Um die Kunstausstellung „Ukrainian Body“ (hier einige Bilder) in Kiew tobt eine heftige Kontroverse. Am 10. Februar wurde sie – drei Tage nach der Eröffnung – geschlossen. Der Vorwurf lautet Pornografie.
Im Zuge dessen wurde auch gleich das für die Ausstellung verantwortliche Visual Cultural Research Center (VCRC, hier ein offener Brief) an der National University of Kyiv-Mohyla Academy (NaUKMA) in Kiew dichtgemacht. Diese Schließung wurde inzwischen zurückgenommen, die der Ausstellung hingegen nicht.
Verantwortlich dafür ist der Rektor der NaUKMA, Serhiy Kvit. Geradezu albern ist auch die Selbstzensur in diesem Videobeitrag von euronews, der von der Schließung berichtet (ich kann den Text leider nicht verstehen) und die angebliche Pornografie verpixelt. Sehr gut hingegen ist dieser Artikel auf art-leaks.org.
„Anstatt als Pornografie zu funktionieren“, so John-Paul Himka im Blog Current Politics in Ukraine,
fordert „Ukrainian Body“ die konventionellen sexuellen und ästhetischen Normen der ukrainischen Gesellschaft heraus, und Ausstellungen wie diese haben auf der ganzen Welt Kontroversen hervorgerufen, aber ebenso auch eine wichtige Debatte über geschlechtliche, sexuelle und kulturelle Fragen angeregt.
„Man würde hoffen“, so Himka weiter,
daß die Ukraine zu derjenigen Reihe von Ländern gehört, wo eine solche Ausstellung gezeigt werden kann, im Gegensatz zu den internationalen Paria, die solche Ausstellungen verhindern noch ehe sie öffentlich werden. Es wäre sehr viel angemessener, „Ukrainian Body“ nicht als Pornografie, sondern als Beitrag zu einer kritischen Diskussion über konservative Moral zu interpretieren, welche in der Ukraine in Zusammenhang mit dem geplanten „Gesetz zum Schutz der öffentlichen Moral“ auftauchte und ebenso als Antwort auf den Aktivismus der innovativen „Femen“-Bewegung.
Auslöser für die Schließung der Ausstellung war wohl nicht nur die Ausstellung selbst, sondern auch ein in ihrem Rahmenprogramm geplanter Vortrag des deutschen Historikers Grzegorz Rossolinski-Liebe (unterstützt von der Heinrich-Böll-Stiftung) zu dem rechtsradikalen ukrainischen Nationalhelden Stepan Bandera. Rossolinski-Liebe ist ein scharfer Kritiker Banderas und seiner Bewegung und wird in Kürze seine Dissertation an der Universität Hamburg dazu vorlegen. Der bereits erwähnte Rektor der NaUKMA, Serhiy Kvit, unterstellt seinem Vortrag einen „skandal-propagandistischen, nichtakademischen Charakter“1.
Neben Befürchtungen, daß junge Ultranationalisten der Partei Swoboda (Freiheit) seine Veranstaltung stören könnten, erhielt Grzegorz Rossolinski-Liebe, der sich bereits in Kiew aufhielt, am 27. Februar nächtliche Drohanrufe. Er hat sich in den Schutz der deutschen Botschaft begeben müssen. Ähnliche Anrufe erhielten auch Mitarbeiter des Visual Cultural Research Centers.
Dem Schlußwort von John-Paul Himka kann ich mich nur anschließen:
Ungeachtet dieser Komplikationen sollte klar sein, daß im Interesse der akademischen Freiheit die Ausstellung „Ukrainian Body“ […] wiederhergestellt werden muß. Freie Rede braucht keinen Schutz, wenn sie leicht zu schützen ist; sie braucht genau dann Schutz, wenn es schwierig wird, von ihr Gebrauch zu machen.
Update, 2.3.2012:
Die ganze Geschichte nochmal ausführlicher auf algemeiner.com