Ich muss gestehen, ich war am Wochenende nicht vorm Parlament in #berlin bei dieser #occupy-Geschichte. Noch schlimmer, ich hab stattdessen das Treppenhaus gefegt und mein Zimmer aufgeräumt. Jaja, ich weiß, so wird das nichts mit #worldrevolution und #globalchange. Aber: Ich habe immerhin diesen SZ-Artikel von Pat Blashill vom 4. August wiedergefunden.
Den hatte ich quasi beinahe verbaselt, was schon schade gewesen wäre, weil er auf die popkulturelle Verarbeitung der gegenwärtigen Krise des Kapitalismus verweist. Pat Blashill ist der Meinung, dass in den US-Charts der sogenannte Empowerment-Pop großartige Erfolge feiert und beschreibt u.a. das Video von Ke$ha – We R Who We R, die da singt:
Tonight we’re going hard
Just like the world is ours
We’re tearin’ it apart
You know we’re superstars
We are who we are!
We’re dancing like we’re dumb
Our bodies go numb
We’ll be forever young
You know we’re superstars
We are who we are!
Stimmt schon, das ist mit Empowerment-Pop ganz gut charakterisiert. Der Soundtrack zum unternehmerischen Selbst gewissermaßen. Als ich den Artikel las, musste ich an das letzte Album der Goldenen Zitronen denken. Die haben auf einen Diskursstrang jensits von Empowerment-Pop aufmerksam gemacht, genauer auf audiovisuelle Sicherheitsdispositive in prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen. Sie schreiben auf ihrem Beipackzettel zum letzten Album „Die Entstehung der Macht“:
Die Goldenen Zitronen finden „Silbermond“ interessant, weil die deutschen Chart-Breaker seit einem ihrer letzten Hits sowas wie die unwidersprochene Speerspitze des popkulturell verhandelten Sicherheits-Dispositivs sind. Kein Grund, deswegen ausfällig zu werden, aber dass dieser jugendliche, im Video mit Demo-Bildern ausgestattete Wunsch nach Schutz und Stabilität so unbedarft regressiv daherkommt, gehörte mal thematisiert.
Das stimmt zweifellos, das gehört mal thematisiert! Silbermond beklagen in ihrem Song „Irgendwas bleibt“ die Herrschaft durch Kontingenz:
Diese Welt ist schnell
und hat verlernt beständig zu sein.
Denn Versuchungen setzen ihre Frist.
Doch bitte schwör, dass wenn ich wieder komm,
alles noch beim Alten ist.Gib mir’n kleines bisschen Sicherheit
in einer Welt in der nichts sicher scheint.
Gib mir in dieser schnellen Zeit irgendwas das bleibt.Gib mir einfach nur’n bisschen Halt.
Und wieg mich einfach nur in Sicherheit.
Hol mich aus dieser schnellen Zeit.
Nimm mir ein bisschen Geschwindigkeit.Gib mir was.. irgendwas, das bleibt.
Die Goldenen Zitronen weisen vor allem auf das Video von Silbermond hin. Die Sängerin von Silbermond spaziert hier durch einen eingefrorene Riot-Szene. Unsicherheit erscheint also nicht als Prekarität – als Bedrohung durch Arbeitslosigkeit in prekären Arbeitsverhältnissen -, was ja naheliegend wäre. Unsicherheit erscheint als Straßenschlacht. Naja, das haben die Goldenen Zitronen ja bereits ganz treffend beschrieben.
Ich dachte also, dass es ja lohnen könnte, mal die aktuellen deutschen Sigle-Charts anzuschauen. Was überwiegt? Sicherheits-Dispositiv oder Empowerment-Pop?
Okay, das war im Goßen und Ganzen keine sinnvolle Versuchsanordnung. Die Plätze eins bis sechs können hier getrost unter den Tisch fallen. Sicherlich hier und da Empowerment, aber – gerade in den Videos – vor allem sexistische Kackscheiße und männliche Omnipotenzwünsche. Ja aber wo bleibt denn jetzt die Krise? Auf Platz neun, immerhin, will Tim Bendzko „Nur Noch Kurz Die Welt Retten“:
Muss nur noch kurz die Welt retten, danach flieg ich zu dir.
Noch 148 Mails checken wer weiß was mir dann noch passiert denn es passiert so viel
Muss nur noch kurz die Welt retten und gleich danach bin ich wieder bei dir.
Irgendwie bin ich spät dran, fang schon mal mit dem essen an. Ich stoß dann später dazu. Du fragst wieso weshalb warum, ich sag wer sowas fragt ist dumm. Denn du scheinst wohl nicht zu wissen was ich tu. Ne ganz besondere Mission lass mich dich mit Details verschonen. Genug gesagt genug Information.
Ja, doch, dass ist schon irgendwie Empowrment-Pop. Eine größenwahnsinnige Variante des Empowerment-Pops, wenn Tim Bendzko sich das alles ganz alleine und nur mit seinem Laptop vornimmt. Empowerment-Pop im Sinne der Piraten-Partei vielleicht. Aber auch hier wieder das Bild der Instabilität: „…denn es passiert so viel“.
Auf Platz 96 (erst) dann noch die idealtypische deutschsprachige Version von Empowerment-Pop a la Ke$ha: Caspar mit So Perfekt:
Bist du der, der sich nach vorne setzt? Den man beim Sport zu letzt wählt?
Sich quält zwischen Cheerleadern und Quarterbacks?
Den man in die Tonne steckt? Nicht dein Tag, jahrelang
Dann in der Abschlussnacht ganz allein zum Ball gegang‘
Doch wenn schon scheiße Tanzen dann so, dass die ganze Welt es sieht
Mit Armen in der Luft, beiden Beinen leicht neben dem Beat
Und wenn du mit der Königin die Fläche verlässt, sag dir
diese Welt ist perfekt! Perfekt
Also ich muss gestehen, dass mir ziemlich schnell langweilig wurde. Seeed war mit ihrem Molotov auf Platz 20 durch den Videodreh am Kottbusser Tor vielleicht ein Lichtblick für Kreuzberger Lokalpatrioten. Und ein bisschen auch durch den Text:
Vom 1. bis 4. Stock,
und im ganzen Block,
Boxenalarm, tanzender Mob.
Vermummte auf’m Dach,
Barrikaden aus Schrott,
Der Barmann mixt im Namen von Molotov
Das ist dann wohl der Kreuzberger-1. Mai-Empowerment-Soundtrack. Die Suche nach audiovisuellen Sicherheitsdispositiven war zeimlich erfolglos. Und Silbermond selbst macht ja anscheinend gerade Pause. Bosse mit Frankfurt Oder auf Platz 62 lässt sich mit etwas Wohlwollen als Sicherheitsdispositiv-Pop lesen, als Lob der Heimat und der einfachen, übersichtlichen Verhältnisse:
Nichts ist besser als mit dir zu überwintern
Manche fliegen in den Süden
Um sich warm zu halten
Doch wir haben keine Kohle und du Angst vorm fliegen
Und wir besuchen deine Eltern
in Frankfurt Oder
Vielleicht ist das aber auch GÜRTEL-ENGER-SCHNALLEN-Pop.