Die Geschichte der Landenteignung, – aneignung und Neuverteilung für die landwirtschaftliche Nutzung geht länger zurück als bis zur Bodenreform, die 1945 im Rahmen des Potsdamer Abkommens beschlossen wurde. Und sie ist damit lange nicht zu Gunsten der Landarbeiter_innen entschieden worden.
In dem sehr lesenswerten Interview „Komm rein, hier sitzt du gut“ mit Robert Scheringer geht es um die Eigentumskämpfe von Ackerland vom Bauernkrieg bis heute.
Geschichte:
Im September/Oktober 1945 fand in der damaligen SBZ die Bodenreform statt, auch in Thüringen. Enteignungen von Gütern über 100 Hektar. Was hat das gebracht?
Zum Teil Geschrei und Gezeter, bis heute noch. Manches war engstirnig, auch ungerecht. Meistens hat es aber die Richtigen getroffen. Wichtiger ist doch, es wurde daraus eine Zukunft für viele, die bisher keine hatten: Landarbeiter, Gutsknechte und vor allem hunderttausende Umsiedler, Flüchtlinge aus Pommern, Sudetenland und so. Junkerland in Bauernhand – die darüber jammern, vergessen, dass es auch zu den inhaltlichen Beschlüssen des Potsdamer Abkommens gehörte – das ist doch bekannt, dass die preußischen und ostelbischen Junker die Nazis ge- und unterstützt haben. In 312 Adelsfamilien gab es 3592 NSDAP-Mitglieder. Auch der feine Hochadel hatte beste Verbindungen. Habe ich gelesen.
Nee, nee, die Bodenreform ist eine faire Geschichte gewesen. Man muss das mal historisch betrachten: Das meiste war ja alles mal Bauernland. Und über die Jahrhunderte, zum Beispiel während des Bauernkrieges, ist das Land den Bauern weggenommen worden. Das hat die Kirche sich unter den Nagel gerissen, die Grafen und Fürsten haben es sich unter den Nagel gerissen und noch ein paar Möchtegerne mit einem »von« vor dem Namen – wenn der Bauer nicht gespurt hat, haben sie ihm den Kopf abgehackt und dann hatten sie das Land.
Und Aktuell:
Es ist ja auch diesen Herren – den Alteigentümern – heute noch ein Dorn im Auge, dass im Osten die Bauern Land haben. Wieder haben. Immer noch haben. Die haben ja auch viel unternommen, um die Bodenreform rückgängig zu machen. Nun ist es im Prinzip erledigt. Bodenreform bleibt. Aktuelle Probleme gibt es aus meiner Sicht mit den industriellen Käufern, die ihr Kapital in Land anlegen. Denen ist das Land aber scheißegal, die müssen nicht davon leben und die bezahlen horrende Preise, was du in drei Generationen nicht erwirtschaftest. Für die ist das eben ’ne Geldanlage.
Acker wird Ware?
Klar, Grund und Boden verfällt nicht, Geld verfällt. Das war schon immer so. Das ist für uns die größte Konkurrenz. Da spielt auch der Staat eine schlechte Rolle, die BVVG spielt eine schlechte Rolle. Das ist so eine Art Treuhand. Die verkaufen Land am teuersten, ihre Verpachtungen sind auch die teuersten. Und die Kirche spielt noch mit. Die hat die allerhöchsten Pachtpreise. Du musst ja immer das Verhältnis sehen: Was ernte ich von dem Acker, was bezahle ich für Pachten, was bleibt mir übrig, um vernünftige Löhne zu zahlen. Was bleibt mir übrig, um zu investieren. Weil irgendwann, wenn du nicht investierst, bist du tot. Das sind so Sachen, wo wir kämpfen müssen. Wir haben hier Käufe von Industriellen, die bezahlen fast jede Summe. Für Windräder. Für alle Fälle. Für industrielle Biogasanlagen, die Acker binden und mit Mais wirtschaften, wo wir schon von einer Vermaisung reden. Stell dir vor: Acker für 30 000 Euro, 40 000 Euro für einen Hektar.
Deutlich wird, dass es nicht nur um das Ackerland geht, mit dem Profit erwirtschaftet wird, sondern auch um die Produkte selbst. Der Handel treibt die Preise nach unten und die Landarbeiter_innen müssen sehen, wie sie würdig ihre Arbeit machen können oder nicht:
Ist das industriemäßige Landwirtschaft?
Industriemäßige Landwirtschaft ist es, aber man muss vorsichtig sein mit Begriffen. Zum Beispiel Massentierhaltung. Wir haben hier bei uns im Betrieb 700 Milchkühe stehen, und da ist die Diskussion: Ab welcher Größe ist es eine Massentierhaltung? Wir haben hier investiert auf absolutes Tierwohl – die Kuh muss alt werden und die muss auch entsprechende Leistung geben, sonst kommt sie weg. Das ist aber schon immer so in der Viehhaltung. Und da gibt es Diskussionen vom allerfeinsten über Turbokühe. Ich würde auch lieber Kühe haben, die 6000 Liter Milch geben im Jahr und viel länger leben, wenn der Preis vernünftig wäre. Wenn ich heute für 26 Cent einen Liter Milch produzieren muss, dann muss ich die maximale Leistung aus der Kuh rausholen, ansonsten kann ich den Viehhändler anrufen und sagen, hol die Kühe weg, und ich entlasse auf einen Schlag 14 Leute, die stelle ich auf die Straße, die sind dann arbeitslos, die können sich beim Amt melden, kriegen dann vielleicht Sozialhilfe oder Hartz IV. Ist das eine vernünftige Gesellschaft, die wir haben? Das ist doch nicht Sinn und Zweck des Arbeitens. Das ist doch Scheiße alles!
Und die Kämpfe der Welt?
Sie gehen von erfolgreichen Landlosenbewegungen, wie in Brasilien, Widerstand gegen Landraub, wie in Mali, kleinbäuerliche Saatgutproduktion für Ernährungssouveränität, wie von red de semillas in Kolumbien oder der Saatgutkampagne in der BRD.