„Der beste Augenblick in deinem Leben ist nicht morgen, sondern gerade eben. Der beste Augenblick in deinem Leben ist gerade eben jetzt gewesen.“ singt Bernadette la Hengst bereits 2002. In Zeiten von Selfies wird jeder Moment für Facebook, Twitter, Whatsapp oder sonst einen Ort im Internet, festgehalten. Ich kann mich in dem Ausschnitt, den mein Display mir gewährt, anderen zeigen. Der Versuch den Moment, in dem ich mich befinde, zu präsentieren, verhindert das Erleben dieses Momentes, Augenblicks. Und der Druck der Selbstinszenierung wächst.
In der FAZ fragt Andrea Diener:
Wie sind wir nur in diesen Zustand geraten, in dem wir nichts mehr live sehen, sondern alles nur noch durch einen iPhone-großen Ausschnitt? In eine Zeit, in der unentwegt live getwittert, gepostet, dank neuer Apps wie Meerkat auch live gestreamt wird? Sind wir denn so selbstlos, dass es uns wichtiger ist, andere teilhaben zu lassen, als den Moment für uns zu erleben? Oder sind wir so egoistisch, dass der Moment wertlos wird, wenn nicht mindestens drei Neider auf „Gefällt mir“ klicken?
Der festgehaltene Moment kann jede Alltagssituation sein:
Zugleich beschränkt sich die Dokumentation nicht mehr auf den Jahresurlaub und Weihnachten, sondern weitet sich auf alltägliche Situationen aus, die vor ein oder zwei Jahrzehnten kein Foto wert gewesen wären.
Es geht nicht um Egoismus und es geht nicht um die Neuheit der Medien, die einfach eine neue Form der Darstellung des Erlebten ermöglichen, um Bekannten und Kolleg*innen zu zeigen, wie schön der Urlaub war und wie toll Omas Geburtstagstorte aussah. Der springende Punkt am Selfie ist der Traum des entdeckt werdens als eine*r unter Millionen – ist der Traum vom Superstar, also nichts anderes als das Glücksversprechen vom Tellerwäscher zum Millionär.
Andrea Diener schreibt:
Es gab immer das Bedürfnis, das eigene Leben auszustellen, und es gab immer den Druck von außen, genau das zu tun. Es gab immer Konkurrenz, es gab immer Lästerei. Es gab aber auch immer Freunde, die sich ehrlich mit einem freuten. Weil die Menschen immer noch die gleichen sind, nur die Medien andere geworden sind. Aber wir werden – ein wenig Selbstkritik vorausgesetzt – auch damit umzugehen lernen.
Der kritische und vor allem auch souveräne Umgang setzt voraus, dass ich mein Selfietun als Arbeit begreife, da ich Informationen an Google und Facebook liefere, die damit Konsumentenprofile erarbeiten, die mir wiederrum suggerieren, was der nächste Augenblick sein müsste, den ich auf keinen Fall verpassen dürfe, um Teil dieser Welt – der kapitalistischen Konsumwelt zu sein. Dietmar Dath schreibt in Klassenkampf im Dunkeln:
Es gab in der Geschichte niemals Produktivkräfte, die sich aus den Produktionsverhältnissen sinnvoll hätten herausdenken lassen, in denen sie ihre Wirkung entfalteten. Umgekehrt gab es auch noch nie ein Produktionsverhältnis, das man hätte isoliert von den Produktivkräften studieren können, die es speisten. (Seite 70)
Wenn wir die Bereitstellung von Selfies als Arbeitszeit begreifen, würde das auch bedeuten, einen Selfiestreik anzetteln zu können, um die gewonnene Zeit nutzen, uns zu überlegen, wann uns unser Arbeitsverhältnis eigentlich das letzte Mal einen Urlaub ermöglichte. Um dann, vielleicht, mit all den Friends bei Facebook, Whatsapp, etc. organisiert für eine Veränderung eben dieses Zustandes zu kämpfen, für die schönsten Momente in der Streikzeitung.