Koschek: Projekte schlagen Wellen. Alternativen am Bodensee [Rezension]

cover_koschekDer seit Jahrzehnten engagierte »Provinzler« Dieter Koschek hat ein kleines, kommentiertes Handbuch über »alternative« Gruppen und Einrichtungen im Bodenseeraum vorgelegt. Es berichtet von einigen Landwirtschafts- und Wohnprojekten, von Diskussionsrunden, oder über die Idee der Gemeinwohl-ökonomie und von künstlerischen Initiativen.
Koschek bietet kurze Beschreibungen und viele Adressen, somit eine Bestandsaufnahme, wobei die Leserin kaum entscheiden kann, ob das alle (wichtigen) Adressen sind, oder nicht, oder (nur) die, die der Herausgeber und Autor »gut findet«. Das alles ist nichts Besonderes – und im grünen Musterländle Baden-Württemberg schon gar nicht. Insgesamt bleibt nach der Lektüre ein durchwachsener Eindruck.

Read more | ›››

The triumph of the Corporate Rich and how they succeeded

defaultdas ist der Titel eines sehenswerten Vortrags von Bill Domhoff, den er jetzt auf seine Website „Who rules America“ gestellt hat. Bill, der auch im ersten Heft der LuXemburg eine Analyse der amerikanischen Machtstruktur veröffentlicht hat, steht in der Tradition der Machtstrukturforschung von Cyrus Wright Mills und greift u.a. auf, warum die neue Begeisterung für die Politik des New Deal – beispielsweise in Bernie Sanders Rede über den „demokratischen Sozialismus“ –  fehlgeht. In seinem letzten Buch „Myth of Liberal Ascendancy“ (2013) hat er dazu die Details entwickelt.

aus geschichte lernen

und sich gegen heutige wirtschaftliche Ausbeutung auflehnen, hat Franco „Bifo“ Berardi kürzlich öffentlich getan:

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Einladung (…). Ich muss Ihnen jedoch mitteilen, dass, obwohl ich vor einigen Monaten Ihre Einladung angenommen habe, ich mich heute gezwungen sehe, meine Teilnahme an Ihren Manifestationen abzusagen, denn in diesem Augenblick kann ich keinen Fuß setzen in ein Land, dessen Einwohner sich in sehr großer Mehrheit in den Haltungen der fanatischen Verfolger des griechischen Volkes und aller Völker der Euro-Zone wiederfinden.

Ich glaube, dass für jeden europäischen Demokraten nun der Moment gekommen ist, einer tief schmerzlichen und erschreckenden Wahrheit ins Auge zu sehen: Siebzig Jahre nach dem Ende des Naziregimes, zweiundsechzig Jahre nach der Londoner Akte, in der die Schulden, die Deutschland gegenüber der Menschheit hatte, erlassen wurden, zeigt die Nation dieselben kulturellen, psychologischen und politischen Züge, die sie in ihrer dunkelsten Vergangenheit charakterisiert haben.

weiter in junge welt, 17.7.2015

Justiz unter Kontrolle

51FB92QXRYL
http://www.suedwind-magazin.at/start.asp?ID=234702&rubrik=12&ausg=200303

Guatemala, Centralamerika, ist ein kleines Land. Die geringe Größe hat aber leider keinen Einfluss auf eine geringe Zahl von Menschenrechtsverbrechen, Morden und der massiv verbreiteten Straffreiheit. Im Land war von 1960 bis 1996 Bürgerkrieg. General Lucas Garcia war 1978 bis 1982 an der Macht und begann „die blutigste und folgendschwerste Militärkampagne gegen die Guerilla und die Zivilbevölkerung“. Nach dem Putsch 1982 war General Ríos Montt an der Macht und „betrieb […] die berüchtigte Strategie der ‚Politik der verbrannten Erde‘.“ (Renate Sova, Unterdrückung und Widerstand, In: Guatemala „Ein Land auf der Suche nach Frieden“, Brandes&Apsel/Südwind 2003) „Mehr als 660 Massaker durch das Militär, ebenso viele vernichtete Dörfer, 200.000 Tote, 20.000 Vermisste, eine Million Flüchtlinge und letztendlich eine vollständig traumatisierter Bevölkerung…“

Ein großer historischer und jahrelang erkämpfter Schritt zur Aufklärung und Bestraftung der Verantwortlichen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit war der Prozess gegen den ehemaligen Präsidenten Efrain Rios Montt 2012 und 2013. Er wurde zu 80 Jahren Gefängnis verurteilt. Das Verfassungsrecht hat das Urteil aufgehoben – wegen Verfahrensfehlern.

Read more | ›››

Von Bilanzen und Menschenleben

Blick von Tanger, Marocco, nach Tarifa, Spanien - der kürzeste Weg über das Mittelmeer
Blick von Tanger, Marocco, nach Tarifa, Spanien – der kürzeste Weg über das Mittelmeer

Meldungen über Migrant*innen kreuzen regelmäßig die Nachrichtenwelt der BRD: Tote im Mittelmeer, Fachkräftemangel, Bürger*innenproteste gegen Heime für Geflüchtete, Containerunterbringung, Willkommenskultur, Bertelsmannstiftung, mall of shame, gesetzliche Verschärfungen des Migrationsrechts, Zelte, Papst Franziskus, Blockaden gegen rassitsische und/oder neofaschistische Aufmärsche, usw. usf. Die Nennung der Bertelsmannstiftung mag an dieser Stelle die eine*den anderen Leser*in überraschen, ist diese doch eher bekannt für Studien und Empfehlungen zur ökonomischen Optimierung von Bildung oder Wirtschaft im Sinne kapitalistscher Wertschöpfungspotenziale und nicht gerade für ihre Beiträge zur Migrationspolitik. Aber: Geflüchtete und Migrant*innen sind Arbeitskräfte und mit Arbeitskraft wird Geld gemacht, so sie denn richtig eingesetzt wird. Weiterlesen

Kuchenstücke zu verteilen

Harley
„Harley“, cc Thomas Hawk

In dem sehr lesenswerten Artikel Pitbul-Politics von Rainer Trampert in der jungle world werden die geopolitischen Folgen des Konfliktes um die Urkraine eindrücklich und mit globaler Perspektive und historischer Einbettung beschrieben. Eine Analyse der russischen, deutschen und us-amerikanischen Außenpolitik entlang geopolitischer, ökonomischer Interessen und sich gegen einander wendender ideologischer Standpunkte macht deutlich, wie sich die Welt gerade neu sortiert und gibt einen guten Überblick, was sich auf einem großen Teil der weltpoltischen Bühne abspielt. Einige Ausschnitte lesen

Wessen Stadt?

marseille eins
Blick von Süden auf den Alten Hafen. In der oberen Bildhälfte die modernistischen Neubauten an der Stelle des gesprengten Viertels.

Marseille ist bekannt. Es gibt Bücher voll mitreißender Kriminalgeschichten (Jean Claude Izzo), Fluchterzählungen (Fred Wander, Anne Seghers), Berichte von Reiseaufenthalten (Walter Benjamin, hier im Volltext). Es ergibt sich eine Vorstellung von der Stadt mit Hafen, Bars, Mistral. Der Bahnhof St. Charles heisst reisende Lesende willkommen wie ein alter Bekannter: Hinunter gehts die Treppe in die hafenstädtische Geschäftigkeit. Das angelesene Wissen aus und über diese Stadt lässt Erwartungen und prickelne Neugierde aufsteigen. Und mit eigenen Erfahrungen in der Stadt stellen sich Freude und auch Enttäuschungen ein, z.B.: Französische Bauhausarchitektur und nationalsozialistischer Vernichtungswahnsinn widersprechen sich nicht. weiterlesen

Geschichte und Gegenwart von Alternativschulen (Rezension)

Diese, von Maurice Schuhmann verfasste Rezension erschien zuerst in Ausgabe 349 (Oktober) von CONTRASTE, der Monatszeitung für Selbstorganisation. Diese laufende Ausgabe hat u.a. einen vierseitigen Schwerpunkt zum Thema „Demenz, Pflege und Autonomie“. Schumann schreibt:

„Die Literaturlage über freie Schulen ist recht überschaubar. Die Literatur über Geschichte(n) und Gegenwart freier Alternativschulen beschränkt sich weitgehend auf Einzelstudien über einzelne Projekte oder spezifische Theoretiker, während eine Gesamtdarstellung dieses Themenkomplexes noch fehlt. Matthias Hofmann, der selber Lehrer an einer freien Alternativschule und Mitglied des Vorstands der Bundesvereinigung Freier Alternativschulen ist, hat mit seiner Einführung einen Versuch gestartet, diese Lücke zu füllen. Auf ca. 150 Seiten liefert er eine thematisch auf fünf Aspekte fokussierte Einführung: Ausgehend von den Vordenkern der modernen Alternativpädagogik, Beispielen von reformpädagogischen Ansätzen (jeweils separat) in Form von fünf Kapiteln, die sich in Ansätze in Deutschland, Rest von Europa und im angelsächsischen Raum bis zu den aktuellen Ansätzen seit 1968 unterteilen. Diese Einführung ist nun beim Verlag Klemm & Oelschläger erschienen, d.h. einem u.a. auf Literatur zu Alternativpädagogik spezialisierten Verlag.

Read more | ›››

Entschädigung vor Rückgabe

Arisiertes jüdisches Eigentum? Danach wird in Leipzig 1981 nicht gefragt. Heute schon. CC BY-SA 3.0 CC BY-SA 3.0 by. leberpieps
Arisiertes jüdisches Eigentum? Danach wird in Leipzig 1981 nicht gefragt. Heute schon. CC BY-SA 3.0 CC BY-SA 3.0 by leberpieps

Die Jewish Claims Conference (JCC) hat einen 50-Millionen-Dollar-Fond für jüdische Familien, denen Eigentum auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gehört, eröffnet. Eine etwa 1.500 Seiten umfassende Liste mit Namen und Firmennamen gibt Auskunft darüber, welche Menschen durch die nationalsozialistische Verfolgung und der damit einhergehenden Arisierung, ihre Wohnungen, Häuser, Firmen und Geschäfte samt Einrichtungen verloren haben und gegenüber der DDR keine Entschädigung einfordern konnten.

Read more | ›››

Keine zivilen Klagen auf Entschädigung bei NS Kriegsverbrechen

Bereits am 4.2. 2012 entschied der Internationale Gerichtshof (IGH) über ein lang erwartetes Urteil: Zivile Opfer dürfen Deutschland nicht für seine NS Kriegsverbrechen verklagen. Damit erhalten die Opfer auch keinen Anspruch auf Entschädigungszahlungen. Italienische Gerichte hatten die Klagen von Einzelpersonen gegen Deutschland für die Verantwortung der Massaker von SS und Wehrmacht zwischen 1943 und 1945 zugelassen. Die Entschädigungsklagen belaufen sich auf Millionenhöhe. Der IGH entschied nun, dass die Staatenimmunität gewahrt werden muss. Tatsächlich hätte ein Positivbescheid weitreichende Folgen gehabt. Weiterlesen

Wannsee Declaration

Wer noch immer meint, Joachim Gauck wäre der bessere Bundespräsident gewesen oder ist es wohlmöglich auch in Zukunft, dem sei die Prager Erklärung (zu deren Erstunterzeichnern Gauck gehört) ans Herz gelegt, die der Relativierung des Holocaust (vor allem in Osteuropa) Tür und Tor öffnet. Seit heute gibt es dazu ein Gegenstück: die Wannsee Declaration. Und die beste Alternative zu Wulff ist noch immer: kein Bundespräsident. Siehe: Presse zur Wannsee Declaration

„Pick up the gun and put the pigs run“

Dieses Lied, das eine Kindergruppe im Rahmen selbstorganisierter Bildungsseminare der Black Panther Party singt, ist in dem Dokumentationsfilm The Black Power Mixtape zu hören. In guten 1,5 Stunden wird Filmmaterial des schwedischen Fernsehens zur Black Power Bewegung von 1967 bis 1975 in den USA gezeigt. Dabei entsteht das differenzierte Bild einer Bewegung, die nicht nur Bürgerrechtsbewegung sondern auch soziale Bewegung war und die USA zumindest vorübergehend mit einem sozial-revolutionären Begehren erschütterte. Weiterlesen

Büro Kölpin – Heinz Kölpin

 

Tausende von Syndikalisten laufen herrenlos herum.

(aus einem streng vertraulichen Spitzelbericht vom 19. April 1920)1

In Zeiten des vielleicht größten Geheimdienstskandals der Bundesrepublik lohnt auch ein Blick in die Geschichte. Denn überraschenderweise weiß das weltweite Gewebe bisher fast nichts2 über einen illegalen staatlich-militärischen Spitzeldienst, der vor allem nach der Novemberrevolution bis Ende 1922 im westfälischen Münster sein Unwesen trieb: das Büro Kölpin.

Read more | ›››

  1. Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen (LAV NRW W), Büro Kölpin Nr. 179 []
  2. Eigentlich findet sich nur die Beständeübersicht aus dem LAV NRW W und ein zweiteiliger Artikel (pdf1, pdf2), den Erhard Lucas 1972  für Kritische Justiz verfasste; er zitiert dort aus Akten des Bestands. []