Ein Ausverkauf der Autobahnen ist nicht wahrscheinlich. Doch an der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur durch private Investoren führt kaum ein Weg vorbei
Ausgerechnet jetzt, dachte Friedrich Steiger, als er im Radio die Debatte über die Autobahnprivatisierung hörte, die der designierte Finanzminister Peer Steinbrück vorige Woche entfachte, nachdem sie bereits schon von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement ins Spiel gebracht worden war. Die Nachricht erreichte den Vorstandsvorsitzenden des Verbands Unabhängig Beratender Ingenieure und Consultants (VUBIC) auf der A8 bei Stuttgart – auf dem Weg in den Italienurlaub. „Mein erster Gedanke war: umkehren“, sagt Steiger, dessen Verband seit Monaten die Vorteile eines privaten Autobahnnetzes predigt und sogar schon ein Modell dazu entwickelt hat.
Steiger entschied sich gegen das Umkehren und für Italien, so daß er die Diskussion nun im Heilbadeort Montegrotto Terme verfolgt und zuweilen am Hoteltelefon Interviews gibt. Was die Öffentlichkeit jetzt hitzig diskutiert, hat sein Verband längst kühl durchgerechnet. In seinem Modell geht er von 100 Milliarden Euro Verkaufserlös für die Autobahnen aus und schlägt eine Auto-Maut von vier Cent pro Kilometer vor, bei gleichzeitiger Absenkung der Mineralölsteuer um 30 Cent. Ob ein solches Modell Realität wird, ist allerdings fraglich. Eine Vollprivatisierung komme nicht in Frage, sagen Experten. Der Staat könne sich nicht aus seiner Verantwortung stehlen, da an den Autobahnen gesamtwirtschaftliches Interesse hänge. Trotzdem ist es an der Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Verkehrsfinanzierung. Drängende Investitionen kann der klamme Bundeshaushalt schwer bewältigen. An einer Beteiligung privater Investoren wird ebenso wie an der Auto-Maut kaum ein Weg vorbeiführen.
Bis zu 127 Milliarden Euro könnte der Staat einnehmen, wenn die deutschen Autobahnen unter den Hammer kämen. Auf diese Höhe hat zumindest das Beratungsunternehmen Prognos den Wert des 12 000 Kilometer langen Autobahnnetzes geschätzt. Obwohl die Studie nie dazu gedacht war, den Ausverkauf der Autobahnen anzugehen, weckt das Ergebnis Begehrlichkeiten. Bei einem öffentlichen Haushaltsminus von 1400 Milliarden Euro könnte der Erlös den Schuldenabbau ein gutes Stück voranbringen und außerdem eine Maßnahme sein, möglichst schnell die Maastricht-Kriterien wieder zu erfüllen.
Auf diese Weise würde die Schuldenlast, die auf jeden Steuerzahler kommt, deutlich sinken. Das entkräftet auch das Argument, die Steuerzahler würden um die von ihnen finanzierte Autobahn betrogen und müßten am Ende doppelt zahlen. „In dem Moment, in dem der Bund die Autobahnen verkauft, fließt das Geld zurück in die Staatskasse und wird dem Steuerzahler wieder gutgeschrieben. Denn der Staat sind ja eigentlich wir“, sagt Steiger.
Dennoch scheint die Rechnung des VUBIC so einfach nicht aufzugehen. Nicht nur weil der Vorstoß gegen eine Mauer des Widerstands prallt. Selbst wenn sich die Gegner überzeugen ließen, wäre eine vollständige Privatisierung ohne weiteres gar nicht möglich. „Die Autobahn stellt ein Objekt der Daseinsvorsorge dar“, sagt Verkehrswissenschaftsprofessor Herbert Baum der Universität Köln. Daher kann sich der Staat wohl nicht komplett aus der Verantwortung zurückziehen. „Es gibt bestimmte verfassungsrechtliche Anforderungen, die den Staat verpflichten, Verkehrswege zur Verfügung zu stellen“, sagt Friedrich Ludwig Hausmann, Partner der Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer und Experte für Infrastruktur-Privatisierungen.
In keinem Land der Welt wurde das gesamte Autobahnnetz an private Eigentümer verkauft. Das hat gute Gründe. Vor allem spielen „gesamtwirtschaftliche Erwägungen“ eine Rolle, wie Hans Mayrzedt erklärt. Der Professor für Bau- und Immobilienwirtschaft an der Fachhochschule Biberach sagt: „Eine Autobahn kann man nicht wie eine Fabrik oder ein Stück Brot verkaufen.“ Schließlich sei sie als Teil der Infrastruktur kein normales Gut. Autobahnen erfüllen volkswirtschaftliche Funktionen. Sie dienen sowohl dem Güter- als auch Privatverkehr, entscheiden über die Standortqualität und haben dadurch Auswirkungen auf die Beschäftigung.
Ein reines öffentliches Gut sind sie trotzdem nicht. In diese Kategorie fallen nur solche Güter, bei denen es nicht möglich ist, jemanden vom Konsum auszuschließen, und die ein privater Anbieter deswegen nicht bereitstellen kann. Wegen der Mauttechnik greift dieses Kriterium bei den Autobahnen jedoch nicht. „Mit der Technologie ist es heute möglich, jemanden von der Nutzung auszuschließen, der nicht bezahlt“, sagt Mayrzedt.
Gegen private Betreiber ist daher nichts einzuwenden. Anstatt aber das ganze Autobahnnetz aus Geldnot zu verscherbeln, könnte der Staat befristete Konzessionen an private Betreiber verkaufen, schlägt Mayrzedt vor. Denkbar sei ein Zeitraum von 30 Jahren.
Uwe Kunert, Verkehrsexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hält eine Versteigerung nach dem Vorbild der UMTS-Lizenzvergabe für ein mögliches Verfahren. Ein ähnliches Konzessionssystem hat Frankreich bereits in den 1970er Jahren eingeführt. Was im Nachbarland auf breite Akzeptanz stößt, stößt hierzulande bei der Autofahrerlobby auf Widerstand. Würde der Staat die Betreiberrechte an Private vergeben, käme damit wahrscheinlich die Auto-Maut durch die Hintertür.
Für einzelne Strecken zahlen müssen Autofahrer bislang nur bei einzelnen Sonderbauten, wie dem Warnow-Tunnel in Rostock. Viele Experten halten die Finanzierung über eine Auto-Maut für das bessere System. „Zweckgebundene Nutzerbeiträge ermöglichen nachfragegerechte Reinvestitionen“, sagt DIW-Experte Kunert. Die Kraftfahrzeug- oder Mineralölsteuer sei viel zu ungenau. Denn was im großen Steuertopf landet, fließt längst nicht allein in den Straßenbau.
„Im allgemeinen Bundeshaushalt gibt es enorme Verteilungskämpfe“, sagt Bremens Verkehrssenator Jens Eckhoff. Für den Ausbau der Infrastruktur sei die Stimmung schlecht. Das hat Folgen, meint Mayrzedt: „Wir verdrängen Investitionen, und das ist der Grund, warum wir unsere Autobahn abwirtschaften.“ Würde ein privater Betreiber eine Auto-Maut kassieren, wären Investitionen in die Straßen gesichert.
Nötig hätte die Infrastruktur das allemal. Deutschland ist das Transitland Nummer eins in Europa. Durch die Osterweiterung dürfte der Verkehr sogar noch weiter zunehmen. Es geht aber nicht nur darum, stark befahrene Autobahnen auszubauen oder Netzteile besser zu verknüpfen. Allein für die Erhaltung muß die öffentliche Hand jedes Jahr mehrere Milliarden Euro hinblättern. „In Zukunft werden Reinvestitionen den größten Teil der Verkehrsausgaben fressen“, sagt DIW-Experte Kunert. Das ahnen auch Verkehrspolitiker wie der Bremer Senator: „Wir brauchen mehr Geld“, sagt Eckhoff, „aber dieses Geld sehe ich nicht in den politischen Haushalten.“
Um voreilige Schritte später nicht zu bereuen, sollte der Bund bei der Vergabe von Betreiberkonzessionen allerdings Weitsicht walten lassen, mahnt DIW-Verkehrsexperte Kunert. „Er muß dafür sorgen, daß Netzteile mit geringer Auslastung genauso einen Markt finden, wie die Filetstücke, auf denen großer Betrieb herrscht“, sagt Kunert und schlägt vor, Verbundskonzessionen zu vergeben. Schwächer genutzte Autobahnstücke könnten dann durch besser ausgelastete Abschnitte quersubventioniert werden.
Nach Investoren für Partnerschaftsprojekte müßte der Bund nicht lange suchen. Investitionen in die Infrastruktur gelten als interessant, da sie einen „stabilen Cash Flow“ versprechen, wie Joachim Spill, Private-Equity-Experte bei Ernst&Young erklärt. „Es gibt einige Private-Equity-Häuser und Banken, die sich so etwas durchaus vorstellen könnten“, sagt er. Gesellschaften wie etwa Terra, Blackstone oder Fortress kämen in Betracht. Anwalt Hausmann von Freshfields Bruckhaus Deringer weiß, daß die Märkte gespannt sind: „Eine ganze Menge Finanzinvestoren und Bauunternehmen warten nur darauf, daß auf diesem Markt hier mehr geschieht.“ Claudia Wüstenhagen
Quelle: Welt am Sonntag, 23. Oktober 2005