28. September 2005 Mittwoch morgen vor der Küste Korsikas: 50 Männer einer Spezialeinheit der französischen Gendarmerie seilen sich von fünf Hubschraubern auf ein Fährschiff ab. Vermummt und in schwarzen Kampfanzügen nehmen sie etwa 30 Gewerkschaftsmitglieder fest und steuern auf das französische Festland zu. Die Szenen erinnern mehr an einen Bürgerkrieg als an eine Auseinandersetzung um ein Wirtschaftsunternehmen.
Angehörige der korsischen Gewerkschaft STC hatten das Fährschiff namens Pascal Paoli – benannt nach einem korsischen Freiheitskämpfer – am Vortag entführt, um gegen die Privatisierung der staatlichen Fährgesellschaft SNCM zu protestieren. Die Festnahme der Schiffsentführer rief im korsischen Bastia wenige Stunden später Hunderte von Demonstranten auf den Plan, die unter anderem eine Kreuzung blockierten. In der Nacht zum Vormittag war es in Korsika sowie in Marseille bereits zu gewalttätigen Demonstrationen gekommen, die Polizeikräfte mit Tränengas beantworten mußten. Paletten wurden in Brand gesetzt, es flogen Steine, und Lastwagen wurden angezündet.
Hafen von Marseille bleibt blockiert
Unterdessen blieb der Hafen von Marseille, der größte Frankreichs, am zweiten Tag hintereinander blockiert. Hafenarbeiten schlossen sich dem Streik der Fährbeschäftigten an. Die Proteste dauern bereits mehr als eine Woche. In der vergangenen Woche wurde auch der SNCM-Chef Bruno Vergobbi fast einen Tag lang an Bord eines Schiffes festgehalten.
Die Proteste zeigen eine zunehmende Radikalisierung am linken Rand der Gewerkschaftsbewegung. In Marseille gibt die kommunistische CGT den Ton unter den Arbeitnehmervertretern der SNCM an, die vor allem zwischen der französischen Mittelmeerküste, Korsika sowie Algerien und Tunesien verkehrt. Auf der korsischen Seite ist es die STC, die auch in Verbindung zur korsischen Freiheitsbewegung steht. Nicht selten schaukeln sie sich gegenseitig zu gewalttätigen Aktionen hoch. Als es am Dienstag zur Entführung der „Pascal Paoli“ kam, wollte die Regierung jedoch nicht länger zusehen, auch wenn sich keine Passagiere an Bord der SNCM-Fähre befanden. Mit Genehmigung des Premierministers Dominique de Villepin befahl Verteidigungsministerin Michele Alliot ihren Elitekräften die Stürmung des Schiffes. Anschließend gratulierte sie diesen zu einem „perfekten Erfolg“.
In wirtschaftlicher Hinsicht zeigt sich die Regierung jedoch nachgiebiger. Am Dienstag abend kündigte Transportminister Dominique Perben an, daß die Regierung doch nicht 100 Prozent der SNCM verkaufen, sondern eine Minderheitsbeteiligung behalten wolle. Linke Politiker und Gewerkschaften fordern dies, „um die Zukunft des Unternehmens zu sichern“. Dabei erlebte die SNCM gerade im Staatsbesitz ihren Niedergang und steht heute am Rande des Bankrottes. Daran erinnerte am Mittwoch der Geschäftsmann Walter Butler, der eine Beteiligungsgesellschaft für Sanierungsfälle führt. Er will SNCM übernehmen und hat dafür bereits die Zusage der Regierung erhalten. Eine Minderheitsbeteiligung des Staates scheint er zu akzeptieren, alleine schon weil er auf eine Wiederherstellung des sozialen Friedens hofft – was derzeit freilich wie ein frommer Wunsch wirkt. Butler will 35 Millionen Euro für die Übernahme der SNCM bezahlen und 350 bis 400 der knapp 2400 Stellen streichen. Vom Staat verlangt er die Übernahme von 82 Millionen Euro Schulden und die Teilnahme an einer Kapitalerhöhung für 31 Millionen Euro. Am Mittwoch sagte er, daß er eine Minderheitsbeteiligung des Staates von 15 bis 20 Prozent prüfen werde. Das Erreichen der Gewinnzone in vier Jahren hält er für möglich.
„Abenteurer des Finanzwesens”
Für die Gewerkschaften sind Investoren wie Butler ein rotes Tuch. Sie gelten als kaltherzige Kapitalisten, die zur Gewinnmaximierung möglichst viele Stellen abbauen wollen. Die Regierung fand bisher freilich keinen Kaufinteressenten aus der Fährbranche, der sich auf das Abenteuer eines SNCM-Kaufes einlassen wolle. Neben Butler bewarb sich nur noch eine andere finanzorientierte Beteiligungsgesellschaft. Butler, Sohn eines Amerikaners und einer Brasilianerin, hat eine typisch französische Beamtenkarriere mit der Absolvierung der Eliteschule ENA und dem Eintritt in die Finanzinspektion hinter sich. In den achtziger Jahren aber wechselte er zur Investmentbank Goldman Sachs. Mit guten Kontakten zu französischen Spitzenpolitikern sowie Führungskräften der Wirtschaft ausgestattet, startete er Anfang der neunziger Jahre seinen ersten Fonds.
Die CGT bezeichnete Butler schon 1996 als „Abenteurer des Finanzwesens”. Daß Finanzinvestoren auch in Frankreich zunehmend zur wirtschaftlichen Normalität gehören – mangels anderer Investoren -, wollen die französischen Gewerkschaften nicht wahrhaben. Im Fall der SNCM glauben sie zusammen mit der sozialistischen Partei, daß die Regierung ein Unternehmen „verschleudere“, denn alleine die Aktiva der SNCM seien 500 Millionen Euro wert. Daß die Fährgesellschaft hoch verschuldet ist und bei sinkendem Umsatz seit fünf Jahren Verluste schreibt, unterschlagen sie.
Die korsische Note verleiht dem Streit um die SNCM-Privatisierung unterdessen eine besondere Radikalität. Die Gewerkschaft STC ist in den Unternehmen auf der Insel eine einflußreiche Kraft. Die Marineabteilung, angeführt von dem Korsen Alain Mosconi, gilt dabei als „Staat im Staat”. Während andere STC-Mitglieder versuchen, ihre Unabhängigkeit vom gewaltbereiten Teil der korsischen Autonomiebewegung zu demonstrieren, zeigt Mosconi offen seine Sympathien. Mosconi führte denn auch persönlich die Entführung des SNCM-Schiffes an. Nach Aussagen der Staatsanwaltschaft von Marseille drohen ihm nun 20 Jahre Haft. Allerdings sind in Frankreich in der Vergangenheit etliche Verfahren gegen gewalttätige Gewerkschaftsmitglieder im Sande verlaufen, vor allem wenn es sich um Prominente handelt.
Von Christian Schubert
Quelle: F.A.Z., 29.09.2005, Nr. 227 / Seite 20
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