Bertelsmann: Wie Deutschland mit Flucht und Migration sogar Plus macht

In der neoliberalen Welt wird gnadenlos gerechnet. Die Verunglimpfung von Menschen auf der Flucht und in der Migration als „zu teuer“ und ökonomische Last für Gesellschaft im allgemeinen und Sozialstaat im speziellen klingt also erstmal modern und zeitgeistkonform rational. Nichtsdestotrotz ist sie faktisch falsch. Darauf kam schon 2014 eine Studie im Auftrag der sicherlich jeder sozialromantischen Gutmenschelei unverdächtigen Bertelsmann-Stiftung:

Ausländer haben den Sozialstaat 2012 um 22 Milliarden Euro entlastet – 3.300 Euro pro Kopf. Noch stärker profitieren könnte Deutschland, wenn es mehr in Bildung investiert und auf qualifizierte Zuwanderung setzt.

Die Bundeszentrale für politische Bildung hebt hervor, dass sich dieser Betrag durch „Investitionen“ in Ausländer und Migranten sogar noch steigern lässt:

Eine deutliche Wirkung hätte etwa eine bessere Ausbildung und Qualifizierung. Würden die schon im Land lebenden Ausländer unter 30 Jahren das gleiche Bildungsniveau wie die durchschnittliche deutsche Bevölkerung gleichen Alters erreichen, erzielten sie auch höhere Einkünfte. Auf die Lebenszeit gerechnet könnte der deutsche Staat dann Mehreinnahmen von 118.400 Euro pro Person durch Sozialbeiträge bereits in Deutschland lebender Ausländer erwarten. Dies wären insgesamt 23,6 Mrd. Euro, die kostenneutral in die Qualifizierung und Weiterbildung junger Ausländer investiert werden sollten.

Diese Zahlen sind beeindruckend, da sich mit ihnen jede rassistische Hetze, die sich mittels Kosten-Nutzen-Argumentationen anzubiedern versucht, schnell zum Verstummen zu bringen ist. Allerdings vergiften die politischen Schlussfolgerungen, die die Studie auf der Basis dieser Zahlen formuliert, die weitere Argumentation und zeigen, dass die ökonomische Logik grundsätzlich ins Menschenverachtende mündet, da sie nicht den Menschen, sondern die schwarze Bilanz zum Zweck allen Treibens macht: Wenn Unternehmerverbände, Handelskammer und Bertelsmann für ökonomisch gebotenene Einwanderung werben, dann tun sie vielleicht in Ansätzen das richtige – aber aus den falschen Gründen: Sie suchen Fachkräfte, die auch noch anspruchslos und billig daherkommen, weil ihre mitgebrachten Ausbildungszeugnisse und -abschlüsse nicht anerkannt werden müssen. Falsch ist daran auf jeden Fall, dass diese Logik zwangsläufig auf die Sortierung von Menschen entlang ihrer Nützlichkeit und zur Abschiebung derer hinausläuft, die „weniger nützlich“ scheinen, was die Bertelsmann-Studie ausdrücklich empfiehlt:

Die deutsche Zuwanderungspraxis zur Abwicklung ökonomisch motivierter Migration hat sich in letzter Zeit schon ziemlich gut darauf ausgerichtet, Fachkräfte mit guten Integrationschancen am Arbeitsmarkt nach Deutschland zu holen. Damit bestehen für Deutschland prinzipiell gute Aussichten, durch eine systematisch an Humankapital
und Arbeitsmarktkriterien ausgerichtete und kontinuierlich betriebene Politik ökonomisch motivierter Zuwanderung eine spürbare fiskalische Entlastung für die Bevölkerung zu erzielen. (S. 60)

Die Studie wirbt so ziemlich unverblümt für den Braindrain zugunsten des Standorts Deutschland: Andere sollen ruhig ausbilden, ihre Kompetenzen gesellschaftlich wirksam werden lassen sollen die Gutausgebildeten der Welt dann aber gerne in Deutschland. „Um fähige Köpfe in einer Größenordnung anzuziehen, wie sie für eine merkliche Verbesserung der öffentlichen Haushalte benötigt wird, wird es auch darauf ankommen, die Willkommenskultur in allen gesellschaftlichen Bereichen weiter zu verbessern“, so die Studie in ihrem Fazit (ebd.).

Außerdem wirbt Bertelsmann noch für mehr Bildung, weil das den Ertrag steigere, der von der ausländischen Arbeitskraft abgeschöpft werden könne und sicherlich auch, weil der Bildungskonzern über das Framing seiner Bildungsmaterialien hofft, gesellschaftspolitischen Einfluss ausweiten zu können. Und alle zusammen spekulieren sie auf eine neue Runde der Entsicherung von Arbeitsverhältnissen und des Lohndumpings: Genau da spielen dann blankes Ressentiment der breiten Masse und massenmediale Desinformationskampagnen zu den „Kosten der Migration“ in die neoliberale Logik hinein: Sie schaffen die Stimmung, die wider besseres Wissen dazu führt, dass sich Menschen, die schon länger in diesem Land leben und arbeiten, gegen Menschen, die hinzukommen, auf der Flucht oder in der Migration, ausspielen lassen. Registrationsgegängel, Lagerunterbringung, Arbeitsverbote, Angst vor der Abschiebung zurück in Krieg und Armut sowie Illegalisierung befördern den Druck auf die migrantische Arbeitskraft und damit das grauschwarze Arbeitsmarktsegment, mit dessen Dumpingeffekten sich weitere Errungenschaften der Arbeiterbewegung werden schleifen lassen.

One Response to “Bertelsmann: Wie Deutschland mit Flucht und Migration sogar Plus macht”

  1. franziska frielinghaus,

    Auch die militärische Perspektive ist interessant: In der jungen welt ist zu lesen: „Gunnar Heinsohn erklärt es uns. Der Mann ist am NATO Defense College (NDC) in Rom für »Militärdemographie« zuständig und zugleich Mitarbeiter der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAK) in Berlin. Seine wissenschaftliche (?) Botschaft lautet: In den reichen NATO-Staaten schrumpfe die Bevölkerung. […] Zuwanderer oder Flüchtlinge haben einen Vorteil: Sie stellen eine Auswahl der Fittesten dar. Vor allem haben sie sich erfolgreich im Wettlauf Richtung EU durchgesetzt. Dieser ist kein sportliches Ereignis, sondern etwas, das die Briten »Rat race« nennen.

    Erstes Selektionskriterium: Sie sind angekommen. »Nur Asse passieren die Grenze«, sagt Heinsohn. Zweites: Sie sind noch erpressbarer und nehmen jede Arbeit an, ob hoch- oder nicht qualifiziert.

    Die Auswahl kann nach Auffassung des Militärdemographen auch auf andere Weise organisiert werden. Zum Beispiel durch E-Learning. Damit »kommen schon jetzt die besten Lehrer kostenlos auf die Smartphones der isoliertesten Dörfer«, zum Beispiel in Afrika. Wenn dann die Lernwilligen – Schulen brauchen sie dort im Busch ja wohl nicht – vor Ort europäische Leistungstests bestehen, können sie sich in der EU bewerben. Aber nur ein winziger Bruchteil wird durchkommen. Doch: »Jeder Bewerber aus Afrika muss allerdings in Rechnung stellen, dass sich in Pakistan und Bangladesh ebenfalls viele Konkurrenten auf dieselben Lebenswege vorbereiten.«“ Den ganzen Artikel gibt es in der jungen Welt zu lesen: http://www.jungewelt.de/2015/09-22/014.php

    Zu lesen ist da noch von Headhuntern in Flüchtlingscamps, der Forderung den lächerlichen Mindestlohn zu senken, um die neuen Arbeitskräfte besser integrieren zu können.
    Ich fass mal zusammen: Das deutsche Militär führt Krieg mit Produkten deutscher Industrie und beide streichen damit ihre Profite ein. Dort wo Krieg ist, oder auch sogenannte militärische Friedensinterventionen stattfinden, gibt es Menschen, die flüchten. Kommen sie in Deutschland an, werden die gleichen Militärberater zu Rate gezogen, um wiederrum der Industrie billigere Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. Die Armen arm halten und viel Geld mit ihnen machen.
    Was tun? Als Beschäftigte, Gewerkschafter*innen, beherrschte Klasse sich nicht spalten lassen, sich nichts vormachen lassen, sich nicht einschüchtern lassen, sondern gemeinsam kämpfen.

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