Eine Streitschrift – rezensiert von Elisabeth Voß
Für seine Streitschrift verwendet Daniel Fuhrhop den Titel, unter dem er bereits als Student 1996 im Architekturmagazin Skyline des Berliner Tagesspiegel einen polemischen Beitrag veröffentlicht hatte. Als Betriebswirt mit jahrelangem Architekturstudium gab er eigene Zeitschriften heraus und gründete den Architekturverlag Stadtwandel. Nach dem Tod eines engen Freundes stellte sich dem engagierten Naturschützer die Sinnfrage, er verkaufte 2013 seinen Verlag und startete den Blog „Verbietet das Bauen“. Im Sommer 2015 erschien nun das gleichnamige Buch.
Das Vorwort hat Uwe Schneidewind vom Wuppertal Institut beigesteuert, der in dem Buch „eine Landkarte für zukunftsweisende urbane Transformationsstrategien“ erkennt. Da Ökoeffizienz oft durch Wachstum kompensiert wird – der sogenannte Rebound-Effekt – sei Suffizienz wichtig, also die reale Minderung des Ressourcenverbrauchs. Fuhrhop liefert laut Schneidewind „einen wichtigen Beitrag zur Suffizienzforschung und -politik“.
In den ersten zwei Dritteln seines Buches fügt der Autor in einem großartigen Rundumschlag eine Vielzahl von Argumenten zusammen, mit denen er eindringlich darlegt, warum Neubau schlicht und ergreifend falsch ist. „Skandalprojekte und Prestigebauten“ wie die Hamburger Elbphilharmonie oder Stuttgart 21 verschlingen Geld ohne Ende, nicht nur im Bau sondern auch bei den Folgekosten, und nützen nur denen, die daran verdienen. Auch mit dem Neubau von Wohnhäusern geht der Autor streng ins Gericht. Er schildert, welche Risiken mit dem schönen Traum vom Eigenheim verbunden sind und zeigt auf, wie absurd es ist, selbst in schrumpfenden Regionen lieber neu zu bauen und dies sogar – als vermeintlichen Anreiz zum Zuzug – finanziell zu fördern, statt Altbauten zu sanieren.
Auch der ökologische Neubau kommt nicht ungeschoren davon. Ob angeblich nachhaltige Hochhäuser oder Ökosiedlungen am Stadtrand – Neubau führt zu einem höheren Energieverbrauch sowohl für die Errichtung der Gebäude, als auch für die zusätzliche Mobilität, wenn längere Wege erforderlich werden. Der Zersiedlung müssen Wiesen oder gar wertvolle Ackerflächen weichen. Dem Architektentraum von der „Idealstadt“ setzt Fuhrhop den „idealen Stadtwandel“ entgegen (Seite 38). Ökosiegel und die darauf basierende KfW-Förderung sieht er kritisch, denn weder wird die Art der Dämmstoffe berücksichtigt, noch die Lage eines Hauses, obwohl diese ausschlaggebend sein sollte, denn „abseits der Städte sind Neubauten nicht nachhaltig, sondern nur nachhaltig schädlich“ (Seite 39). Darüber hinaus weist er auch auf Absurditäten hin, wie das Ökosiegel für das Daimler-Areal am Potsdamer Platz in Berlin, oder die Ernennung von Hamburg zur „Europäischen Umwelthauptstadt 2011“, obwohl gerade hier der Anteil von Autos besonders hoch und von Radfahrenden niedrig ist, und auch die Atom- und Kohlekraftwerke einem solchen Titel nicht entsprechen.
Im Kapitel „Bauen ist unsozial“ legt der Autor dar, wie mit dem Argument des Wohnraummangels immer mehr gebaut wird, jedoch nur teure Wohnungen entstehen. In Berlin wurden bis Ende der 1990er Jahre überteuerte Sozialwohnungen errichtet, dann in den Nullerjahren die Hälfte des öffentlichen Wohnungsbestandes privatisiert. Fuhrhop kritisiert: „Es fühlt sich nicht gut an, wenn Wohnungen gehandelt werden wie ein beliebiges Konsumgut“ (Seite 55) und „Der Bauwahn in unseren Städten ist auch eine Folge von Privatisierungen und Ausverkauf öffentlichen Eigentums“ (Seite 57). Folgerichtig würdigt er auch den Widerstand gegen Bebauungen am Beispiel des erfolgreichen Berliner Volksbegehrens „100% Tempelhofer Feld“, dem nun „100% Berlin“ folgen müsse. Er fordert „Verbietet den Abriss“ – egal ob es um denkmalgeschützte Häuser geht oder um schlichte Nachkriegsbauten. Denn durch Abriss und Neubau werden Menschen aus ihren vertrauten Wohngebieten verdrängt. Als positives Beispiel wird das Sanierungsprojekt „Soziale Stadt Wulsdorf“ in Bremerhaven beschrieben. Dessen Energiebilanz zeigt, dass die Sanierung energie- und kostensparender war als ein Neubau von Passivhäusern.
Es gibt genug Gebäude, die umgebaut werden könnten, zum Beispiel Millionen Quadratmeter leerstehende Büroflächen, ebenso wie aufgegebene Schulen, Kirchen oder Kasernen. Es ist nicht nötig, neu zu bauen. Dies liest sich wohltuend angesichts der Erfahrungen, wie zum Beispiel in Berlin immer mehr innerstädtische Biotope – lieblos und entwertend als „Brachen“ bezeichnet – mit teuren Investorenobjekten zugebaut werden, und Proteste von Anwohner*innen als egoistisch und missgünstig abgetan werden, wo doch so dringend Wohnungen gebraucht würden. Der von Politik und Medien oft erhobene Vorwurf, die Protestierenden seien doch nur Nimbys (not in my backyard), wirkt wie öffentliches Mobbing, da ist Fuhrhops Buch geradezu Balsam für die gekränkte Seele.
Der Autor plädiert für eine Änderung der Raumnutzungsgewohnheiten, für die Beschränkung aufs Notwendige, für mehr Gemeinschaftsnutzung, Coworking etc., und legt im letzten Drittel des Buches seine Vorschläge zur Umsetzung vor. Meine Begeisterung weicht irritiertem Kopfschütteln, als ich lese „Wenn Singles sich zu sehr ausbreiten, dann ist das keine Privatsache, sondern schadet der Gemeinschaft“ (Seite 124). Von dieser Formulierung ist es nicht weit dahin, Singles mit großen Wohnungen als „gemeinschaftsschädigend“ (oder wahlweise „asozial“) zu bezeichnen. Das schreibt der Autor nicht und meint es sicher auch nicht so, es bedient aber politisch gefährliche Diskurse. Die Konstruktion einer „Gemeinschaft“ und die Schuldzuschreibung an eine bestimmte Personengruppe sollte – insbesondere nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus – ein absolutes No-Go sein. Wenn Fuhrhop dann noch schreibt „Es ist weder links noch rechts, das Bauen zu verbieten, sondern eine Frage der Vernunft“ (Seite 161), dann wird deutlich, dass eine politische Perspektive auf Interessengegensätze und Machtverhältnisse fehlt. Es gibt ja nicht die eine, allgemeingültige Vernunft, sondern – noch dazu in der ökonomisch so schwergewichtigen Frage des Bauens – eine Vielzahl von Interessen. Es mag sein, dass die Verdreifachung des Wohnraums pro Person seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs von 15 auf 45 Quadratmeter ein Problem ist, aber das kann nicht einer Bevölkerungsgruppe angelastet werden, sondern ist strukturell zu lösen. Der Autor betont: „Die Menschen und ihre Bedürfnisse müssen im Mittelpunkt stehen, nicht die Maximierung des Gewinns“ (Seite 53) und beschreibt „Anders Wirtschaften“ als einen Lösungsweg, nennt eine Reihe von Beispielen selbstverwalteter Hausprojekte und reiht etwas wahllos Postwachstum, Transition-Town, Gemeinwohl-Ökonomie, Commons und Share Economy aneinander. Gleichzeitig weist er immer wieder darauf hin, dass sich auch mit Altbausanierung Geld verdienen lässt, und argumentiert im Rahmen marktwirtschaftlicher Logiken.
In den 50 Werkzeugen, mit denen Fuhrhop das Bauen überflüssig machen möchte, finden sich witzige Ideen, zum Beispiel gezieltes Anti-Stadtmarketing, um der Gentrifizierung entgegenzuwirken, mit Slogans wie „München ist teuer! … Kommt nicht nach München, zieht in andere Städte!“ oder durch Non-Stop-Auftritte von Trachtengruppen in Berlin-Friedrichshain. Aber ob den Bewohner*innen von Duisburg der Vorschlag gefallen würde, ihre Stadt zwecks Aufwertung einfach in Düsseldorf-Nord umzubenennen? Und wie sollte eine „Residenzpflicht für Reiche“ aussehen?
Die Grundaussage des Buches, dass der Bauwut Einhalt zu gebieten sei, unterfüttert Fuhrhop mit einer Fülle an Fakten und Argumenten – das überzeugt und macht Mut, sich zu wehren. Jedoch wirken manche seiner Vorschläge recht technokratisch, so als sei das Nicht-Bauen mit etwas gutem Willen machbar. Selbst wenn es gelingen sollte, Neubau weitgehend zu verhindern – wäre dann allein durch diese Veränderung auf der Erscheinungsebene die Wohnungsfrage und die Ressourcenproblematik gelöst? Bräuchte nicht eine Bauwirtschaft jenseits profitwirtschaftlicher Logiken, über das Herumdoktern an Symptomen hinaus, die Einbettung in eine Transformationsstrategie, die auch die Machtfrage stellt und soziale und politische Prozesse reflektiert? Das Buch wirft Fragen auf, das will es ja auch, und stellt insofern trotz allem einen lesenswerter Beitrag zu einer dringend notwendigen Diskussion dar.
Daniel Fuhrhop: Verbietet das Bauen! Eine Streitschrift, oekom verlag, München, 2015, 192 Seiten, 17,95 EUR
Diese Rezension erscheint gekürzt in CONTRASTE, Monatszeitung für Selbstorganisation, Nr. 374 (November 2015). CONTRASTE berichtet regelmäßig aus dem Land der gelebten Utopien: über Arbeiten ohne ChefIn für ein selbstbestimmtes Leben, alternatives Wirtschaften gegen Ausbeutung von Menschen und Natur, über Neugründungen von Projekten, Kultur von „unten“ und viele andere selbstorganisierte und selbstverwaltete Zusammenhänge.