In den vergangenen Wochen sind in verschiedenen Reihen der Rosaluxemburgstiftung einige kürzere Texte und Studien zum Thema Armut erschienen. Zusammen gelesen ergeben sie einen guten Einblick in Symptomatik und Ursachen, in die diskursive Verarbeitung des Phänomens und auch einen Ausblicke auf Lösungsansätze:
Was Ausdrucksformen von Armut angeht, so wirft das Phänomen der «Tafeln» ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Verfasstheit von Wirtschaft und Gesellschaft. An den Tafeln kommen überschüssige Waren und überflüssig gemachte Menschen zusammen – beide Ergebnis einer Produktionsweise, in der nicht die Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt stehen, sondern die Verwandlung von Geld in mehr Geld. Hier wird das, was im ökonomischen Tausch zu Müll geworden ist, an jene verteilt, die dem Kostensenkungszwang zum Opfer gefallen sind. Damit sind die Tafeln ein Ausdruck der zerstörerischen Dynamik kapitalistischer Warenproduktion. In dem Standpunktepapier mit dem Titel „Müll für Menschen“ geht es um die strukturellen Zusammenhänge von Armut und Überfluss, von Almosen- und Warenökonomie – und darum, dass nicht nur die Tafeln, sondern auch die sie verursachende Ökonomie und Politik abgeschafft gehören.
Vor diesem Hintergrund erscheinen die Aktivitäten von Zentralbanken nicht mehr als rein technische Verfahren: Bereitstellung von Geld, Senkung und Erhöhung des Leitzinses, Sicherung der Liquidität von Privatbanken, Verhinderung von Inflation und Deflation. Das Standpunktepapier „Verarmung Made in Frankfurt/M.“ legt dar, wie das Wirken der Zentralbanken gerade nicht – wie es die neoliberale Ideologie behauptet – von der Einflussnahme von Regierungen und Parlamenten «unabhängig» ist. Tatsächlich verberge sich hinter dieser vermeintlichen Entpolitisierung eine gezielte Festlegung der Zentralbanken auf die Vorgaben neoliberaler Geldpolitik. Da Zentralbanken in den gesellschaftlichen Verteilungskonflikten und damit bei der Produktion von Ungleichheit und Armut eine wesentliche Rolle spielen, sei die Europäische Zentralbank (EZB) denn auch in der Krise wie kaum ein anderer europäischer Staatsapparat ins Handgemenge politischer Auseinandersetzungen geraten, auch innerhalb der herrschenden Klassen, und sei zu einem der wichtigsten Akteure der autoritär-neoliberalen Krisenpolitik geworden.
Die Beiträge zur Tagung „Zwischen Skandalisieren und Verschweigen. Reichtum und Armut im öffentlichen Diskurs“ zeigen, wie das Thema Reichtum weitgehend als Blackbox behandelt wird. Reichtum werde nur aufgerufen als Gegenpart von Armut und als Indikator sozialer Ungleichheit. Als Zentrum gesellschaftlichen Einflusses auf alle Lebensbereiche – die Politik, die Wissenschaft, die Kunst, den Sport etc. – und als wirtschaftlicher Weichensteller mit seinen Anlage-, Verlagerungs- und Spekulationsentscheidungen komme er in den journalistischen Meinungsbeiträgen nur beiläufig vor. Dem entspriche eine Fahrlässig im öffentlichen Umgang mit dem Thema Armut, die zwar mit Sorge registriert, aber in Einzelteile zerlegt und so ihrer gesellschaftlichen Brisanz beraubt werde. Fahrlässigkeit zeige sich auch im Umgang mit den normativen Grundlagen der Chancengleichheit und der Sozialpflichtigkeit des Eigentums, die, wenn überhaupt, nur als untergegangene Ideale, nicht als ernst zu nehmende Ansprüche geltend gemacht werden.
Die Studie „Genug ist Genug. Möglichkeiten und Grenzen der Einkommensbegrenzung“ argumentiert, ausgehend von der immer wieder aufflammenden öffentlichen Empörung über die Höhe von Managergehältern einen flächendeckenden Mindestlohn. Denn die Schärfe, mit der die Diskussion um die Managergehälter geführt wird, mache deutlich, dass es in der Gesellschaft immer weniger Verständnis dafür gebe, dass die Kluft zwischen Arm und Reich wächst und wächst. Eine stark ungleiche Einkommensverteilung gefährde nicht nur den sozialen Frieden in einer Gesellschaft, sie sei auch eine Wachstumsbremse. Die vorgestellten Ideen zur Begrenzung der Managergehälter setzen jedoch allesamt auf eine höhere Belastung der BezieherInnen hoher Einkommen. Damit werde der Verteilungsaspekt aber nur von einer Seite angegangen. Angenommen, die BezieherInnen hoher Einkommen würden so besteuert, dass die Ungleichheit in der Gesellschaft signifikant sänke. Dann hätten die BezieherInnen niedriger Einkommen immer noch nicht zwangsläufig ein höheres Einkommen zur Verfügung. Steuerpolitik könne zwar der Umverteilung dienen. Wichtig sei aber auch die Frage, wofür die Steuereinnahmen verwendet werden. Hierbei sollte auf eine solide Finanzierung der Staatsfinanzen ebenso geachtet werden wie auf die Umverteilungseffekte, die etwa durch die kostenfreie Bereitstellung bestimmter Güter (Bildung, Impfungen etc.) erzielt werden können. Um die Einkommensungleichheit wirksam zu bekämpfen, müssten aber vor allem die Einkommen in den unteren Einkommensdezilen steigen. Dazu könne ein flächendeckender Mindestlohn nachhaltig beitragen.