SEMMERING/Österreich. Die nächste Koalition solle mit der Privatisierung staatlicher Betriebe weiter machen, fordert die Industrie.
Ort und Zeitpunkt hätten nicht provokanter ausfallen können: Just bei einem Journalistenseminar, das der Verband der Öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs (VÖWG) veranstaltete, gab der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Markus Beyrer, die Devise seiner Interessensvertretung für die Zeit nach der nächsten Nationalratswahl an: „Wir gehen damit in die nächste Regierungsverhandlung.“ Mit „damit“ hat er die Forderung nach weiteren Privatisierungen von Unternehmen mit staatlicher Beteiligung gemeint.
Um konkrete Unternehmen zu nennen, sei es – so Beyrer – „zu früh“. Aber die Zukunft der Staatsunternehmen sowie der Österreichischen Industrieholding sei Thema der nächsten Regierungsverhandlungen.
Dass die Grenzen der Privatisierung in Großbritannien beim Verkauf von Transportdienstleistungen an die Grenzen gestoßen sei, wollte Beyrer nur zum Teil anerkennen: „Die Briten haben gezeigt, wie man es schlecht macht.“ Der Staat solle an Infrastrukturbetrieben, die nicht Gewinn bringend geführt werden können, 25 Prozent und eine Aktie halten. „Zu privatisieren und in die Infrastruktur kein Geld mehr zu investieren, funktioniert nicht.“
In Großbritannien stehe auch ein privatisiertes Kernkraftwerk vor dem Konkurs. „Der Staat musste riesige Summen nachschießen und hat jetzt auch noch die Belastung der Entsorgung des Atommülls am Hals“, wies dagegen Gerhard Greiner, Geschäftsführer des VÖWG, auf Grenzen des Privatisierens hin.
400.000 Arbeitslose
Aufhorchen ließ am ersten Tag der Veranstaltung auch der Generalsekretär des ÖGB, Richard Leutner: Er erwartet für den kommenden Winter erstmals 400.000 Arbeitssuchende in Österreich. „Mit 360.000 Arbeitslosen und Schulungsteilnehmern waren wir im Vorjahr schon sehr hoch. Und die Arbeitslosigkeit sinkt nicht. Im Gegenteil.“
Im Jänner und Februar 2006 könnte daher erstmals an der 400.000er-Grenze gekratzt werden. Er fordert eine „nationale Kraftanstrengung“, die je eine Milliarde Euro Investition in Infrastrukturmaßnahmen und zur Entlastung von Klein- und Mittelbetrieben ausmachen soll. So könnten nach ÖGB-Berechnungen 60.000 Menschen zusätzlich in Beschäftigung gebracht werden. Finanzieren müsste das die Regierung aus dem Budget. Arbeitslosigkeit koste ja auch. „Jeder Prozentpunkt mehr Arbeitslose kostet den Staat eine Milliarde Euro an Mindereinnahmen. Dazu kommen gleichzeitig höhere Ausgaben.“
OÖnachrichten vom 22.11.2005
Quelle: http://www.nachrichten.at/wirtschaft/402353?PHPSESSID=bf415e272e61fd164591405f8b6ebad1