Demokratisierung der Produktion: Semco in Brasilien

Ricardo Semler hat nach seinem Antritt als Chef im Konzern seines Vaters die Spontaneität einer Rock-Band in die Firma gebracht: Angestellte sollten ihre Arbeitszeiten selbst festlegen, am Gewinn beteiligt werden, sich ihre Chefs selbst aussuchen. Der Arbeitgeberverband witterte – es waren die achtziger Jahre – Kommunismus. Wohl auch deshalb, weil Semler Geld für den Wahlkampf des Kandidaten der linken Arbeiterpartei (PT) und heutigen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva sammelte – obwohl er selbst in der sozialdemokratischen PSDB ist. Ein Unternehmer hilft den Arbeitern? Das passte nicht ins Weltbild. Doch allein konnte Semler keine Revolte anzetteln. Um seine wilden Ideen umzusetzen, holte er Clovis Bojikian als Personalchef zu Semco – um später die Personalabteilung in der Firma ersatzlos zu streichen. Bojikian – ein Mann mit Nickelbrille und Kaiser-Wilhelm-Bart, dessen Enden er alle paar Minuten hochzwirbelt. In den sechziger Jahren leitete der Pädagoge eine Modellschule, von der Art eines brasilianischen Summerhill. Die Schüler arbeiteten in Kleingruppen, sie sollten zu kritischen Persönlichkeiten erzogen werden und wurden in Sexualkunde unterrichtet. Für die damals herrschende Militärdiktatur eine Zumutung. Die Generäle brandmarkten die Schule als subversiv, Bojikian wurde geschasst und suchte sich einen Job in der Industrie. Mehr lesen

Geldvermögen vs. Staatsverschuldung

Immer wieder wird in den Medien über die enorme Verschuldung der öffentlichen Haushalte geklagt und die Entwicklung der Geldvermögen werden dabei konsequent ausgeblendet. Kredite und Guthaben sind jedoch die beiden Seiten derselben Medaille, ohne Guthaben keine Kredite und umgekehrt. Aus der Gewerkschaft kam jetzt die Idee, der Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler ein Zählwerk für die Entwicklung der Geldvermögen gegenüber zu stellen. Diese Vermögensuhr sollte in der Lage sein, die immer wieder erhobene Behauptung, wir hätten über unsere Verhältnisse gelebt, optisch auf einen Blick erfaßbar zu widerlegen und stattdessen den Zusammenhang zwischen öffentlicher Verschuldung.

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Debatte zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes. 3. Korb

Seit 2009 laufen die Vorbereitungen für eine neue Änderung des Urheberrechtsgesetzes mit dem so genannten „3. Korb“. Der „2. Korb“ 2008 hatte viele Wünsche und Forderungen unerfüllt gelassen und so wird nun das UrhG mit einem weiteren „Korb“ ergänzt und – hoffentlich – nachhaltig verbessert. Diverse Interessenverbände und Bedenkenträger-Organisationen positionieren sich, gulli.com hat eine sehr interessante Serie dazu gemacht:

Google Streetview reiten!

Streetview in BedrängnisGoogle Streetview mag zwar gegen „alt-europäische“ Vorstellungen von Privatsphäre und Datenschutz verstoßen. Aber eignet sich der Dienst nicht wenigstens bei der Vermögensumverteilung von unten als Hilfsmittel – bei der Suche nach geeigneten Objekten? Googles Cheftechniker sagt natürlich: Nein, „es gibt nirgends in Europa Beweise, dass die Zahl der Einbrüche gestiegen ist, seit es Street View gibt. Einbrüche geschehen meist spontan und wenn es sich um organisierte Kriminalität handelt, kundschaften die Verbrecher lieber die Gegend mit dem Auto aus, um die genauen Bedingungen am Einbruchstag abzuchecken“ (Mehr dazu bei golem.de). Auf jeden Fall treibt die systematische Abfotografiererei menschlichen Straßen- und Städtebaus erheiternde Blüten, die eine Fotostrecke der Süddeutschen Zeitung dokumentiert.

Neues Buch zur Theorie des bürgerlichen Privateigentums

haslbauerEigentum – einen Gegenstand ideell als Seinen zu nehmen – ist heutzutage das Selbstverständlichste von der Welt. Der weltweit gültige Konsens kontrastiert mit einer offensichtlichen Unkenntnis, was für ein Verhältnis die Menschen mit dem Eigentum zum einen zu sich, aber auch zu den Dingen und letztlich den anderen Menschen einnehmen. Mit der Rückführung von Eigentum und Person auf ihren gesellschaftlichen Grund erweisen sich diese Inbegriffe individueller Freiheit ausgerechnet als Dienstbarkeit für das Prinzip bürgerlichen Wirtschaftens, den »Heißhunger nach Mehrarbeit«. Es erhellen sich in der Folge die bekannte Deformation des Individuums wie die Korrosion der menschlichen Beziehungen, und letztlich auch der fatale Wille zur Unterwerfung unter eine allmächtige gesellschaftliche Instanz. Mehr lesen

Leipziger Wasserwerke stolpern über Spekulation

Die Zeitschrift „Wirtschaft&Markt. Das ostdeutsche Wirtschaftsmagazin“ veröffentlicht in ihrer Juni-Ausgabe unter dem Titel „Millionen versenkt“ einen längeren Beitrag über die Vorgänge um zweifelhafte Geschäfte der Leipziger Wasserbetriebe. Seit Dezember 2009 untersucht die Staatsanwaltschaft die Vorgänge um CBL-Geschäfte des Unternehmens; auch geht es um Korruption. Weitere Informationen zu dazu finden sich auch bei der Fraktion der Linken im Stadtrat sowie in einer Stellungnahme des Antiprivatisierungsnetzwerkes.
Bemerkenswert ist folgende Passage in dem erwähnten Artikel: „Jung [der Oberbürgermeister von Leipzig] … lehnt jede persönliche Verantwortung ab, räumt aber ein, dass Blatz und Senf [die Vermittler des Geschäfts] leichtes Spiel in den städtischen Großbetrieben gehabt hätten, weil sich dort eine von der Mehrheit der Aufsichtsräte gestützte und wenig kontrollierte Selbstherrlichkeit unter den Geschäftsführern entwickelt habe.“

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Keine Illusionen, was Verstaatlichung angeht

Mal wieder gelesen: J. Agnolis Beitrag zur Staatstheorie („Der Staat des Kapitals“). Agnoli wartete mitte der 1960er Jahre mit einer fulminanten, bis heute ergiebigen Kritik der demokratischen Institutionen („Transformation der Demokratie“) auf. Dem ließ er etwa 10 Jahre später eine Kritik der Staatsauffassungen sowohl der Bürgerlichen als auch der Stamokapler folgen. Im „Staat des Kapitals“ lotete er auch die Möglichkeiten eines linken und (vermeintlich) radikalen Reformismus aus und lieferte einen selbst heute noch über weite Strecken überzeugenden Beitrag zur staatstheoretischen Debatte. Zwar finden aus heutiger Sicht der Weltmarkt und die globalen Finanzmärkte zu wenig Berücksichtigung in Agnolis Argumentation. Aber auf keinen Fall macht Agnoli sich (und seinen Leser_innen) Illusionen, was die emanzipatorischen Potentiale von Verstaatlichung angeht:

Das besagt sicherlich nichts über mögliche, taktisch-strategische Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit partieller Verstaatlichungsmaßnahmen, etwa im kommunalen Bereich. Aber die politische Illusion und die strategische Globalhoffnung müssen ausgeräumt werden, Verstaatlichung im Kapitalismus (wahrscheinlich „Verstaatlichung“ überhaupt) ändere fundamental die Produktionsweise und damit auch die Klassenlage der Arbeiter einerseits, den Waren- und Tauschwertcharakter der produzierten Güter andererseits. Statt dessen stellt sich eher eine bedenkliche Seite ein, die mit dem politisch-ideologischen, allgemeinen Charakter des Staats zusammenhängt und die zur Vortäuschung einer der Allgemeinheit verpflichteten Eigenschaft des Betriebs führen kann und die Möglichkeit einer einheitlichen Kampffront bei Lohn- und gesellschaftspolitischen Konflikten beschneidet.

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Neues Buch: Reclaim the Budget. Staatsfinanzen reformien

Reclaim the BudgetDer »Donner der Weltgeschichte«, so Josef A. Schumpeter, sei nirgendwo so deutlich zu hören wie in der Finanzgeschichte. Das mag übertrieben sein, aber zweifellos stehen auch die öffentlichen Finanzen, heute immerhin 44 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts, im Zentrum sozialer und politischer Auseinandersetzungen. Dabei geht es um die Zukunft des Staates und das öffentliche Eigentum, eine gerechte Steuer- und Abgabenpolitik, die Bereitstellung öffentlicher Güter, die Staatsverschuldung oder um finanzpolitische Herausforderungen der demografischen Wende. Ausgehend von einer systematischen Darstellung und Kritik der Staatsfinanzen, der Haushalte von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen mitsamt ihren Ziel-, Macht- und Entscheidungsstrukturen führt Jürgen Leibiger ein in die Grundrisse einer kritischen Finanzwissenschaft und in eine alternative, sozialökologischeFinanzpolitik, deren Motto auf demokratische Kontrolle abstellt und lautet: »Reclaim the Budget – Fordert die Budgethoheit«. Weiterlesen im Buch selbst, dem Unterkapitel „New Public Management, Privatisierung und Konkurrenzprinzip“ und dem gesamten Hauptkapitel „Das öffentliche Eigentum gestalten“.

Neues Buch von Negri und Hardt: Common Wealth. Das Ende des Eigentums

Negri/Hardt: Common WealthIn der momentanen Krise wächst das gesellschaftliche Unbehagen am Kapitalismus. Viele Menschen fragen jetzt nach einer menschlicheren Alternative des Zusammenlebens. Eine Gesellschaft jenseits von Maximen wie Profit, Konkurrenz und Besitzdenken – ist das möglich? Michael Hardt und Antonio Negri, Autoren des Bestsellers »Empire«, entwickeln in ihrem neuen großen Werk einen provozierend optimistischen Gesellschaftsentwurf. Dieser beruht nicht mehr auf dem neoliberalen Gegensatz von Privatbesitz und öffentlichem Eigentum, sondern auf der Idee des Gemeinsamen (»common«). Ressourcen wie Wasser, Luft und Pflanzen und immaterielle Güter wie Wissen und Information gehören uns allen. Wenn wir sie teilen, wird der Weg frei für eine gerechtere Gesellschaft, an der alle partizipieren können. Mehr lesen beim Verlag und in einer kurzen Besprechung im ak.

ak: Schwerpunkt Commons

Im ak 549 vom 16.4.2010 ein Schwerpunkt zu Commons:

Antikapitalistischen Frühjahrs-Kampagne 2010

staat-nation-scheisse
In der Krise spricht nicht mehr gegen den Kapitalismus als sonst. Die Bilder einer Lebenswelt staatlich garantierter Sicherheiten, in der das Glück der Menschen in einem schlechten Job, einem Auto und einem Reihenhaus mit Grillparty-Garten besteht, dürften einer Linken nicht weniger die Kotze hochkommen lassen, als der Blick auf die aktuellen Entwicklungen der kapitalistischen Welt. In einer Phase, in der sich auch die Lebensbedingungen vieler Menschen im Einzugsbereich der deutschen und europäischen Linken schlagartig verschlechtern, gibt es allerdings kein Grund zur Bescheidenheit, denn gleichzeitig wachsen die technologischen Möglichkeiten der Abschaffung von Mangel, Hunger, Krankheit, Armut und Langeweile stetig. Die unbeholfenen Staatsappelle der Sozialstaatsnostalgiker_innen und die fast schon hilflos anmutenden Rettungsaktionen der Regierungen verdeutlichen: Die Utopie einer befreiten Gesellschaft, in der der materielle gesellschaftliche Reichtum tatsächlich allen Menschen zur Verfügung steht, ist das einzige realisierbare „Rettungspaket“, das seinen Namen verdient. Die Krise wird viele Menschen in existenzielle Not stürzen. Ihnen könnte daher der Widerspruch von Möglichkeit und Wirklichkeit unmittelbar einleuchten. Da allerdings selbst eine gerechtere Produktion und Verteilung von Gütern noch keine Emanzipation mit sich bringt, muss eine radikale Linke die genannten Widersprüche nicht nur theoretisch kritisieren, sondern auch die politische Praxis und selbstbestimmte und basisdemokratische Organisierung als Mittel ihrer Kritik verstehen. Dabei darf sie nicht vergessen, dass eine Kritik am Kapitalismus immer die Kritik an Herrschaft beinhalten muss. – Sexismus, Rassismus und Antisemitismus sind zwar historisch untrennbar mit kapitalistischen Herrschaftsverhältnissen verwoben, jedoch auch nach der Abschaffung des Kapitalismus weiter denkbar. Mehr lesen

Bericht vom Treffen der PPP-Privatisierungslobby in Weimar

In der vergangenen Woche fand in Weimar das 10. Betriebswirtschaftlichen Symposium Bau an der Bauhaus-Universität statt. Attac, ver.di und Transparency International hatten in diesem Jahr die Gelegenheit auf einer Podiumsdiskussion Pro-Kontra PPP im Rahmen der Konferenz ihre Kritikpunkte an diesem Modell der Privatisierung vorzutragen. Hier einkopiert ein Bericht der ebenfalls auf meinem Blog veröffentlicht ist:

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Neuauflage der Staatsaufgabenkritik als Privatisierungsmotor

Die Koalitionsvereinbarung hat eine ganze Reihe von Ansätzen zur Fortsetzung des Privatisierungskurses eröffnet. Dabei ist die Privatisierung der Bundesbahn nur ein Posten. Langfristig wichtiger ist die mehrfach angesprochene Notwendigkeit der Entwicklung von Kriterien, der Aufgabenkritik bezüglich derzeit öffentlich erbrachter Leistungen. Die Sprache erinnert sehr an die Fassung der Staatsaufgabenkritik der Scholz-Kommission in Berlin 2001 (mehr zu Fragen der Verwaltungsreform hier)

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