Ablenkungsmanoever

Es war absehbar. Die Machenschaften rund um Immobilienverkäufe der Suva im Tessin haben dazu geführt, dass einige damit ihr politisches Süppchen kochen. Die SVP reagierte einmal mehr am schnellsten. Sie fordert die Privatisierung der Unfallversicherungsanstalt. Der unterstellte Zusammenhang zwischen den bisher sieben Verhaftungen (darunter der ehemalige Immobilienverantwortliche der Suva) und der Privatisierung lautet dabei wie folgt: Wäre die Suva eine private Versicherung, wäre dies nicht passiert. So einfach und so knapp drückt sich etwa SVP-Nationalrat Guy Parmelin aus. Dabei geht vergessen: Selbst private Unternehmen – siehe Banken – sind gegen massive Verluste und illegale Praktiken im Immobiliensektor nicht gefeit.
Auch wenn also nicht ganz klar wird, wo der Zusammenhang zwischen einer Privatisierung der Suva und den mutmasslich (noch ist nichts bewiesen) luschigen Immobilientransaktionen liegt, ist das Thema «Privatisierung» selbstverständlich diskussionswürdig. Es wurde denn auch bereits ziemlich ausgiebig darüber gebrütet, und zwar vor der geplatzten Immobilienaffäre. Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass eine Studie aus der Feder des St. Galler Wirtschaftsprofessors Franz Jaeger erschienen ist, der im Auftrag des Bundesrates eine «Kosten-Nutzen-Analyse» der Suva erstellt hatte. Diese fiel durchaus positiv zugunsten der heutigen Regelung aus, auch wenn Jaeger selbst einer Privatisierung wohlwollend gegenübersteht.
Im Schlussbericht der Studie steht zum Beispiel: «Im gegenwärtigen Zustand können keine bedeutsamen Ineffizienzen festgestellt werden.» Und: «Die Suva schneidet – im Vergleich mit den privaten Unfallversicherern – hinsichtlich des Verhältnisses von Versicherungsleistungen und Einnahmen aus Sicht der Versicherten gut ab.» Bei der Suva fallen keine Kosten für Werbung und Ähnliches an, und die Verwaltungskosten sind tief, was bei einem (Teil-)Monopol allerdings auch nicht weiter überrascht. Negativ verbuchen könnte man, dass bei monopolartigen Gebilden die Innovation gerne etwas zu kurz kommt.
Doch wie auch immer, die Frage der Privatisierung lenkt zurzeit lediglich vom akuten Problem ab, dem die Suva gegenübersteht. Die Suva-Führungsriege muss nun alles daran setzen, dass sie den Reputationsverlust, den sie sich eingehandelt hat, einigermassen begrenzen kann. Die Strafuntersuchungen liegen in den Händen der Tessiner Behörden. Doch dem Verwaltungsrat, in dem nicht weniger als 40 Arbeitgeber-, Arbeitnehmer- und Bundesvertreter sitzen, obliegt es, die internen Konsequenzen zu ziehen – und zwar rasch und in transparenter Weise. Sonst ist das politische Süppchen noch lange nicht gegessen.
24. September 2005, Neue Zürcher Zeitung

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