verkauf. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte schon die
Bürgerinitiative „Wohnen ist Menschenrecht“
(http://www.wohnen-ist-menschenrecht.de) genügend Unterschriften
zusammen, um einen Bürgerentscheid zu erzwingen. Im Wahlkampf
versuchten die Grünen (von Hausbesetzern zu Hausbesitzern geworden) die
Menschen in Freiburg gegeneinander auszuspielen: Schulen z.B. könnten
nur saniert werden, wenn die Wohnungen verkauft würden. Doch die
Menschen ließen sich nicht davon beirren und im Wahlkampf engagierten
sich unzählige, die erstmals in ihrem Leben politisch aktiv waren. Die
Bürgeriniative wurde dabei von Mieterbeiräten, Gewerkschaften und
Stadtteilvereinen genauso wie von lokalen Oppositionsparteien wie SPD,
Die Linke.WASG und der Linken Liste unterstützt. 30 Jahre nach
erfolgreichen Verhinderung eines Atomkraftwerkneubaus in Wyhl haben die
Freiburger erneut gezeigt, daß die Bevölkerung Politik gegen die
Herrschenden durchsetzen kann.

3. WSF Nairobi-Berichte
———————–
Die rls-Veranstaltung zum p/ög-Themenkreis hieß „Die Kommodifizierung
von Wasser: Von sozialer Krise zum Widerstand“: Der gesellschaftliche
Umgang mit Wasser hat vielfältige Auswirkungen auf ärmere Haushalte.
Der Workshops beleuchtete Wasser als umkämpftes, öffentliches Gut aus
der Perspektive des Nordens und des Südens und widmete sich der Frage
wie Wasserversorgung reorganisiert wird um die Akzeptanz durch
neoliberale Konzepte sicherzustellen. Im Zentrum standen verschiedene
Strategien des Widerstands von Aktivitäten gegen die Einführung von
Vorrauszahlungen bis hin zur Infragestellung der Rekommunalisierung des
Wasserverbrauchs.
Mehr zur rls auf dem WSF:
http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=9929&tx_ttnews[tt_news]=703

***

Ulrich Brand berichtete in der Frankfurter Rundschau am 27.1.07:

„Die Netzwerke für eine andere Welt werden dichter“
Das Weltsozialforum 2007 in Nairobi war ein weiterer Schritt zum Aufbau
einer kritischen globalen Zivilgesellschaft. Es wurden Kampagnen für
mehr Gerechtigkeit und Demokratie verabredet.

Die New York Times schrieb vor einigen Jahren, dass sich neben den USA
eine zweite Supermacht herausbilde, nämlich eine globale
emanzipatorische Zivilgesellschaft, deren deutlichster Ausdruck das
jährliche Weltsozialforum sei. Auch wenn diese Einschätzung übertrieben
ist, zeigt sie doch: Die Legitimationskrise des herrschenden
Wirtschaftsmodells ist nicht nur auf dessen für viele Menschen
desaströse Folgen zurückzuführen, sondern auch auf den Protest von
immer mehr Menschen.
Das Weltsozialforum ist ein legitimer Gegenpol zum alljährlich
zeitgleich stattfindenden Weltwirtschaftsforum in Davos. Es ist ein
großer Erfolg, dass das WSF nunmehr zum siebten Mal stattgefunden hat
und zum ersten Mal als Gesamtforum in Afrika. Angesichts der
katastrophalen Lebensumstände vieler Menschen war die Stimmung wütender
als zuvor. Mehr als 10 000 Teilnehmende folgten dem Aufruf, am letzten
Tag 14 Kilometer durch verschiedene Slums zu gehen – für die meisten
ein schockierendes Erlebnis.
Im Zentrum vieler Veranstaltungen stand die Europäische Union und ihre
neoliberalen und militaristischen Weltordnungspolitiken. Die derzeit
verhandelten Economic Partnership Agreements zwischen der EU und vielen
afrikanischen Staaten wurden scharf als neokoloniale Politiken
kritisiert und es wird große Kampagnen von Attac und anderen dagegen
geben. Auch in vielen anderen Bereichen wurden globale Aktionstage und
Kampagnen verabredet.
Eine Diskussion bleibt zentral für die altermondialistischen (für eine
andere Welt eintretenden, Red.) Bewegungen sowie für die praktische
Gestaltung einer anderen Globalisierung. Nämlich über Protest hinaus
Alternativen zu organisieren. Insoweit wären die Bewegungen nicht nur
für die „Aufräumarbeiten“ von neoliberaler und imperialer Zerstörung
zuständig.
Eine Frage wurde häufig gestellt: Soll das Weltsozialforum ein offener
Raum bleiben, in dem sich unterschiedliche Akteure von
Friedrich-Ebert-Stiftung, Kirchen und karitativen NGOs über linke
Gewerkschaften bis hin zu radikalen Basisgruppen treffen? Hier werden
Wissen und Erfahrungen ausgetauscht, Netzwerke geknüpft, Kampagnen
geplant, sich in den je spezifischen Auseinandersetzungen gestärkt.
Insbesondere feministische Gruppen haben über das WSF ihre
transnationalen Netzwerke gestärkt.
Im Vergleich zu früheren WSF gab es in Nairobi wesentlich mehr
Strategietreffen. Da man sich dort häufiger sieht, entstehen jene
Vertrauensverhältnisse, ohne die transnationales demokratisches Handeln
nicht möglich ist.
Ein weitergehender Vorschlag lautet, einen kollektiven Akteur zu
konstituieren, der global agiert. Der senegalesische Wissenschaftler
Samir Amin schlägt die Schaffung einer Fünften Internationale vor. Ein
„neues historisches Subjekt“ sei notwendig. Dies wird scharf
kritisiert: Es sei ein Vorschlag von Intellektuellen, die angeblich
wissen, wo es langgeht. Die Vorstellung eines einheitlichen Subjekts
stehe in der Tradition der autoritären Linken.
Und dennoch trifft die Frage nach einem kollektiven Akteur ein
zentrales Problem: Wie können angesichts der Globalisierung, die
derzeit die ohnehin Stärkeren noch mehr stärkt, Eingriffe in
(welt-)gesellschaftliche Machtverhältnisse gelingen? Gegen Kriege um Öl
und „gegen den Terrorismus“, gegen die enorme Macht des Kapitals, gegen
die wirtschaftlich und ökologisch desaströsen Wirkungen des Weltmarkts,
für eine Stärkung von Demokratie und solidarischer Ökonomie?
Meine Einschätzung ist, dass Alternativen zunächst um konkrete
Konflikte herum organisiert werden. Beispielsweise haben die inzwischen
sehr gut organisierten globalen Bewegungen für Gesundheit, für
Menschenrechte, für Landreform und alternative Landwirtschaft oder für
menschenwürdiges Wohnen Erfahrungen zusammengetragen und daraus
Forderungen entwickelt, die nun in den verschiedenen Kontexten
umgesetzt werden sollen. Die Gewerkschaften unternehmen enorme
Anstrengungen internationaler Vernetzung. Viele internationale
Netzwerke wie jene gegen Wasserprivatisierung oder für das Recht auf
Wohnen haben in Nairobi afrikanische Partner gewonnen.
Entscheidend ist aber, ob und wie über diese konkreten Konflikte hinaus
es möglich wird, grundlegend in politische und ökonomische
Machtverhältnisse einzugreifen. „Eine andere Welt ist möglich!“ –
dieses Motto der altermondialistischen Bewegung verwirklicht sich durch
Bewegungen und Kampagnen, aber eben auch durch sich verändernde
Institutionen, vor allem des Staates und von Unternehmen, inklusive der
Verfügungsrechte über Eigentum.
Dann stellen sich aber weitere entscheidende Fragen: Wie können
emanzipatorische Errungenschaften gesellschaftlich abgesichert werden
und wie können Regeln eines (welt-)gesellschaftlichen Zusammenlebens
entstehen? Welche Rolle spielen hier der Staat, mit dem die meisten
Menschen heute schlechte Erfahrungen machen, und die internationale
Politik? Welchen Stellenwert haben progressive Parteien? Auf diese
Fragen entsteht heute durch Netzwerke und Kampagnen und in konkreten
Konflikten gegen die Macht von Staat und Unternehmen eine erste und
sehr dynamische Antwort.

***

Peter Wahl berichtet über „Licht und Schatten. Eine erste Bilanz des
Weltsozialforums in Nairobi“

Die Bilanz des Weltsozialforums in Nairobi fällt widersprüchlich aus.
Positiv war, dass das Forum in Afrika stattgefunden hat. Es war eine
Schwäche der früheren Sozialforen, dass die afrikanische
Zivilgesellschaft, ihre Themen und Probleme immer stark
unterrepräsentiert waren. Nairobi hat diese Lücke geschlossen. Das
Forum 2007 bot der afrikanischen Zivilgesellschaft die Gelegenheit,
sich als Teil der globalen Bewegung für Alternativen zu den
herrschenden Verhältnissen darzustellen und eine gemeinsame Identität
zu entwickeln. Viele neue Informationen, die Debatten und die
Vernetzung mit anderen haben sicher einen wertvollen Beitrag zu
Stärkung der afrikanischen Zivilgesellschaft leisten können.
Dies gilt zumindest für den anglophonen Teil des Kontinents. Denn auch
in Nairobi war die koloniale Teilung in einen anglophonen und
frankophonen Teil schmerzhaft spürbar. Die Beteiligung Westafrikas war
sehr gering. Damit reproduzierte sich mit umgekehrten Vorzeichen das,
was beim regionalen Forum 2006 in Bamako aufgetreten war.
Auch für Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Industrieländern, die
zum ersten Mal nach Afrika kamen, brachte das Forum wichtige
Erkenntnisse. Was sie sonst nur aus abstrakten Satistiken über Armut
und Elend kannten, wurde greifbar und mit konkreter Erfahrung
aufgefüllt. Denn die Veranstaltungen, die Zeltstadt mit ihren
Infoständen, die vielen informellen Kontakte wurden von den
existentiellen Alltagsproblemen der afrikanischen Realität dominiert –
Hygiene, Wasser, Aids, Gewalt gegen Frauen, Korruption, Verschuldung,
Straßenkinder usw. Die Akteure, die diese Themen repräsentierten, waren
vorwiegend NGOs, darunter in besonders hohem Maße kirchliche Hilfswerke
sowie große, international operierende NGOs.

Verlust an Attraktivität und Ausstrahlungskraft
Über den positiven Aspekten sollten allerdings nicht die Defizite
dieses WSF übersehen werden. Das fängt mit der deutlich geringeren
Beteiligung an. Auch wenn man nicht brasilianische Verhältnisse zum
Maßstab machen will, wo in Porto Alegre übers Wochende einfach mal
100.000 Brasilianer auflaufen, so muss man zur Kenntnis nehmen, dass
selbst die Teilnahme aus den Industrieländern generell geringer war.
Das heißt: an den Reisekosten allein kann es nicht gelegen haben. Die
Attraktivität in die Bewegung hinein ist sichtlich zurückgegangen.
Auch die politische Ausstrahlung nach außen hat spürbar nachgelassen.
Die internationale Medienberichterstattung war geringer und mehr als
früher auch negativ. Das gilt auch für Deutschland. Damit ist eine der
wichtigsten Funktionen der Foren, nämlich weltweit als Gegenpol zum
Weltwirtschaftsforum in Davos wahrgenommen zu werden, deutlich
reduziert. Die poltische Botschaft, die sonst vom WSF in die Welt
gegangen war, ist schwächer geworden.
Dabei spielen sicher auch „natürliche“ Gründe mit hinein. Der Reiz des
Neuen ist nach sieben Jahren verflogen. Und wer seriös Politik macht,
kann nicht permanent das mediale Bedürfnis nach Spektakularität
bedienen. Aber dennoch ist ein Gutteil der gesunkenen Außenwirkung
hausgemacht.

Pluralität muss Produktivkraft werden
So hat die starke single issue-Orientierungauch eine Kehrseite: eine
qualifizierte Weiterentwicklung der Kritik an der Globalsierung als
systemisches Phänomen fand in Nairobi kaum statt. So wurden z.B. die
internationalen Finanzmärkte, die immerhin den Kern des neuen
Akkumulationsregimes (vulgo: Globalisierung) bilden, in gerade mal fünf
Veranstaltungen ausdrücklich thematisiert.
Auch hat sich der Verzicht auf Großveranstaltungen mit prominenten
Bewegungsintellektuellen nicht ausgezahlt. Abgesehen davon, dass es für
die Identitätsbildung einer so heterogenen Bewegung auch solcher
verbindender Elemente bedarf, ist damit ein Stück Außenwirkung verloren
gegangen.
Übrig bleibt dann nur die unverbundene Koexistenz einer Vielzahl von
single issues. Es geht dabei überhaupt nicht darum, die Pluralität und
Offenheit des Forums einzuschränken. Vielfalt ist aber nur dann eine
Stärke, wenn die unterschiedlichen Elemente in produktive Reibung
miteinander treten, wenn Verallgemeinerung, Synthese und gemeinsame
Lernprozesse möglich werden. Ein statisches Pluralismusverständnis
führt hingegen dazu, dass das Forum zumMarkt der Möglichkeitenzerfällt
– mit dem enstprechenden Risiko der Entpolitisierung.
Insofern ist das Format des WSF in Nairobi mitverantwortlich für den
Verlust an Attraktivität nach innen wie nach außen.
Einige Hilfswerke und NGOs haben diese Entwicklung befördert, weil sie
glauben, das sei „ideologiefrei“. Schützenhilfe bekommen sie dabei von
einigen Linken, die aus einem Affekt gegen „die Promis“, den sie für
basisdemokratisch halten, in die gleiche Richtung ziehen.
Hier sind Reformen notwendig. Es kommt darauf an, ein Format zu
entwickeln, das komplementär zu den single issuesVerallgemeinerung
ermöglicht, scheinbar Disparates und Konkretes bündelt und Pluralität
zu einer Produktivkraft werden lässt.

Das Gegenteil eines Fehlers ist meist wieder ein Fehler
Die Versammlung der Sozialen Bewegunghat ein explizit politisches
Selbstverständnis. Sie will – anders als das Gesamtforum – nicht nur
ein Raum sein, sondern einen transnationalen Akteur konstituieren und
Handlungsfähigkeit entwickeln. Sie ist der Kristallisationskern der
Linken innerhalb des Forums und möchte einen bewussten Gegenakzent zur
Mehrheit der NGOs bilden. Allerdings bestätigte die Versammlung in
Nairobi die alte Binsenweisheit, dass das Gegenteil eines Fehlers meist
wieder ein Fehler ist.
Zwar wurde eine Erklärung verabschiedet, in der nichts Falsches steht,
ansonsten bestand das Meeting aber hauptsächlich darin, dass Fäuste
geballt wurden, Amandla Ngawethu,Parolen vom Typus „Hoch die …Weg
mit…“gleich im Dutzend gerufen wurden und zum Teil sektiererische
Kritik am Forum im allgemeinen und „den NGOs“ im besonderen geübt
wurde. Das ist nicht die Alternative zur Entpolitisierungtendenz des
WSF.
Notwendig ist stattdessen, Räume für eine qualifizierte Kritik der
Globalsierung auf der Höhe der Zeit zu schaffen. Auch das wäre im
Format des Forums zukünftig zu berücksichtigen.

WSF und Staat
Zivilgesellschaft und soziale Bewegungen agieren außerhalb des
formellen politischen Systems. Sie versuchen an einem Problemfeld das
Meinungsklima in der Gesellschaft zu beeinflussen, ohne
parlamentarische Vertretung oder Regierungsbeteiligung anzustreben.
Auch wenn es inhaltliche und politische Übereinstimmungen zwischen
Parteien und/oder Regierungen und zumindest Teilen der
Zivilgesellschaft geben kann, folgen beide Akteurstypen in Strukturen
und Dynamik einer unterschiedlichen Logik und spielen gesellschaftlich
verschiedene Rollen. Insofern ist es weise, wenn das WSF auch weiterhin
auf eine gewisse Distanz zu Parteien und Regierungen achtet.
Das WSF 2007 zeigt aber auch, dass die Durchführung eines solchen
Großevents ohne die Unterstützung mindestens einer großen Kommune
äußerst schwierig ist. Bestimmte Schwächen in Nairobi, wie etwa das
Fehlen der angekündigten Übersetzung, sind nicht einfach ein
organisatorischer Mangel, sondern hochpolitisch. Eine globale Bewegung
muss ein Minimum an Kommunikationsgerechtigkeit garantieren. Wenn alles
in Englisch läuft, macht das nicht nur viele sprachlos, sondern
verfestigt auch noch die monokulturelle Hegemonie einer Sprache.
Solange staatliche Unterstützung für das WSF transparent ist und – wie
in Porto Alegre – nicht zu politischer Instrumentalisierung führt, kann
sie akzeptiert werden. Zumal gerade einige der einflussreichsten
Kritiker einer Kooperation mit dem Staat aus NGOs kommen, die selbst
über Staatsknete in der Größenordnung von sechststelligen
Millionenbeträgen zu verfügen pflegen. Insofern kam die Finanzierung
des WSF 2007 zwar nicht von der Kommune Nairobi oder dem Staat Kenia,
aber indirekt doch zu einem erklecklichen Teil aus staatlichen Budgets,
insbes. den Entwicklungs- und Außenministerien Skandinaviens,
Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands etc. oder aus staatlich
eingetriebener Kirchensteuern in den Industrieländern. Darüber sollte
man offen reden, statt mit zweierlei Maß messen.

Ein anderes WSF ist nötig
Das WSF war eine Erfolgsgeschichte. Aber: Wandel und Wechsel liebt, was
lebt. Damit die Erfolgsgeschichte ihre Fortsetzung findet, ist es an
der Zeit, dass das Projekt auf die Veränderungen der Rahmenbedingen
reagiert und sich erneuert.
Dazu gehört nicht nur das Format, sondern auch die Häufigkeit der
Treffen. Der Jahresturnus ist auf Dauer nicht durchzuhalten. Es muss
Raum und Zeit sein, für dezentrale, regionale und lokale Foren. Auch
was den Austragungsort angeht, dürfen früher einmal gefasste Beschlüsse
in Frage gestellt werden. Warum sollte ein WSF nicht auch einmal in
Europa stattfinden können, solange dies nicht zur Dauereintrichtung
wird?
Nötig wären auch Strukturen, die mehr Kontinuität und Kommunikation
zwischen den großen Meetings ermöglichen. Und last but not least
braucht es mehr Transparenz in den Entscheidungsprozessen. Zwar werden
angesichts der vielen praktischen und finanziellen Probleme
internationaler sozialer Bewegung ideale Standards von repräsentativer
und partizipativer Demokratie immer deutlich unterboten werden, aber
etwas mehr an Transparenz, Partizipation und damit Demokratie als
gegenwärtig ist durchaus möglich.

4. zwei Fragen: Venezuela und Irak
———————————-

* Wie läuft die De-Privatisierung der Telekomunikation in Venezuela?
Und vor allem warum läuft sie und wohin läuft sie? Ist das Ziel
Kommunikation für alle und zwar umsonst? Oder geht es um die
Rückeroberung der staatlichen Kontrolle über einen
sicherheitsrelevanten Bereich? Bedeutet die Verstaatlich vielleicht
sogar eine Militarisierung der venezolanischen Kommunikationsbranche?
(vgl. etwa http://www.nzz.ch/2007/01/08/al/newzzEWPEJBL5-12.html und
http://www.ftd.de/boersen_maerkte/geldanlage/150721.html)

* Was machen eigentlich die Ölquellen im Irak? Sprudeln sie einfach so
ruhig vor sich hin – jenseits von Besatzung und Bürgerkrieg? Oder hat
das doch irgendwie beides miteinander zu tun? Und wem gehören die
Quellen jetzt eigentlich – mal ganz formal gesehen? Und ganz praktisch?
Wer kassiert? Und was passiert mit den Petro-Dollars? wird ja wohl
mittlerweile in Dollar abgerechnet, oder? Sonst hätte der Einmarsch ja
gar nichts gebracht…
(vgl. Martina Doering: „Multis sichern sich Pfründe im Irak“ und Greg
Muttitt: „Überproportionaler Anteil am Gewinn“, beides Berliner Zeitung
vom 29.1.07, http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/ )

5. Termine/Konferenzen/Ankündigungen
————————————

Globale Sozial Rechte vs. Neoliberalismus
Diskussionsreihe
1. Was verspricht sich die Linke von der Forderung nach „Globalen
Sozialen Rechten“?
7. 2. 2007, 19.00, Berlin, Haus der Demokratie
http://bewegungsdiskurs.de/html/programm_2007.html#eins

***

Die DHV (Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften) in Speyer
hat ein Forum „Daseinsvorsorge im Spannungsfeld von
Liberalisierungszwang und Demographie“ angekündigt (27. bis 28. März
2007).
http://www.dhv-speyer.de/Weiterbildung/wbdbdetail.asp?id=360

Diskussionsmaterial dazu von Brangsch (Politische Bildung, rls):
„Daseinsvorsorge und Liberalisierung kommunaler Wirtschaftstätigkeit“
http://www.brangsch.de/partizipation/dasein1.htm

***

Im Mai 2007 startet die attacademie.2 mit überarbeitetem Kurskonzept.
Die attacademie ist ein Weiterbildungsprogramm für politisch Aktive aus
der globalisierungskritischen Bewegung mit zwei Schwerpunkten
(Reichtum/Eigentum und Globale soziale Rechte).
http://www.attac.de/attacademie/
Info-Flyer:
http://www.attac.de/attacademie/media/Ausschreibung-Attacademie2.pdf
Bewerbungsschluss ist der 15.04.07

=================

Please support the network.
We like to invite all of you to support this project, to come to the
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With best regards
Dieter Klein: klein-at-rosalux.de
Rainer Rilling: rilling-at-rosalux.de
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rls-ppg@lists.rosaluxemburgstiftung.de
http://lists.rosaluxemburgstiftung.de/mailman/listinfo/rls-ppg

Buch: Wem gehoert das Wasser (Lars Mueller, Schweiz)…

…mit einem Plädoyer: „Das Wasser gehört allen!“ und einer sehr schönen Buch-Promo-Homepage: http://www.wem-gehoert-das-wasser.com/

Aus der Ankündigung: «Die Knappheit an frischem, sauberem Wasser», so heisst es in einem Bericht der Vereinten Nationen, «ist die grösste Gefährdung, der die Menschheit je ausgesetzt war.» Nur dank dem Wasser und vielen seiner rätselhaften Eigenschaften wird das Leben auf der Erde erst möglich. Ohne Wasser gäbe es keine Nahrung, keine Kleidung, es gäbe noch nicht mal die Tinte, mit der die Bill of Rights geschrieben worden ist. Wem gehört das Wasser? erörtert das Phänomen Wasser, staunt über seine Einzigartigkeit und setzt sich mit den Gefahren und den Chancen des Wassers für das Leben auseinander. Das Buch diskutiert die wichtigsten Fragen zur Trinkwasserversorgung und Nahrungsmittelproduktion, verhandelt Wasser aber auch als zerstörerische Kraft und erforscht die chemischen Eigenschaften des Moleküls. Wem gehört das Wasser? weist auf die Risiken einer ungehemmten Privatisierung des Wassers hin und dokumentiert, wie die Abhängigkeit vom Wasser politisch ausgenutzt wird. Engagierte Bildfolgen und ausführliche Texte erläutern, wieso das Wasser niemandem gehören kann, sondern der Verantwortung und Wertschätzung der gesamten Menschheit untersteht.

Herausgeber: EAWAG (eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz) und Lars Müller

Link direkt zum Katalog:
http://www.lars-mueller-publishers.com/d/katalog/ausgaben/set.php

Elektrizitaet, Waerme und Wasser fuer alle

In Belgien gibt es ein einzigartiges Modell: Dort bekommt jeder eine Mindestmenge Energie und Wasser kostenlos. Das dient den Menschenrechten, der Umwelt und dem Bürokratieabbau.
Wäre der Kindstod von Sömmerda vermeidbar gewesen, wenn man der Mutter nicht den Strom abgeschaltet hätte? / Das Modell Belgien

Der allein erziehenden Mutter in Sömmerda wurde, als sie ohnehin mit dem Rücken an der Wand stand, der Strom abgestellt, was die Überforderung noch erheblich steigerte. Vor die Wahl gestellt, nun mit den schreienden Kindern in geschlossenen Räumen im Dunkeln zu leben oder sich dieser Tortur zu entziehen, entfloh sie zu einer Freundin und überließ die Kinder ihrem Schicksal. Dass die Entscheidung der Elektrizitätswerke die Straftat der Mutter und den Tod des Kindes wesentlich beförderte, kann kaum bestritten werden. Kann oder muss man sogar von einer Mitschuld der Elektrizitätswerke am Tod des Kindes sprechen?

Der Präsident des Kinderschutzbundes, Micha Hilgers, kritisierte, dass das Jugendamt die Mutter mit den kleinen Kindern in die dunkle Wohnung zurückschickte, statt ihr die Kinder wegzunehmen. Der Mutter allein oder einem alten Menschen könnte man den Strom also abstellen? Auf dass ein 80-Jähriger hinfällt und sich das Nahezu-Todesurteil eines Oberschenkelhalsbruchs zuzieht? Will die Gesellschaft, dass das Recht auf ein menschenwürdiges Leben derart „teilbar“ ist?

Ist es akzeptabel, dass die GASAG in Berlin, wie geschehen, bei 10 Grad minus Außentemperatur einer alten Frau wochenlang das Gas abstellt, weil sie die Rechnung nicht bezahlen kann? Welche Möglichkeiten hat eine derart in die Enge getriebene Frau? Emotional und real? Die Scham angesichts dieser Entscheidung der Versorgungswerke grenzt die Handlungsoptionen enorm ein. Mit welcher plausiblen Begründung könnte sie sich für den Rest des Winters bei Freunden oder Bekannten einquartieren? Wen könnte sie um Zahlung der Schulden bitten? Im Berliner Fall kapselte die Frau sich ab und versuchte die fehlende Raumwärme mit Hochprozentigem zu ersetzen. Was die Situation erst recht zur Eskalation brachte.

Die entscheidende Frage ist, ob Verbraucher und Gesetzgeber ein Mindestmaß an Wasser, Elektrizität und Wärme als Teil des Rechts auf menschenwürdiges Leben ansehen, das die Verfassung jedem garantiert.

Der belgische Sozialist und Umweltminister Bruno Tobback hat in Belgien ein System eingeführt, das die OECD als weltweit bestes Modell sozialen Ressourcen-Managements bezeichnet. Beispiel Wasser: Jeder bekommt pro Kopf eine Mindestmenge kostenlos. Der Verbrauch über dieses Mindestmaß hinaus ist dagegen sehr teuer und finanziert den Verbrauch der Mindestmengen insgesamt (den der Armen und der Reichen) mit.

Dieses System hat vier Vorteile:

-Niemandem wird Strom oder Wasser abgestellt, die Mindestmenge für menschenwürdiges Leben ist garantiert.

-Da höherer Verbrauch sehr teuer ist, enthält das System einen starken Anreiz zu ressourcenschonendem Verhalten.

-Da Arme innerhalb des Kontingents nicht belastet werden, ist es möglich, nach und nach alle Umweltkosten in die Preise zu internalisieren.

-Das System erfordert keinerlei bürokratischen Aufwand, sondern würde die Ämter in Deutschland vermutlich sogar entlasten.

Sowohl sozial- als auch umweltpolitisch ist die Einführung dieses Modells sehr wünschenswert. Wenn es im Zuge der Hartz-Gesetze politisch möglich war, Höchstgrößen für Wohnungen festzulegen, dann sollte es ein Leichtes sein, Mindestmengen für Wasser, Strom und Wärme festzulegen und für alle dauerhaften Zugang sicherzustellen.

Übrigens sollte man auch überlegen, ob die zunehmende Zahl isoliert lebender Menschen einen kostenlosen Festnetzanschluss in allen Wohnungen notwendig macht, damit alte Menschen, Verletzte oder Kinder zumindest einen Notdienst rufen können. Bei erwiesener Zahlungsunwilligkeit oder -unfähigkeit kann man technisch alle anderen Wahlmöglichkeiten außer dem Rettungsdienst kappen. Die deutsche Gesellschaft altert, aber anders als heute werden in 20 Jahren unter den Alten sehr viele Arme sein. Menschen, die sich kein Handy leisten können. Viele 40- bis 60-Jährige leben zudem gewollt oder ungewollt heute so, dass sie absehbar im Alter ohne Verwandte und sogar ohne engen Freundeskreis sein werden. Die Zahl isolierter Menschen wird zunehmen: Selten gesehene Hausbewohner, bei denen niemand bemerkt, dass ihre Situation auf Grund der Entscheidung profitorientierter Versorgungswerke immer „prekärer“, d. h. menschenunwürdiger wird.

Interessant ist die Frage, weshalb die Verbraucherzentralen sich bisher für Modelle wie das belgische nicht stark machen. Leider fungieren sie – noch mehr als Gewerkschaften – als Interessenvertretungen der Privilegierten. Derer, die verbrauchen können und die möglichst hohe Qualität für ihr Geld wollen. Wann treten sie auch für die Zugangsrechte derer ein, die nicht verbrauchen können?

Die Verbraucherzentralen hätten die Macht, die Einführung des belgischen Modells enorm zu beschleunigen. Sie müssten lediglich eine Aufklärungskampagne mit Zahlungsboykott organisieren. Schließlich gibt jeder, der zulässt, dass Vattenfall, EnBW, GASAG und andere Versorgungsdienstleister monatlich abbuchen, damit stillschweigend seine Zustimmung zu deren Geschäftpraxis, Zahlungsunfähigen den Netzanschluss zu kappen. Ein einmonatiger Verbraucherboykott könnte ein weiteres Sömmerda bedeutend unwahrscheinlicher machen.

Der jetzige Zustand aber befördert, dass Eltern in menschenunwürdige Situationen gestellt und überfordert werden, so dass Kinder sterben. Der jetzige Zustand befördert, dass alte Menschen an Alkoholvergiftung sterben. Dass sie sich vor Verzweiflung aufgeben und still verdursten oder verhungern, weil sie nur noch im Bett liegen und bewusst nichts mehr zu sich nehmen.

Auch zur Weihnachtszeit 2006 wird es diese Todesfälle, Selbstaufgaben und stillen Selbstmorde geben, für die die Gesellschaft insgesamt und der Gesetzgeber die Verantwortung tragen.

STEFANIE CHRISTMANN

URL: http://www.frankfurter-rundschau.de/in_und_ausland/politik/meinung/standpunkte_aus_der_zeitung/?em_cnt=1037888
Letzte Änderung am 22.12.2006 um 18:27:04 Uhr
Erscheinungsdatum 23.12.2006

Die Vorteile einer Grundversorgung: Elektrizitaet, Waerme und Wasser fuer alle!

Die entscheidende Frage ist, ob Verbraucher und Gesetzgeber ein Mindestmaß an Wasser, Elektrizität und Wärme als Teil des Rechts auf menschenwürdiges Leben ansehen, das die Verfassung jedem garantiert.
Der belgische Sozialist und Umweltminister Bruno Tobback hat in Belgien ein System eingeführt, das die OECD als weltweit bestes Modell sozialen Ressourcen-Managements bezeichnet. Beispiel Wasser: Jeder bekommt pro Kopf eine Mindestmenge kostenlos. Der Verbrauch über dieses Mindestmaß hinaus ist dagegen sehr teuer und finanziert den Verbrauch der Mindestmengen insgesamt (den der Armen und der Reichen) mit.
Dieses System hat vier Vorteile:
-Niemandem wird Strom oder Wasser abgestellt, die Mindestmenge für menschenwürdiges Leben ist garantiert.
-Da höherer Verbrauch sehr teuer ist, enthält das System einen starken Anreiz zu ressourcenschonendem Verhalten.
-Da Arme innerhalb des Kontingents nicht belastet werden, ist es möglich, nach und nach alle Umweltkosten in die Preise zu internalisieren.
-Das System erfordert keinerlei bürokratischen Aufwand, sondern würde die Ämter in Deutschland vermutlich sogar entlasten. 
Sowohl sozial- als auch umweltpolitisch ist die Einführung dieses Modells sehr wünschenswert. Wenn es im Zuge der Hartz-Gesetze politisch möglich war, Höchstgrößen für Wohnungen festzulegen, dann sollte es ein Leichtes sein, Mindestmengen für Wasser, Strom und Wärme festzulegen und für alle dauerhaften Zugang sicherzustellen.
Übrigens sollte man auch überlegen, ob die zunehmende Zahl isoliert lebender Menschen einen kostenlosen Festnetzanschluss in allen Wohnungen notwendig macht, damit alte Menschen, Verletzte oder Kinder zumindest einen Notdienst rufen können. Bei erwiesener Zahlungsunwilligkeit oder -unfähigkeit kann man technisch alle anderen Wahlmöglichkeiten außer dem Rettungsdienst kappen. Die deutsche Gesellschaft altert, aber anders als heute werden in 20 Jahren unter den Alten sehr viele Arme sein. Menschen, die sich kein Handy leisten können. Viele 40- bis 60-Jährige leben zudem gewollt oder ungewollt heute so, dass sie absehbar im Alter ohne Verwandte und sogar ohne engen Freundeskreis sein werden. Die Zahl isolierter Menschen wird zunehmen: Selten gesehene Hausbewohner, bei denen niemand bemerkt, dass ihre Situation auf Grund der Entscheidung profitorientierter Versorgungswerke immer „prekärer“, d. h. menschenunwürdiger wird.
FR vom 23.12.2006