Linkspartei geht in die Opposition

Abgeordnetenhaus absurd: Laut Ex-PDS tragen alle Parteien Schuld an der Krise der Wohnungsbaugesellschaft Mitte. Die SPD kann sich nicht auf die Zahl landeseigener Wohnungen einigen. Und die Opposition vermisst die Regierung

Mit Dialektik lässt sich vieles belegen. Auch Dinge, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören. Davon machte gestern in der aktuellen Stunde des Abgeordnetenhaus nicht nur die Linkspartei Gebrauch. Aber sie tat es am wagemutigsten. In der Debatte über die Zukunft der hoch verschuldeten Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) warfen sich die Parteien gegenseitig Versagen bei der Sanierung des landeseigenen Unternehmens vor. Das ist nicht weiter erstaunlich. Aber der wohnungsbaupolitische Sprecher der mitregierenden Linken, Michail Nelken, schaffte es, der Opposition Versagen vorzuwerfen. Und das ging folgendermaßen.
„Die Sanierung der kommunalen Wohnungswirtschaft ist nach wie vor eine ungelöste Aufgabe“, rief Nelken in die Abgeordnetenreihen. Eine „planlose und verantwortungslose Politik des Eigners“ habe die Landesunternehmen in teilweise desolate Lagen getrieben. Nach vier Jahren Senatsbeteiligung der Ex-PDS regte sich bei seiner Fraktion folgerichtig keine Hand zum Applaus.
Doch dass die mit 1,2 Milliarden Euro verschuldete WBM vor der Insolvenz stehe und nun bis zu 15.200 Wohnungen verkauft werden, daran trage ja nicht nur der rot-rote Senat Schuld. „Die Opposition schwächelt“, urteilte Nelken. Seine einleuchtende Begründung: Spätestens seit dem Verkauf des landeseigenen Wohnungsunternehmens GSW im Jahr 2004 hätten CDU, FDP und Grüne genug Gründe gehabt, den Senat anzugreifen. Wenn die Regierung schlechte Politik macht, sollte das wohl heißen, hat die Opposition was falsch gemacht.
Das ist besonders erstaunlich, wenn man bedenkt, dass sich die LinksparteilerInnen noch am Mittwoch als Hüter des kommunalen Wohnungsbaubestandes geriert hatten. Ein weiterer Ausverkauf der noch 275.000 Wohnungen sei mit ihnen nicht zu machen, hatte die Linke-Fraktion einstimmig beschlossen. Und damit auch nicht der massive Verkauf von WBM-Wohnungen noch in diesem Jahr, wie er von Senat und Aufsichtsrat geplant ist. Stattdessen müsse ein neues Sanierungskonzept auf den Tisch, eine Alternative zum bisherigen Vorhaben, durch Verkäufe Schulden abzubauen.
Das Debatten-Niveau stieg nur langsam. Für den Koalitionspartner SPD forderte Fraktionschef Christian Gaebler 280.000 Wohnungen in Landeshand. Wenig später rechnete sein Parteifreund, der wohnungspolitische Sprecher Bernd Schimmler, vor, dass Berlin schon heute unter dieser Marke liege – bei 277.000 Wohnungen. Mit denen ließe sich, wie auch von der Linkspartei gefordert, der Mietmarkt der Stadt beeinflussen. Das unterbot Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer. 250.000 Wohnungen könnten aus Sicht der SPD-Politikerin auf lange Sicht in Landeshand bleiben.
Die Opposition – zumindest die nicht regierende – zeigte sich verwirrt: „Was will diese Koalition?“, fragte Alexander Kaczmarek (CDU). Seit Jahren verkaufe der rot-rote Senat Wohnungsbestände, doch ohne Nutzen für die noch heute auf rund 8 Milliarden Euro Schulden sitzenden Unternehmen. Die WBM-Krise sei da nur die „Spitze des Eisberges“ und spätestens seit dem Jahr 2003 bekannt.
Für die Grünen warf Haushaltsexperte Oliver Schruoffeneger dem Senat deshalb „Verlogenheit“ vor und urteilte: „Sie haben zwei weitere Jahre verschenkt.“ Die Grünen forderten die Zusammenlegung der sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen und eine gleichmäßige Verteilung der Immobilien über die zwölf Bezirke.
Aus FDP-Sicht könnte sich die hitzige WBM-Debatte bald von selbst erledigen. Spätestens mit dem Auslaufen komplizierter Leasing-Verträge in wenigen Jahren, sagte Christoph Meyer, „fliegt wieder alles in die Luft“.
MATTHIAS LOHRE // taz Berlin lokal vom 17.2.2006

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