Neulich habe ich mich über den Versandbuchhändler Lehmanns geärgert. Zum wiederholten Mal erhielt ich nach einer Buchbestellung am folgenden Tag eine automatische Mail die bedauernd feststellte, daß das Buch leider nicht lieferbar sei. Es handelte sich um keineswegs kürzlich erschienene Bücher und ich vermutete irgendeine automatische Anzeigenerstellung dahinter, die längst ausverkaufte Exemplare auf gut Glück als lieferbar ausweist und schrieb Lehmanns eine leicht verärgerte Email.
Wenig später entschuldigte man sich erneut – und nun persönlich – bei mir; es handele sich nicht um eine automatische Anzeigenerstellung, das Buch werde schlicht im Verzeichnis lieferbarer Bücher geführt. Und das – wie sich herausstellen sollte – zumindest in diesem letzten Fall völlig zurecht. Denn keine halbe Stunde später fand sich wieder eine Lehmanns-Mail in meinem Posteingang, die nun etwas zerknirscht feststellte, daß das Buch doch lieferbar sei und mir nun zur Entschädigung für die Verwirrung kostenfrei zugestellt werde. Immerhin, meine Beschwerde hatte einen kleinen Erfolg, wenngleich die Kosten Lehmanns nicht in die Insolvenz treiben sollten. Und ich weiß nun dies: für schlappe 7,- € kann man in der Buchhandlung des Vertrauens Erhard Lucas` Buch Zwei Formen von Radikalismus in der deutschen Arbeiterbewegung (das zur weiteren Verwirrung den Außentitel Arbeiterradikalismus trägt) von 1976 als verlagsneues Exemplar bestellen.
Gelesen habe ich es noch nicht, doch immerhin kenne ich genug anderes von Lucas um behaupten zu können, daß es sich lohnt. Inhaltlich geht es nicht um die Märzrevolution 1920, sondern um die Novemberrevolution von 1918. Hier findet sich das Inhaltsverzeichnis und der Umschlagtext möchte so zum Lesen verleiten:
Die Untersuchung RADIKALISMUS IN DER DEUTSCHEN ARBEITERBEWEGUNG hat einen dreifachen Bezug: sie ist ein Beitrag zur deutschen Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, ein Beitrag zur Kritik der deutschen Revolution von 1918/19 und ein Beitrag zur aktuellen Strategiedebatte um die „andere“ Arbeiterbewegung.
Im Zuge einer materialreichen Analyse der Lage der Arbeiter in zwei rheinischen Städten – Hamborn und Remscheid – wird deutlich, daß große Differenzen innerhalb dessen klaffen, was global „proletarische Lebenswirklichkeit“ genannt wird. Aus dieser Lage heraus wird der höchst unterschiedliche Arbeiterradikalismus interpretiert, der sich in der Revolutionszeit in beiden Städten beobachten läßt.
Die Hamborner Arbeiter entfalten abseits der Partei- und Gewerkschaftsorganisationen eine Revolte mit ökonomischen Zielen, die bald über die Grenzen der Stadt hinausgriff, und entlarvten dabei die Konsequenzen der „Arbeitsgemeinschaft“ zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverband. Remscheid dagegen war das Zentrum eines Radikalismus, der sich über Partei und Gewerkschaft artikulierte und den Partei- und Gewerkschaftsführern Aktivitäten ermöglichte, die letztlich alle auf die Eroberung der staatlichen Zentralgewalt abzielten.
Im Unterschied zu Vertretern der „Massenarbeiterthese“ beschränkt sich Lucas nicht auf die Analyse der Situation am Arbeitsplatz, der Stellung im Produktionsprozeß und der Dequalifikation von Arbeitskraft. Er versucht, die Kategorie „proletarische Lebenssituation“ historisch-empirisch zu füllen, alle Bereiche zu erfassen und in Beziehung zu setzen; und er vermeidet es, bestimmte Schichten der Arbeiterklasse zu idealisieren, andere abzuqualifizieren. Viele Seiten, auch Schranken werden aufgezeigt, exemplarisch interpretiert – von da aus werden neue Thesen zum Scheitern der Revolution 1918/19 formuliert.
Ach ja, der Buchhändler des Vertrauens stellte auch gleich noch telefonisch fest, daß, wer noch 5,- € drauflegt, auch Lucas` Vom Scheitern der deutschen Arbeiterbewegung von 1983 als Neubuch käuflich erwerben kann. Und das günstiger als im Antiquariat.