Gute Vorsätze für’s neue Jahr

Zum Jahreswechsel ist mir die skurrilste Liste an guten Vorsätzen für’s neue Jahr unter gekommen, die ich seit langem gesehen habe. Mit dabei…

Sich rasieren (guter Vorsatz Nr. 4)
Viel Radio hören (guter Vorsatz Nr. 14)
Nicht einsam werden (guter Vorsatz Nr. 17)
Den Faschismus schlagen (guter Vorsatz Nr. 27)
Aufwachen und kämpfen (guter Vorsatz Nr. 33)

Wer errät, von wem die Liste stammt?!?

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Buchkritik: Marlies Mattern – Ein Feld der Ehre

Marlies Mattern: Ein Feld der Ehre
Es ist ein Zufall: Just in dem Moment, wo ich mich mit dem ersten Aufeinandertreffen der Roten Ruhrarmee mit dem Freikorps III. Marinebrigade von Loewenfeld am 26. März 1920 in dem westmünsterländischen Dorf Raesfeld zu beschäftigen begann, erscheint der Kriminalroman Ein Feld der Ehre von Marlies Mattern, dessen Handlung exakt vor dieser historischen Kulisse angesiedelt ist. Ich war gespannt.

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Umsonstkultur offline

Wer in Berlin wohnt oder zu Besuch ist, kann derzeit fünf nur Fußminuten auseinanderliegende, höchst unterschiedliche aber sehenswerte Fotoausstellungen besuchen – alle umsonst.

Neben der Dauerausstellung ist noch bis zum 8. Januar 2012 in der Topographie des Terrors die Sonderausstellung „Vor aller Augen“ – Die Deportation der Juden und die Versteigerung ihres Eigentums: Fotografien aus Lörrach, 1940 zu sehen:

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Propaganda mit der Leiche

Marlies Mattern: Ein Feld der Ehre
Eigentlich wollte ich im Rahmen meiner kleinen Reihe zur Märzrevolution 1920 eine Rezension von Marlies Matterns Kriminalroman „Ein Feld der Ehre“ schreiben (und mache das bald auch noch), bin allerdings schon an seiner Oberfläche hängengeblieben und versuche mich nun erstmal im unterschätzten Genre der Buchcoverkritik.

Matterns Buch spielt – soviel sei zur Einordung doch gesagt – in den letzten Märztagen des Jahres 1920 in einem kleinen westmünsterländischen Dorf namens Raesfeld und verwebt einen fiktiven Mord mit tatsächlichen historischen Ereignissen. Traf doch am 26. März die Rote Ruhrarmee dort erstmals auf das putschistische Freikorps III. Marinebrigade von Loewenfeld (welches allerdings jetzt im Regierungsauftrag handelte). Raesfeld wurde zu einem Schauplatz des Weißen Terrors, an dem wenigstens 60 Ruhrarmisten starben, wobei mindestens 25 von ihnen als Gefangene oder Verwundete exekutiert wurden.

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Die Legende vom „Roten Terror“ am Essener Wasserturm

Wasserturm Steeler Berg

Der Essener Wasserturm in den 20er Jahren; Quelle: Wikipedia

Die vielleicht hartnäckigste Legende vom „Roten Terror“ während der Märzrevolution 1920 rankt sich um den Kampf um den Essener Wasserturm am 19. März 1920. Erhard Lucas schreibt dazu:

Die Arbeiter hatten die Stadt in der Hand – bis auf einen Punkt, den Wasserturm im Ostpark am Steeler Berg (Südosten der Altstadt). Die Besatzung – 24 Mann Einwohnerwehr und 22 Mann Sipo [Sicherheitspolizei] – ergab sich nicht. Das, was sich nun hier in den folgenden Stunden abspielte, wurde für die bürgerliche und später die nationalsozialistische Geschichtsschreibung das Paradebeispiel für die sadistischen Greueltaten der „Roten Armee“. Immer wieder wurde es erzählt: Nach stundenlanger Belagerung zeigt die tapfere kleine Besatzung schließlich die weiße Fahne und tritt dann mit erhobenen Händen aus dem Gebäude – da stürmt eine wilde schreiende Horde die Freitreppe hinauf und schießt, schlägt und sticht in entfesselter Mordlust auf die Wehrlosen ein. Wer dem Gemetzel zu entfliehen versucht, wird ebenfalls niedergeschossen. Nur 6 Mann kommen mit dem Leben davon. Ein unwiderleglicher Beweis – so hat es sich seitdem allgemein im Bewußtsein festgesetzt –, daß der ganze Ruhraufstand nichts anderes war als der Aufstand der „rohen und vertierten Masse“.

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Lucas lieferbar

Cover Lucas Arbeiterradikalismus
Neulich habe ich mich über den Versandbuchhändler Lehmanns geärgert. Zum wiederholten Mal erhielt ich nach einer Buchbestellung am folgenden Tag eine automatische Mail die bedauernd feststellte, daß das Buch leider nicht lieferbar sei. Es handelte sich um keineswegs kürzlich erschienene Bücher und ich vermutete irgendeine automatische Anzeigenerstellung dahinter, die längst ausverkaufte Exemplare auf gut Glück als lieferbar ausweist und schrieb Lehmanns eine leicht verärgerte Email.

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NS-Opfer entschädigen!

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag verhandelt vom 12. September an über eine Klage Deutschlands, die zum Ziel hat, Entschädigungsansprüche von griechischen und italienischen NS-Opfern endgültig abzuwehren. Wer an der Gerichtsverhandlung in den Niederlanden teilnehmen möchten, hat nur noch heute die Gelegenheit, sich beim Gericht anzumelden.

Vor Ort gibt es am Vortag des ersten Verhandlungstags eine Informations- und Diskussionsveranstaltung und am ersten Verhandlungstag eine Kundgebung.

In Berlin findet am Freitag, den 9. September um 11 Uhr eine Kundgebung vor dem Auswärtigen Amt statt (Werderscher Markt 1). Alle weiteren Infos und Hintergründe finden sich hier.

Ohne Kirche keine Hölle

Wem gehören Körper und Geist?
Eine offene Stadt wie Berlin sollte sich von einem rechtskonservativen und homophoben Papst, der im September mit seiner menschenverachtenden Politik auf große Deutschland-Tournee geht, deutlich distanzieren. Konkret: Am 22. September wird Joseph Ratzinger im Bundestag eine Ansprache halten und danach mit über 60.000 Anhänger_innen ein Abendmahl im Berliner Olympiastadion zelebrieren. Die Anti-Papst-Bündnisse „Der Papst kommt!“ und „Not welcome“ rufen seit mehreren Wochen zu einer Demo gegen die Auftritte dieses alten Mannes auf, wobei die Route der Demo u.a. am Bundestag vorbei gehen sollte, zeitlich parallel zur dortigen Papstansprache. Diese Route ist von den Behörden nicht genehmigt worden. Daher wird von verschiedensten Intitiativen jetzt erst recht zur Teilnahme an dieser Demo aufgerufen. Es ist ein Skandal, dass der Papst seine menschenverachtende Politik in den Bundestag tragen wird und gleichzeitig gegen diesen Auftritt direkt am Bundestag nicht demonstriert werden darf. Denn war da nicht mal was mit Trennung von Staat und Kirche? Mehr im Aufruf von FelS und Avanti zum Papstbesuch in Berlin (.doc)

’s brent! – 1. und 3. September in Berlin

Brennende Synagoge in Litauen, Juni 1941, Bundesarchiv, Bild 183-L19427, Zoll, cc-by-sa

Hier hatte ich nebenbei schon einmal darauf hingewiesen, nun also die gesamten Infos zu einer zweiteiligen Veranstaltung des Bildungswerks für Friedensarbeit e.V.:Unter dem Titel ’s brent! – Faschismus, Widerstand und Gedenkpolitik in Litauen und Deutschland (Flyer als pdf) hat das Bildungswerk einige interessante Referenten eingeladen: an erster Stelle sicher die ehemalige jüdische Partisanin Fania Brantsovskaya, die am 1. September über ihre Zeit im Vilnaer Ghetto und bei den Partisanen spricht. Zusätzlich schildert der Historiker Christoph Dieckmann die Vorgeschichte des Holocaust in Litauen, dessen weitere Etappen, sowie die Rolle der Besatzer und litauischen Kollaborateure.

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Wem gehört die Erinnerung an die Märzrevolution 1920?

Märzrevolution 1920Wer immer sich ernsthaft mit der Märzrevolution 1920 beschäftigen möchte, wird an dem gleichnamigen dreibändigen Werk von Erhard Lucas nicht vorbeikommen. Wer erstmal wissen will, worum es sich bei diesem „größten bewaffneten Aufstand in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“1 überhaupt handelt, ist mit dem Artikel, den er 1990 in Schwarzer Faden veröffentlichte, gut bedient.

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  1. Erhard Lucas im Vorwort zu: Ludger Fittkau, Angelika Schlüter (Hg.), Ruhrkampf 1920 – die vergessene Revolution, Essen 1990, S. 10 []

„Der Wagen hat sich bewegt.“

Widerstandskämpfer der Fareinikte Partisaner Organisatzije

Widerstandskämpfer der Fareinikte Partisaner Organisatzije, Quelle: Wikipedia

Das sagt Fania Brantsovskaya, die als Partisanin im Wilnaer Ghetto und im Rudnicker Wald gekämpft hat und – nebenbei bemerkt – am 1. September in Berlin zu erleben sein wird (ich werde zur rechten Zeit hier darauf hinweisen). Bewegt hat sich etwas, der Erfolg bleibt aber bescheiden: die Jüdischen Gemeinden Litauens, die vor dem Zweiten Weltkrieg Eigentum im Wert von etwa 100 Millionen Euro besaßen, werden nun mit 350.000 Euro vom litauischen Staat entschädigt. Wer polnisch versteht, kann hier sicher mehr erfahren, ansonsten kann man den Beitrag mit Fania Brantsovskaya im Deutschlandfunk nachhören.

Update
Kleiner Unterschied: DRadio Wissen spricht statt von 350.000 Euro von 37 Millionen Euro. Dann hätte sich der Wagen nicht nur symbolisch bewegt.

Ungern in Ungarn

Budapest, Festnahme von Juden

Festnahme jüdischer Frauen im Oktober 1944 in Budapest, Quelle: Wikipedia

Der Leiter der Budapester Holocaust-Gedenkstätte, Laszlo Harsanyi, ist auf Druck der Fidesz-Regierung entlassen worden. „Grund“ ist ein fadenscheiniger Bilderstreit, tatsächlich will die Fidesz-Regierung das faschistische Regime um Miklós Horthy in ein besseres Licht rücken (jW berichtete). Imre Kertész hatte den ungarischen Antisemitismus 1997 so beschrieben:

Die an einem Vaterkomplex leidende, sadomasochistisch perverse osteuropäische Kleinstaatenseele kann, wie es scheint, nicht ohne den großen Unterdrücker leben, auf den sie ihr historisches Missgeschick abwälzt, und nicht ohne Sündenbock der Minderheiten, an dem sie all den Hass und all das Ressentiment, das der tagtägliche Frust erzeugt, abreagiert. Wie soll einer, der permanent mit seiner spezifisch ungarischen Identität beschäftigt ist, ohne Antisemitismus zu einer Identität gelangen? Was aber ist das ungarische Spezifikum? Zugespitzt formuliert, lässt es sich nur durch negative Charakteristika bestimmen, deren einfachstes – redet man nicht um die Sache herum – so lautet: Ungarisch ist, was nicht jüdisch ist. Nun gut, was aber ist jüdisch? Das ist doch klar: was nicht ungarisch ist. Jude ist der, über den man in der Mehrzahl reden kann, der ist, wie die Juden im allgemeinen sind, dessen Kennzeichen sich in einem Kompendium zusammenfassen lassen wie die einer nicht allzu komplizierten Tierrasse (dabei denke ich natürlich an ein schädliches Tier, das – schiere Irreführung – ein seidiges Fell hat) usw.; und da „Jude“ im Ungarischen zum Schimpfwort geworden ist, macht der als Kollaborateur ehrenhaft ergraute politische Redner und schnell gebackene Ungar einen Bogen um den heißen Brei und benutzt das Wort „Fremder“ – doch weiß jedermann, wer gegebenenfalls seiner Rechte beraubt, gebrandmarkt, geplündert und totgeschlagen wird.1

 

  1. zitiert nach dem Essay „Der Antisemitismus in Ungarn. Nur Polit – Folklore?“ von Magdalena Marsovszky []

Man schaffe den Besitz ab

Einstein - hoch im Kurs, Foto: Arndt Beck
„Das kleine Einstein“1, wie Franz Blei den Schriftsteller und Kunsthistoriker Carl Einstein einmal nannte, hat zu Beginn der Weimarer Republik einige Zeitschriften veröffentlicht, die meist nur wenige Nummern währten und so hübsche Namen wie Die Pleite oder Der blutige Ernst trugen. Letztere warb für sich so:

Wir arbeiten nicht für eine literarische Klique, nicht für eine einzelne Partei, wir gehen in die breite Masse des Volks. „Der blutige Ernst“ nagelt die Krankheiten Europas fest, verzeichnet den restlosen Zusammenbruch des Kontinents, bekämpft die tödlichen Ideologien und Einrichtungen, die den Krieg verursachten, stellt den Bankerott der abendländischen Kultur fest.2

Die Iowa Digital Library, die unter anderem eine beachtliche Dada-Sammlung bereithält, bietet auch den Zugang zu einigen von diesen raren Zeitungsexemplaren. Und so kann man etwa Einsteins manifestähnlichen Text Man schaffe den Besitz ab3 dort nachlesen.

  1. Franz Blei, Bestiarium Literaricum, das ist: Genaue Beschreibung derer Tiere des literarischen Deutschlands verfertigt von Dr. Peregrin Steinhövel, München 1920, S. 20, auch in: Rolf-Peter Baacke (Hg.), Carl Einstein, Materialien, Band 1, Berlin 1990, S. 176 []
  2. http://digital.lib.uiowa.edu/u?/dada,28922 []
  3. oder auch hier: Carl Einstein, Werke, Band 2 (1919-1928), Berlin 1981, S. 17f. []

Denk mal!

Denkmale haben außer der Eigenschaft, daß man nicht weiß, ob man Denkmale oder Denkmäler sagen soll, noch allerhand Eigenheiten. Die wichtigste davon ist ein wenig widerspruchsvoll; das Auffallendste an Denkmälern ist nämlich, daß man sie nicht bemerkt. Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler. Sie werden doch zweifellos aufgestellt, um gesehen zu werden, ja geradezu, um die Aufmerksamkeit zu erregen; aber gleichzeitig sind sie durch irgend etwas gegen Aufmerksamkeit imprägniert, und diese rinnt Wassertropfen-auf-Oelbezug-artig an ihnen ab, ohne auch nur einen Augenblick stehenzubleiben.

Dies stellte der Schriftsteller Robert Musil in seinem Nachlaß zu Lebzeiten mit bemerkenswerter Klarsicht fest. Und weiter:

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