Schaut man sich den Inhalt des Gesetzentwurfs „über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin“ genauer an, dann wird ein weiterer Zug neoliberaler Transformation des Politischen deutlich: Heute kommen die konkreten, realpolitik-tauglichen Vorschläge zur Bearbeitung von Krisensymptomen und zur Einhegung von Protest nicht mehr von der linken oder rechten Sozialdemokratie, sondern aus den außerparlamentarischen protestgespeisten Initiativen selbst. Konkret: In Berlin führt der aktuelle akute Mangel an bezahlbarem Wohnraum für die verarmten Teile der Bevölkerung nicht mehr dazu, dass diese bzw. die aus ihrer Betroffenheit resultierenden Initiativen auf die Barrikaden gehen und „die Institutionen“ sich dann zur Aufrechterhaltung des sogenannten sozialen Friedens um Spaltung der Bewegung und Einbindung ihrer reformwilligen Teile bemühen müssen. Das erledigt die Bewegung jetzt gleich selbst. Zumindest lässt sich die Stoßrichtung des Gesetzesentwurfs, über den das Volk auf Initiative der Mietenbewegung entscheiden soll, so zuspitzen. Im einzelnen arbeitet das die Analyse der Online-Zeitschrift trend in einer ersten Kritik und in einer vertiefenden Beschäftigung mit dem „revolvierenden Fonds“ sehr deutlich heraus.
Den politischen Widerspruch, in den sich die Initiator_innen des Gesetzentwurfs bewegen, bringt das Mieterecho ganz gut auf den Punkt:
Generell bleibt festzuhalten, dass der Weg zu dem jetzt fertigen Gesetzentwurf für ein Volksbegehren auch ein beträchtlicher Desillusionierungsprozess für viele Akteure war. Denn es gibt sehr enge rechtliche Grenzen für bindende Plebiszite. Diese müssen sich auf ein eindeutig abgegrenztes Rechtsgebiet beziehen, das der Landesgesetzgebung unterliegt. Weder bundesrechtliche Fragen, wie die Kriterien des Mietspiegels oder Mietobergrenzen bei Neuvermietungen, noch Landes- und Bezirksangelegenheiten, die nicht per Gesetz, sondern per Verordnung geregelt werden, können Gegenstand eines landesweiten Volksbegehrens sein. Daher wurden auch Forderungen nach einem generellen Verbot von Zwangsräumungen und Ausweitung von Milieuschutzgebieten nicht in den Entwurf aufgenommen. Die Initiative betont daher, dass die Kampagne für das Volksbegehren weit über über den eigentlichen Gesetzentwurf hinaus gehen soll und alle relevanten wohnungspolitischen Fragen in den Fokus rücken werde.
Die Bewegung bzw. ihre relevanten „Organizer_innen“ haben sich für die Arbeit an einem „realistischen“ Gesetzentwurf entschieden und sich in der Folge allen legalistischen Sachzwängen unterworfen. Stattdessen wären Protest und Widerstand auf breiter Basis zu organisieren. Allenfalls ein „unrealistischer“ Gesetzesentwurf wäre interessant, um die Politisierung des Konflikts voranzutreiben und die traditionellen reformistischen Kräfte durch hohe Zustimmung für einen solchen in Zugzwang zu bringen (statt ihnen die Arbeit abzunehmen) und damit die Sachzwänge zum Bröckeln. Aber auch die breite Basis setzt ihre Prioritäten und sammelt Unterschriften für einen Volksentscheid, den die SPD guten Gewissens als zu subventionsorientiert kritisieren kann: Verkehrte Welt, früher organisierte der schwarz-rote Filz die Subventionen und soziale Bewegung wehrten sich gegen diese Umverteilungsmaschinerie. In der neoliberalen Stadt ist bürokratische Herrschaft erfolgreich modernisiert, indem sie outgesourct ist (neudeutsch für „ausgelagert“): Unbezahlte Aktivist_innen machen den Job auf jeden Fall billiger als Berufsreformisten in Verwaltung und Parteien. Ob sie ihn auch besser im Sinne der Armen und Abhängigen machen, darf angesichts des fehlenden außerparlamentarischen, antilegalistischen Widerstands bezweifelt werden.