Vom Mindestlohn kann man ja halten, was man will: Aber die Erzählung vom massiven Arbeitsplatzverlust durch dessen Einführung ist schlichtweg schlechte Propaganda. Selbst die OECD mahnt die Notwendigkeit einer Einführung einer Lohnuntergrenze an, um Exportüberschüsse in der BRD auszugleichen:
Ab 2015 soll es weiter aufwärts gehen mit einem Wachstum von zwei Prozent in Deutschland. Die Organisation hebt hervor, dass Reallohnzuwächse und eine niedrige Arbeitslosigkeit den Konsum in Deutschland stärken dürften, während gleichzeitig das Vertrauen in die Eurozone wieder zunimmt und niedrige Zinsen die Investitionen stützen. Die Arbeitslosenquote könnte demnach auf 5,2 Prozent Ende 2015 zurückgehen (Neues Deutschland, 20.1.2013).
Thorsten Schulten (Referent für Arbeits- und Tarifpolitik in Europa beim Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung) verweist in einem Interview im Neuen Deutschland auf mehrere Studien des Bundesarbeitsministerium, die belegen, dass der gesetzlich festgelegte und durchgesetzte Mindestlohn in einzelnen Branchen nicht zu Arbeitsplatzverlust geführt hat:
Es gibt einmal die Möglichkeit, die Preise zu erhöhen. Das ist auch ein Effekt, der in einzelnen Bereichen stattfindet, der möglicherweise auch in Deutschland stattfinden wird, beispielsweise bei den Friseuren. Das ist ja immer so ein klassisches Beispiel. Da hat man sich jetzt tarifvertraglich auf einen Mindestlohn geeinigt, wenn auch in einer längeren Perspektive, bis es bei 8,50 Euro ankommt. Da wird der Haarschnitt vielleicht ein, zwei Euro mehr kosten. Aber das ist auch angemessen so, wenn man sich ansieht, wie sich in dieser Branche mit einer Unterbietungskonkurrenz gegenseitig kaputtgemacht wird.
Zweite Reaktionsmöglichkeit sind Produktivitätsgewinne. Das lässt sich immer schwer wirklich konkret fassen, aber generell gilt, je besser die Beschäftigten bezahlt werden, desto motivierter sind die, ihre Arbeit zu machen, desto bessere Arbeit machen sie, desto produktiver sind sie.
Der dritte Punkt war zum Beispiel in Großbritannien ein ganz wichtiger, wo im Jahr 2000 der Mindestlohn eingeführt worden ist: Es geht an die Profite – die Unternehmen machen tatsächlich weniger Gewinn. Das Interessante ist hier die Argumentation: Die Gegner des Mindestlohns reden von »marktgerechten Löhnen«. Wenn die künstlich erhöht werden, führt das zu mehr Arbeitslosigkeit. Wenn man aber die gleiche neoklassische Arbeitsmarkttheorie nimmt und sagt, dann gibt es auch so etwas wie »marktgerechte Gewinne«. Und in der Tat haben damals Ökonomen gerade in Großbritannien argumentiert, aufgrund der starken Stellung der Unternehmen und der schwachen Stellung der Arbeitnehmer – schwache Gewerkschaften, oft keine Tarifbindung – sind die Unternehmen in der Lage gewesen, nicht marktgerechte Gewinne durchzusetzen. Heißt: Sie haben Extraprofite dadurch gemacht, dass sie dem Arbeitnehmer nicht das gegeben haben, was er eigentlich verdient hat. Eben weil sie ihre Machtstellung ausgenutzt haben. Das führt aber wiederum dazu, dass selbst jetzt, wenn durch einen Mindestlohn die Löhne erhöht werden, die Unternehmen immer noch Gewinne machen – aber nicht mehr die Extragewinne, die sie einfach aufgrund ihrer Machtstellung am Arbeitsmarkt gewonnen haben (Neues Deutschland, 18.10.2013).
Festzuhalten ist, dass die Mindestlohnbezieher durch die in den offiziellen Statistiken weggerechnete, real aber sehr wohl existierende Inflation besonders betroffen bleiben und dass auch 8,50 Euro die Stunde letztlich einen Hungerlohn darstellen, mit dem die BRD immer noch hinter dem zurück liegt, was in anderen europäischen Ländern bereits Standard ist.