Moderne Raubzuege

In der Jungen Welt vom 1.4.06, S. 10 beschreibt Sahra Wagenknecht, wie deutsche Großbanken in Zusammenspiel mit der EU-Kommission, dem Berliner Senat und der Anwaltskanzlei Freshfields die Privatisierung von Sparkassen durchsetzen wollen.
Privare = rauben (Latein). Damit ist über das Wesen von Privatisierungen eigentlich alles gesagt. Es geht um den Raub von gesellschaftlichem Vermögen und die Umleitung von Einnahmen (Zinsen, Mieten, Dividenden u.a.) auf private Konten bei gleichzeitiger Abwälzung von Schulden, Risiken und sonstiger »Altlasten« auf die Allgemeinheit. Erwünschter Nebeneffekt ist die Zerschlagung organisierter Kernbelegschaften im öffentlichen Dienst, um künftigen Streikaktionen vorzubeugen und flächendeckend Löhne senken zu können.
Zum Gelingen derartiger Raubzüge tragen verschiedene Akteure bei. So bedienen sich die Großbanken und Konzerne willfähriger Anwaltskanzleien zur juristischen Absicherung ihrer Beute; hinzu kommen unerfahrene oder korrupte Politiker, die auf kurzfristige Privatisierungserlöse schielen, ohne die langfristigen Folgen zu berücksichtigen, und Institutionen wie die EU-Kommission, die keine Gelegenheit auslassen, die Privatisierung öffe ntlicher Güter im Interesse des Großkapitals voranzutreiben. Wie die verschiedenen Akteure zusammenwirken und welche Tricks sie anwenden, um eine Privatisierung selbst in jenen Bereichen zu erzwingen, in denen die Widerstände gegen einen Ausverkauf öffentlicher Güter groß sind, soll im Folgenden am Beispiel der Berliner Sparkasse beschrieben werden.
Lobbypartner EU-Kommission
Das aus Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Privatbanken gebildete Drei-Säulen-Modell in Deutschland ist den privaten Großbanken schon lange ein Dorn im Auge. Schließlich verhindert es die Übernahme von Sparkassen und steht damit einer Machtkonzentration im deutschen Bankenmarkt im Weg. Daß die deutschen Banken »im Geschäft mit Privatkunden unter der Konkurrenz der Sparkassen leiden und daher nicht annähernd an die Ergebnisse ihrer ausländischen Konkurrenz herankommen« (Handelsblatt 3.8.04) ist ein Verslein, das die deutsche Bankenlobby bei jeder sich bietenden Gelegenheit wiederholt. Sie weiß, wo sie hinwill.
In Italien etwa wurde im Gefolge einer rüden Privatisierungspolitik der Marktanteil des staatlichen Bankensektors von 75 Prozent Anfang der neunziger Jahre auf nur noch zehn Prozent heruntergedrückt. Parallel zu diesem Prozeß explodierten die Gebühren für Bankdienstleistungen. Im Ergebnis kostet ein Girokonto in Italien heute doppelt so viel wie im europäi schen Durchschnitt.
In Deutschland hingegen ist der Widerstand gegen eine Privatisierung von Sparkassen nach wie vor groß. Folgerichtig suchte und sucht der Bundesverband Deutscher Banken nach Bündnispartnern in Brüssel. Mit Erfolg: 2005 wurden nach einem Entscheid der Europäischen Kommission die Staatsgarantien für öffentlich-rechtliche Kreditinstitute abgeschafft, was die Sparkassen und Landesbanken dazu zwingt, ihre Geschäftspolitik stärker an den Renditeerwartungen der Kapitalmärkte auszurichten. An der Aushandlung dieses Deals war als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium übrigens just jener Caio Koch-Weser beteiligt, der kürzlich von der Deutschen Bank mit einem hochdotierten Posten für seine Lebensleistung belohnt wurde.
Aber damit nicht genug: Derzeit erwägt die EU-Kommission, das seit 2003 ruhende Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wieder aufzunehmen, das zur Zulassung privater Sparkassen führen könnte. Im Mittelpunkt des Verfah rens steht das in Paragraph 40 des Kreditwesengesetzes (KWG) verankerte Namensmonopol für Sparkassen, das den Namen »Sparkasse« für den öffentlichen Bereich reserviert. Zwar ist es der EU-Kommission laut Artikel 295 des EU-Vertrags untersagt, sich in die Eigentumsordnung eines EU-Mitgliedslandes einzumischen, und auch die EU-Bankenrichtlinie erlaubt es, nur bestimmten Instituten den Namen »Sparkasse« zuzuordnen. Doch wo die Wirtschaftslobby ruft, ist Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy zur Stelle und wittert pflichtschuldig Verstösse »gegen die Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit«.
Folgen des Bankenskandals
Anlaß des erneuten Vorstoßes der EU-Kommission ist der für 2007 geplante Verkauf der Bankgesellschaft Berlin, zu der auch die Berliner Sparkasse gehört. Sollte ein privater Investor bei der Veräußerung zum Zuge kommen, wäre dies sehr wahrscheinlich der von den privaten Banken lang herbeigesehnte Präzedenzfall, der das gesamte Drei-Säulen Modell zum Einsturz bringen kann.
Daß es eine Auflage der Europäischen Kommission zur Veräußerung der Bankgesellschaft durch das Land Berlin überhaupt geben konnte, ist den Verantwortlichen des Berliner Bankenskandals anzulasten. Diese haben die Bankgesellschaft in den neunziger Jahren dazu benutzt, um ihre politischen und geschäftlichen Freunde mit Pöstchen und Krediten zu versorgen und hochlukrative Immobilienfonds zu teilweise sittenwidrigen Konditionen (von steuerlichen Verlustzuweisungen bis zu langjährigen Mietgarantien und dem Recht zur Rückgabe zum Nominalwert am Ende der Laufzeit) an etwa 70 000 Anleger aufzulegen. Risiken und Verluste aus diesem Geschäft wurden auf den öffentlich-rechtlichen Teil der Berliner Bankgesellschaft abgewälzt.
Die Sozialisierung der Verluste begann im August 2001, als das Land Berlin der Bankgesellschaft eine Kapitalzuführung von 1,755 Mrd. Euro zukommen ließ. Da diese Summe nicht ausreichte, um eine Pleite abzuwenden und das damalige Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BAKred, heute BAFin) im November 2001 mit der Schließung der Bankgesellschaft drohte, beschloß das Berliner Abgeordnetenhaus am 9.4.2002 das Risikoabschirmungsgesetz, wodurch Risiken von bis zu 21,6 Milliarden Euro, die aus faulen Krediten, Wertverlust von Immobilien u. ä. resultieren, vom Land übernommen wurden.
Für die Verluste der Bankgesellschaft bezahlen mußten unter anderem die Bediensteten des Landes Berlin, deren Löhne und Vergütungen um durchschnittlich zehn Prozent gesenkt wurden. Laut Berliner Senat bringt dieser »Solidarpakt«, zu dem sich verdi nach dem Austrit t des Landes Berlin aus dem Arbeitgeberverband nötigen ließ, eine weitere Entlastung der Personalausgaben um 250 Millionen im Jahr 2003 und um jeweils 500 Millionen in den Jahren ab 2004.
Wie zu erwarten war, rief die Unterstützung der Bankgesellschaft durch das Land Berlin die Brüsseler Wettbewerbshüter auf den Plan. Zwar wurden die staatlichen Beihilfen von der EU-Kommission nachträglich genehmigt; allerdings nur unter der Bedingung daß sich die Bankgesellschaft von mehreren Tochtergesellschaften trennt und 2007 selbst verkauft wird. Damit könnte die zur Bankgesellschaft gehörende Berliner Sparkasse die erste öffentliche Bank in Deutschland werden, die von privaten Investoren übernommen wird. Sicher ist dies allerdings noch nicht. Denn nach wie vor gilt Paragraph 40 des Kreditwesengesetzes, der es privaten Banken nicht erlaubt, eine Sparkasse zu betreiben. Sollte eine private Bank im Bieterverfahren zum Zuge kommen, müßte die erworbene Bank also unter anderem N amen weitergeführt werden. Das freilich ist gerade nicht der Sinn der Sache.
Mit dem Berliner Sparkassengesetz, das seit Juni 2005 in Kraft ist, versuchte der Berliner Senat, das Unmögliche möglich zu machen: Die Sparkasse sollte de facto privatisiert, die öffentlich-rechtliche Fassade und damit der Name jedoch gewahrt bleiben. Um dies zu erreichen, wurde die Sparkasse in eine teilrechtsfähige Anstalt umgewandelt und die Landesbank Berlin in eine Aktiengesellschaft transformiert, die vom Land Berlin mit der Trägerschaft an der Sparkasse beliehen wurde. Der Clou besteht also darin, daß die Sparkasse ein öffentlich-rechtliches Institut bleibt – allerdings unter dem Dach einer AG, die von privaten Investoren gekauft werden kann.
Fraglich ist allerdings, ob das Berliner Sparkassengesetz juristisch haltbar ist. Zwar existieren in diesem Gesetz einige Paragraphen, welche die Gemeinwohlverpflichtung der Berliner Sparkasse sichern sollen. Allerdings verfügt die Berliner Sparkasse als teilrechtsfähige Anstalt über kein eigenes Vermögen, und auch die von der Sparkasse erzielten Gewinne sollen in die Taschen des privaten Trägers fließen. Hier genau lauert das Problem: Eine Ausschüttung der Gewinne einer Sparkasse an Private ist mit Paragraph 40 KWG nicht vereinbar. Denn nach diesem Gesetz müssen die Überschüsse einer Sparkasse entweder beim Institut verbleiben oder gemeinnützig verwendet werden. Das sieht auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) so.
Da allerdings kein privater Investor auch nur einen müden Euro für ein Institut verausgaben dürfte, das seine Gewinne nicht ausschütten darf, hat Finanzsenator Sarrazin die BaFin in einem Brief gebeten, ihre Auffassung zu überdenken. Zur Unterstützung verweist er dabei auf die Tatsache, daß die Berliner Sparkasse schon in der Vergangenheit – seit Gründung der börsennotierten Bankgesellschaft im Jahr 1994 – ihre Gewinne an die Bankgesellschaft ausgeschütt et hat. »Würde Paragraph 40 KWG tatsächlich eine gemeinnützige Verwendung von Überschüssen voraussetzen und zugleich jegliche Ausschüttungen an private Träger ausschließen, so hätte die BaFin seit Schaffung des Konzerns Bankgesellschaft rechtswidrig gehandelt und müßte sich fragen lassen, warum sie seit zehn Jahren nicht gegen die Verwendung der Bezeichnung ,Berliner Sparkasse‘ eingeschritten ist«.
Richtig ist daran, daß schon die Gründung der Bankgesellschaft Berlin AG gegen geltendes Recht verstoßen und die undurchsichtige Struktur der Bankgesellschaft AG sowie die daraus resultierende unheilvolle Vermischung privater Interessen mit öffentlichen Haftungsgarantien zum Bankenskandal geführt hat. Mit Verweis auf rechtswidrige Bestimmungen der Vergangenheit nun allerdings zu fordern, man müsse erneut ein Institut schaffen, das die öffentlich-rechtliche Fassade mißbraucht, um möglichst hohe Profite auf private Konten zu schleusen, ist mehr als dreist.
An die Überzeugungskraft seines Arguments scheint Sarrazin daher selbst nicht recht zu glauben. Aus eben jenem Grund hat er Binnenmarktkommissar McCreevy zur Wideraufnahme des besagten Vertragsverletzungsverfahrens gegen das Namensmonopol der Sparkasse angeregt. Die unabsehbaren Folgen, die eine Privatisierung von Sparkassen für die mittelständische Wirtschaft, die Beschäftigten und Verbraucher in ganz Deutschland nach sich ziehen würden, interessieren im Berliner Senat offenbar weniger.
Ein passendes Gesetz
Wie Report Mainz am 20. März berichtet hat, wurde das umstrittene Berliner Sparkassengesetz übrigens von der Kanzlei Freshfields, Brückhaus, Deringer erarbeitet – eine »der besten Adressen für milliardenschwere Wirtschaftsdeals«, die »mit dem Bundesverband deutscher Banken und vielen Großbanken über Berateraufträge eng verbunden« ist. Nun ist es nichts Außergewöhnliches, daß sich die Legislative bei Gesetzesvorhaben juristische Expertisen einholt. Daß Lobbykanzleien jedoch den Auftrag bekommen, Gesetze von Anfang an mitzuschreiben, ist ein relativ neues Phänomen. Im Fall des Sparkassengesetzes übernahmen Anwälte von Freshfields auch die Aufgabe, den Berliner Abgeordneten in Anhörungen das Gesetz zu erklären.
Im Übertölpeln von Parlamentariern, Senatoren und Ministern hat die Kanzlei schon einige Erfahrung. So beriet die Kanzlei das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen bei der Einführung der LKW-Maut. Als das Verkehrsministerium nicht in der Lage wa r, den von Freshfields verfaßten 17 000-Seiten-Vertrag selbst zu interpretieren, erhielt die Kanzlei einen weiteren Beratervertrag, damit Modalitäten und Höhe der Schadensersatzforderung ermittelt werden konnten. Auch bei der jüngsten Privatisierung des Dresdner Wohnungsbestandes hatte Freshfields die Finger im Spiel: Sie hat die Stadt Dresden beim Verkauf der städtischen Anteile an der WOBA Dresden GmbH beraten. Käufer war der US-Finanzinvestor Fortress, der die Anteile der Stadt für rund 1,75 Milliarden Euro übernahm; der Deal zählte zu den größten Immobilienverkäufen von Kommunen in Deutschland. Das Interessante daran: Noch im Dezember 2005 beriet Freshfields die Gegenseite, d. h. den Finanzinvestor Fortress, beim Kauf von Wohnungen der Dresdner Bank – Wohnungen, die mit der WOBA in eine gemeinsame Holding gesteckt werden sollen, die spätestens Anfang nächsten Jahres an die Börse gebracht werden soll.
Laut Eigendarstellung verfügt die Kanzlei Freshfields Bruckh aus Deringer »über die wohl umfassendste Erfahrung in Public Private Partnership-Projekten sowohl in Deutschland als auch international. Die Sozietät hat sich in diesem Bereich einen einmaligen Erfahrungshintergrund geschaffen, der eine Reihe von Pilotprojekten mit Modellcharakter einschließt.« Zu diesen Projekten mit Modellcharakter dürfte die angestrebte Privatisierung der Berliner Sparkasse ebenso zählen wie die Privatisierung von Krankenhäusern in Hessen und Hamburg, die Privatisierung von Wasserunternehmen, Stadtwerken und Flughäfen ebenso wie die Teilprivatisierung von Landesbanken. Auch international hat sich Freshfields mit umstrittenen Privatisierungen bzw. Public-Private-Partnerships (PPP) einen Namen gemacht. In Großbritannien war die Kanzlei beispielsweise an der Überführung einiger Londoner U-Bahnlinien in ein PPP-Projekt beteiligt und begleitete zahlreiche Schulprojekte sowie sämtliche PPP-Gefängnisprojekte.
Die angestrebte Privatisierung der Berline r Sparkasse folgt in ihren Grundzügen einem Modell, das schon bei der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe erprobt wurde. In beiden Fällen wurde der Berliner Senat von Frehsfields-Anwalt Benedikt Wolfers beraten. In beiden Fällen ging bzw. geht es um eine Privatisierung unter Wahrung der öffentlich-rechtlichen Rechtsform – ein Modell, das sich laut Wolfers vor allem dann anbietet, wenn die öffentlich-rechtliche gegenüber der privatrechtlichen Form manifeste wirtschaftliche Vorteile bietet oder die Widerstände gegen eine vollständige Privatisierung zu groß sind.
Wie das neue Sparkassengesetz war auch die im Jahr 1999 in einem geheimen Vertrag von der damaligen Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) mit den Konzernen RWE und Veolia (ehemals Vivendi) geregelte Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe (BWB) juristisch und politisch höchst umstritten. Um eine Privatisierung bei Wahrung der öffentlich-rechtlichen Rechtsform zu ermöglichen, wurde damals eine Holding geschaffen, die nach dem Vorbild der Berliner Bankgesellschaft AG sowohl eine Anstalt des öffentlichen Rechts (die Berliner Wasserbetriebe BWB) als auch diverse privatwirtschaftliche Beteiligungen und Tochtergesellschaften unter ihrem Dach vereinte. Und wie schon bei der Bankgesellschaft Berlin hat dieses Holding-Modell den Vorteil, daß es eine massive Subventionierung der privatwirtschaftlichen Unternehmen durch die Anstalt öffentlichen Rechts ermöglicht. Lieferten die Berliner Wasserbetriebe vor der Teilprivatisierung noch Gewinne an den Berliner Haushalt ab, so gehen diese Erlöse nun in erster Linie an die privaten Gesellschafter.
Umstrittenster Punkt des Vertrages ist, daß den privaten Erwerbern eine jährliche Rendite von sieben bis acht Prozent auf das »betriebsnotwendige Kapital« zugesichert wurde – über eine Laufzeit von 28 Jahren. Zwar wurde dieser Teil des Vertrags durch einen Beschluß des Verfassungsgerichts vom 21. Oktober 1999 für nichtig erklärt, trotz dieses Urteils bestand der SPD-PDS-Senat jedoch darauf, den privaten Wasserkonzernen die vereinbarte Zusatzrendite zuzuschanzen. Denn als hätten die Beteiligten geahnt, daß das Teilprivatisierungsgesetz von 1999 juristisch unhaltbar ist, wurde im Vertrag eine Klausel verankert, nach der das Land Berlin sich verpflichtet, die geringeren Gewinne oder höheren Verluste, die sich ergeben, falls das Teilprivatisierungsgesetz ganz oder teilweise für nichtig oder aufgrund einer Entscheidung eines Verfassungsgerichts mit höherrangigem Recht für unvereinbar erklärt wird (»Nichtigerklärung«), in vollem Umfang auszugleichen.
Um die unverschämte Rendite bezahlen zu können, muß das Land Berlin nun auf entsprechende Einnahmen verzichten, teils sogar draufzahlen. Gleichzeitig müssen die Berliner Haushalte tiefer in die Tasche greifen. Allein 2004 sind die Wasserpreise in Berlin um über 15 Prozent gestiegen; bis 2009 dürfte sich die Preise um etwa 30 Prozen t erhöht haben. Dabei liegt Berlin schon jetzt bei den Preisen für Wasser und Abwasser bundesweit an der Spitze.
Auch wenn die herrschenden Parteien und Medien nach wie vor ein Loblied auf die Privatisierung singen – auf Dauer läßt sich nicht verbergen, daß es sich bei der Privatisierung öffentlicher Dienste in aller Regel um Raubzüge privater Konzerne und ihrer Berater und Verbündeten handelt, die sich auf Kosten von Beschäftigten, Verbrauchern und Steuerzahlern eine goldene Nase verdienen wollen. Entsprechend nimmt der Widerstand gegen Privatisierungen zu, in manchen Fällen wird auch schon über eine Rückführung privatisierter Unternehmen in öffentliches Eigentum nachgedacht.
Alternativen zum Ausverkauf
Wie die Entwicklung in Berlin zeigt, ist dabei selbst ein Wandel vom Bock zum Gärtner nicht ausgeschlossen. So hat sich der Landesparteitag der Berliner SPD Ende letzten Jahres für die Aufhebung des Beschlusses zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe ausgesprochen und die Abgeordneten sowie die sozialdemokratischen Senatsmitglieder dazu aufgefordert »zu prüfen, unter welchen Bedingungen die Teilprivatisierung der BWB rückgängig gemacht werden kann und bis April 2006 darüber Bericht zu erstatten«. Auf den Bericht darf man gespannt sein – auch wenn kaum zu erwarten ist, daß eine Berliner SPD mit Wowereit, Sarrazin und Fugmann-Heesing in ihren Reihen einen entsprechenden Kurswechsel einleiten wird.
Was für die Berliner SPD gilt, gilt jedoch auch für die Berliner Linkspartei; schließlich trägt Senator Wolf einen Großteil der Verantwortung für die Verabschiedung des neuen Sparkassengesetzes. Klar ist, daß sich ohne massiven Druck aus der eigenen Partei, aus d er Öffentlichkeit, aus Gewerkschaften, Verbänden und sozialen Bewegungen nichts zum Guten ändern wird. Klar ist auch, daß der rot-rote Senat die Forderungen nach einem Stopp von Privatisierungen nicht gänzlich ignorieren kann, wenn er eine Schlappe bei den anstehenden Wahlen im September vermeiden will. Diese Situation gilt es zu nutzen.
Wenn die sich neu formierende Linke ihre Glaubwürdigkeit als Opposition zum Neoliberalismus nicht von vornherein aufs Spiel setzen will, muß die Linkspartei ihre bisherige Politik im Berliner Senat ändern. Im Hinblick auf die Privatisierungspolitik und den Umgang mit dem Berliner Bankenskandal sollte eine Fortsetzung der rot-roten Koalition davon abhängig gemacht werden, ob folgende Forderungen in die Tat umgesetzt werden:

  • Keine weiteren Privatisierungen öffentlichen Vermögen und kein Outsourcing öffentlicher Dienstleistungen an private Anbieter.
  • Revision des Sparkassengesetzes: Der Bestand der Berliner Sparkasse als vollrechtsfähiger Anstalt des öffentlichen Rechts mit eigenen Organen, eigenem Vermögen und eigener Bankerlaubnis muß garantiert und zugleich sicherstellt werden, daß die Gewinne der Berliner Sparkasse für gemeinnützige Zwecke verwendet werden und nicht in private Taschen zu fließen. Eine solche Gesetzesrevision würde außerdem die Frage einer möglichen Privatisierung elegant lösen, denn kein privater Investor dürfte unter solchen Konditionen noch Interesse bekunden. Zugleich könnte der Auflage der Europäischen Kommission durch Veräußerung der Sparkasse entweder an den Sparkassenverbund selbst oder an eine gemeinnützige Stiftung Rechnung getragen werden. Es gibt nämlich keine Auflage der Kommission, die das Land Berlin zur Privatisierung verpflichtet. Wie und an wen die Sparkasse veräußert wird, liegt in der Verantwortung des Berliner Senats.
  • Keine weitere Aufträge an Kanzleien wie Freshfields, die im Interesse privater Konzerne die Privatisierung öffentlicher Güter vorantreiben; Offenlegung aller Verträge, die der Senat mit Anwälten, Wirtschaftsberatern und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften geschlossen hat.
  • Revision des Teilprivatisierungsgesetzes der Berliner Wasserbetriebe und in der Perspektive die Rekommunalisierung der BWB.

Umfrage: Hessen sind gegen den Verkauf von Sparkassen

07. Februar 2006 Der Sparkassen- und Giroverband Hessen-Thüringen hat seine Kritik an der Sparkassenreform der Landesregierung mit einer Umfrage untermauert. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hatte 1000 Hessen nach ihrer Meinung zu der Novelle gefragt, nach der es künftig möglich sein soll, daß Sparkassen von ihren Trägern, also den Städten und Kreisen, an andere Sparkassen oder die Landesbank Hessen-Thüringen verkauft werden können. Der Verband lehnt dieses Vorhaben ab.
Der Umfrage zufolge würden es 73 Prozent bedauern, wenn es an ihrem Wohnort keine selbständige, kommunale Sparkasse mehr gäbe. Die anderen 27 Prozent gaben an, sie würden es nicht bedauern. Selbst wenn die Sparkassen an die Landesbank verkauft würden, bei der es sich gleichsam um die oberste Sparkasse des Bundeslandes handelt, würden dies 80 Prozent bedauern. Der Sparkassen- und Giroverband hat auch gefragt, was die Hessen davon hielten, wenn die Sparkassen an private Kreditinstitute ginge, obwohl die Landesregierung dies gar nicht zulassen will. Eine Übernahme durch private Banken würden 81 Prozent der Befragten ablehnen.
62 Prozent gaben an, ohnedies seien ihre Erfahrungen mit privatisierten Unternehmen eher schlecht, und 50 Prozent kreuzten an, die Leistungen von ehemals öffentlichen Unternehmen hätten sich nach der Privatisierung verschlechtert. Der Sparkassen- und Giroverband ging nicht weiter auf die Möglichkeit an, das Gesetzesvorhaben mit Bürgerbegehren zu stoppen. Er ließ Forsa allerdings fragen, wie sich die Hessen in einem Bürgerentscheid verhalten würden. 82 Prozent würden gegen einen Verkauf von Sparkassen votieren, lediglich 14 Prozent dafür. Die anderen machten keine Angaben. (Text: mak./F.A.Z.)
Quelle: http://www.faz.net/s/Rub8D05117E1AC946F5BB438374CCC294CC/Doc~E1D1998DD964C4FBAA8F8BB0F6F38E017~ATpl~Ecommon~Scontent.html

Huerden fuer Privatisierung "EU-rechtlich bedenklich"

Rechtsprofessor stützt Sparkassenpläne in Hessen
ste Frankfurt – Die hessische Landesregierung findet mit ihren Plänen, die Bildung und Übertragung von Stammkapital bei Sparkassen zuzulassen, Beistand von Rechtsgelehrten. Es sei EU-rechtlich bedenklich, wenn eine Kommune – wie im vergangenen Jahr Stralsund – die Absicht habe zu privatisieren, die Rechtsstruktur der Sparkasse sie aber daran hindere, sagt Christoph Schalast, der seit 2002 an der HfB – Business School of Finance and Management Rechtswissenschaften lehrt, im Interview der Börsen-Zeitung. Deutschland stehe innerhalb der Europäischen Union (EU) mit den Trägerstrukturen bei Sparkassen isoliert da. Erfahrungen in anderen EU-Staaten zeigten, dass eine maßvolle Deregulierung und Liberalisierung des Sparkassensektors möglich seien, ohne dass die flächendeckende Versorgung mit Bankprodukten verloren gehe.
Für die hessischen Sparkassen lehnte unterdessen die Nassauische Sparkasse (Naspa) die geplante Stammkapitaloption ab. „Ich höre keine Argumente, die mich überzeugen“, sagte der Chef der mit einer Bilanzsumme von 17 Mrd. Euro viertgrößten deutschen Sparkasse, Jens Fischer.
– Interview Seite 5
– Bericht Seite 5
Börsen-Zeitung, Banken und Finanzen – Ausgabe Nr. 239 vom 10. Dezember 2005 >>> http://www.boersen-zeitung.com/online/redaktion/aktuell/bz239015.htm

Sparkassen-Privatisierungs-News aus Hessen

Die Frankfurter Rundschau berichtet:
„Das wollen wir nicht“. Sparkassen-Novelle in der Kritik
Frankfurt a.M. · Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV), das Land Thüringen und die Nassauische Sparkasse äußern Kritik an den Plänen der hessischen Landesregierung, der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) aus Wettbewerbsgründen den Kauf weiterer Sparkassen zu ermöglichen.
„Das ist nicht die richtige Antwort“, sagte DSGV-Präsident Dietrich Hoppenstedt zu dem Gesetzentwurf der Regierung. Die öffentlich-rechtliche Finanzgruppe könne in ihrer jetzigen Struktur das Privatkundengeschäft erfolgreich betreiben – mit dezentralen Sparkassen und Landesbanken, die sich um Firmenkundengeschäft und Investmentbanking kümmerten.Der Erfolg im Privatkundengeschäft hänge nicht von der Institutsgröße ab, ergänzte er. Der Sparkassen-Präsident warnte davor, die Gruppe schwächen oder gar auflösen zu wollen. Eine Änderung der Sparkassengesetze in den Ländern zur Bildung von Stammkapital wäre ein erster Schritt um die jetzt kommunal verankerten Sparkassen handelbar und damit verkäuflich zu machen. „Das wollen wir nicht. Wir wollen treuhänderische Träger und keine Eigentümer“, sagte er.
Das Land Thüringen kündigte Widerstand gegen das Vorhaben seines Nachbarn an. Thüringen ist an der Helaba mit fünf Prozent beteiligt, Hessen mit zehn Prozent. Die restlichen Anteile liegen beim Sparkassenverband beider Länder. „Thüringen sieht durch den hessischen Vorstoß die Interessen seiner Sparkassen berührt“, sagte ein Sprecher des Erfurter Finanzministeriums.
Die Nassauische Sparkasse sieht die Gefahr, dass die Landesregierung mit der Gesetzes-Novelle entgegen ihrer erklärten Absicht ein „Einfallstor für Private“ schafft. Ihr stellvertretendes Vorstandsmitglied Bertram Theilacker sagte, es sei nicht auszuschließen, dass die Geschäftsbanken bei der EU-Kommission mit Erfolg eine Wettbewerbsverzerrung monieren würden, falls das Gesetz den Verkauf einer Sparkasse auf Schwesterinstitute beschränkt. Medienberichte, wonach der private Bankenverband bereits über eine Klage nachdenke, bezeichnete der Sprecher des Verbandes als „reine Spekulation“. sal/rtr“
FR vom 17.11.2005

Bei BCR-Privatisierung gibt es eventuell mehr als 2 Finalisten

BUKAREST (Dow Jones)–Rumänien wird im Rahmen der Schlussverhandlungen zur Privatisierung der Banca Comerciala Romana SA anders als zunächst angekündigt mehr als zwei Finalisten zulassen. Es könnte drei Bieter im Rahmen der Auktion geben, sagte eine Sprecherin der für die Privatisierung zuständigen staatlichen Agentur am Montag. Sofern die Bewertung der eingereichten Gebote kurzfristig abgeschlossen werde, könnten bereits am morgigen Dienstag die Finalisten genannt werden.
Sieben Auslandsbanken hatten in der vergangenen Woche Gebote für den zur Privatisierung anstehenden BCR-Anteil von 61,88% abgegeben. Neben der Deutschen Bank und der Ersten Bank der österreichischen Sparkassen handelt es sich um die italienische Banca Intesa SpA, die französische BNP Paribas SA, die belgische Dexia SA, die portugiesische Banco Comercial Portugues SA und National Bank of Greece SA.
Nach Angaben der Regierung wird zu 90% der gebotene Preis über die Vorauswahl entscheiden. Die BCR ist eine der letzten großen Einstiegsmöglichkeiten auf dem rumänischen Markt.
Quelle: >>> http://www.faz.net/d/invest/meldung.aspx?id=54201598&news=unt

Japans Postreform – ein Lehrstueck

Der durchschlagende Wahlsieg der Liberaldemokraten (LDP) am letzten Sonntag hat die Kräfteverhältnisse im japanischen Parlament derart grundlegend geändert, dass Hoffnungen auf eine Beschleunigung des Reformkurses berechtigt scheinen. Die beiden Regierungsparteien, die LDP und die buddhistisch angehauchte Neue Komeito, verfügen dank ihrer Zweidrittelmehrheit über die Möglichkeit, sich gegebenenfalls über eine Reformblockade konservativer Kräfte im Oberhaus hinwegzusetzen. Die Taktik von Ministerpräsident Junichiro Koizumi, 37 abtrünnige LDP-Abgeordnete, die im August gegen seine Postreformvorlage gestimmt hatten, kurzerhand aus der Partei hinauszuspedieren, hat sich ausbezahlt. Koizumi hat seine härtesten Widersacher, die sich schon immer innerhalb der LDP und nicht auf den Oppositionsbänken fanden, für einige Zeit zum Schweigen gebracht. Das Volk vertraut Koizumi mehr noch als der LDP, und es hat ihm nun den Rücken gestärkt.
Angelpunkt und Grundstein für den grössten Wahlerfolg der LDP in ihrer 50-jährigen Geschichte ist die von Koizumi durch alle Böden hindurch verfochtene Postprivatisierung. Schon früh trat der Mann mit der wilden Löwenmähne für dieses Projekt ein; 1992 forderte er als Postminister zum Entsetzen der LDP-Oberen die baldige Entlassung der Postsparkasse in die Privatwirtschaft. In seiner Regierungserklärung von 2001 schlug Koizumi dann härtere Töne an und brandmarkte die Staatspost als eine der Hauptursachen für die Wirtschaftsmisere in Nippon. Nun verhält es sich tatsächlich so, dass die Post am japanischen Kapitalmarkt aufgrund ihrer Grösse, vor allem aber wegen ihrer Privilegien wie der Elefant im Porzellanladen herumtollt. Japans Post ist mit ihren 280 000 Angestellten und 25 000 Filialen nicht nur eine viel zu grosse Monopolistin für die Zustellung von Briefen, sondern sie verwaltet über ihr Sparkassen- und Lebensversicherungsgeschäft die immense Summe von umgerechnet 4400 Mrd. Fr. Damit übertrifft die Post die grösste Bank der Welt, Citicorp, um Längen – womit zu Rentabilität und Effizienz aber nichts gesagt ist.
Es ist kein Zufall, dass Koizumi mit der Vorbereitung der Postprivatisierung Heizo Takenaka betraut hat, denn Japans Staatsminister für Wirtschaftspolitik brachte zuvor die Sanierung des Bankensektors massgeblich voran. Bank- und Postreform sind eng miteinander verquickt. Die Gesundung des Finanzsektors wird nicht nachhaltig sein, wenn die neu formierten Banken nicht mit gleich langen Spiessen wie die Postsparkasse ins Feld ziehen können. Die mit einer Staatsgarantie ausgestattete Postsparkasse zahlt keine Steuern; auch die Pflicht zur Unterlegung ihres Geschäfts mit Eigenkapital und Mindestreserven fehlt. Vier von fünf Japanern unterhalten bei der Post ein Bankkonto, was nicht weiter verwundert, weil die Zinsen sowieso vernachlässigbar gering sind, die Kommerzbanken aber – sinnvollerweise – keinen unbeschränkten Einlegerschutz mehr gewähren. Die Marktverzerrung ist evident wie auch die schleichende Verstaatlichung des Bankgeschäfts überhaupt. Klüngelwirtschaft, Korruption und Geldverschwendung feiern in diesem Umfeld Urständ.
Ausser der an und für sich schon untolerierbaren Unterminierung des privaten Bankensektors hat das Post-Füllhorn noch andere negative Konsequenzen. Die Postsparkasse gehört zusammen mit der staatlichen Rentenkasse zu den schlagkräftigsten Machtinstrumenten der Mandarine in der Ministerialbürokratie. Innerhalb des Dreiecks Wirtschaft – Politik – Bürokratie verfügt die letztgenannte Institution über viel Macht, was sich just bei der Staatspost auf fatale Weise bemerkbar macht. Die Mechanik zur Umleitung der Finanzströme nach dem Gutdünken der Spitzenbeamten des Finanzministeriums ist im Prinzip seit fünfzig Jahren intakt. Die mit der Postsparkasse geäufneten Mittel werden nämlich im Rahmen des Fiscal Investment and Loan Program (FILP) – es wird wegen seines Gewichts im Volksmund das «zweite Budget» genannt – an zahlreiche staatsnahe Agenturen ausgeliehen; mit dem Rest werden Staatsobligationen gekauft. Dieser riesige Schattenhaushalt entzieht sich weitgehend der parlamentarischen Kontrolle und nährt den Verwaltungsapparat. Marktkriterien spielen bei der Verteilung der Gelder keine Rolle, persönliche Beziehungen und die Fortführung des bisherigen Ausgabengebarens dagegen schon. So etwas verträgt sich schlecht mit Marktwirtschaft.
Die OECD hat vor Jahren anhand des Fiaskos mit den staatlichen Eisenbahnen interessantes Anschauungsmaterial zur Effizienz von FILP-Programmen geliefert. Die während zweier Dezennien Verluste einfahrende Japan National Railways (JNR) wurde 1987 in sieben Unternehmen aufgespalten. Der Staat übernahm von ihr via JNR Settlement Corp. Schulden von umgerechnet rund 300 Mrd. Fr. sowie Aktiven, mit denen man diese Verbindlichkeiten decken wollte. Die Netto-Verbindlichkeiten stiegen aber in der Folge trotz dem Verkauf von Land unablässig, bis 1998/99 die Quittung erfolgte. Mit dem Transfer eines Defizitbetrags von wiederum 300 Mrd. Fr. in die ordentliche Rechnung erfüllte die Regierung die gegenüber den Staatsbahnen implizit abgegebene Garantieleistung. Die Aktiven reichten also gerade zur Bezahlung von Renten und Zinsen. Selten ist dem in- und ausländischen Publikum so klar vor Augen geführt worden, von welch zweifelhafter Natur die Werthaltigkeit von Vermögenswerten staatlicher Agenturen Japans sein kann.
Wenn sich Koizumi jetzt anschickt, den Koloss Post zu zerschlagen, steht viel auf dem Spiel. Der Plan zur Privatisierung der Post ist mutig, zählen wird aber nur dessen Umsetzung. Früh schon ist auch der Spitzenverband der Wirtschaft, Keidanren, auf den Koizumi-Kurs eingeschwenkt, und noch vor Bekanntgabe des neuen Kabinetts soll nun das Postreformgesetz verabschiedet werden. Es ist erfrischend, wenn sogleich aufs Tempo gedrückt wird, obwohl der bisherige Zeitplan zur vollen Privatisierung der Post alles andere als ambitiös wirkt. Bis 2007 werden die vier Geschäftsbereiche Briefzustellung, Postbank, Lebensversicherung und Verwaltung der Schalterdienste unter ein gemeinsames Holdingdach gelotst. Erst 2017 würde dann nach stufenweisem Vorgehen die Privatisierung mit der Placierung der letzten Postbankaktien abgeschlossen.
Obwohl der Zeitraum von einem Dezennium zwischen Start- und Zielpunkt der Postreform skeptisch stimmt und Koizumi angeblich schon 2006 zurücktreten will, gibt es mehrere ermutigende Zeichen. Noch nie, auch nicht unter Tanaka in den siebziger und unter Nakasone in den achtziger Jahren, hatte eine Regierung so freie Hand wie jetzt die Administration Koizumi. Partikulärinteressen werden einen schweren Stand haben. Das wirtschaftliche Umfeld für beherzte Reformen ist ebenfalls günstig. Die Deflation scheint bald besiegt zu sein, die Bilanzen der Banken sind grossenteils in Ordnung, und das Wachstum ist mit zuletzt geschätzt mehr als 3% in Anbetracht der sinkenden Erwerbsbevölkerung sehr ansprechend. Zweifellos muss Koizumi noch andere Reformen anpacken. Das im Umlageverfahren organisierte Rentensystem lässt sich nicht halten. Noch vordringlicher ist eine Gesundheitsreform; die rasche Überalterung zwingt zu einem Umbau. Gemessen werden wird die Regierung Koizumi aber vor allem an der Postprivatisierung. Gelingt sie, ist Japan ein gutes Stück weiter. Nach Marktkriterien vergebene Kredite einer privatisierten Postsparkasse würden Japan nachhaltig revitalisieren.

Neue Zürcher Zeitung, 17. September 2005

Privatisierung von oeffentlich-rechtlichen Sparkassen

Privatisierung der öffentlich-rechtlichen Sparkassen: Die Börsenzeitung Online hat eine Serienseite zum Schwerpunktthema „Die Sparkasse Stralsund im Visier der Privatbanken“, die den chronologischen Verlauf des gescheiterten Privatisierungsversuches gut nachvollziehbar macht. Der Deutsche Städte- und Gemeindetag faßt die Argumente aus kommunaler Sicht gegen eine Privatisierung der Sparkassen zusammen [pdf]. Das Stralsunder Vorhaben konnte aufgeschoben werden, weil es als konzertierter Verkauf geplant war und so auf geballtes Unverständnis und Empörung stieß, was politische Gegenwehr ermöglichte. Andere Stadtsparkassenprivatisierungen sind auf dem schleichenden Wege schon wesentlich weitergediehen: Die Hamburger Stadtsparkasse z.B. ist seit 2003 bereits Aktiengesellschaft. Auch die Privatisierung der Stadtsparkasse in Frankfurt/M. wird betrieben. Die dementsprechend naheliegende Frage „Wie steht es mit der Privatisierung der Sparkassen und öffentlichen Banken?“ stellt sich der SPD-Kommunalpolitiker und Volkswirt Wilhelm Rühl. Ergebnis ist eine aktuelle Übersicht über die verschiedenen Privatisierungsmodelle und -vorhaben. Dabei beachtet er auch schon die ersten Tendenzen in Richtung Privatisierung seit Mitte der 1980er Jahr (Stichwort: Stille Beteiligungen). Auch Themenkomplexe, die nicht auf den ersten Blick als Privatisierungsvorhaben zu erkennen sind, verdienen Beachtung: Birger Scholz bilanziert den Fall der Berliner Bankgesellschaft vor dem Hintergrund von Privatisierungsbemühungen bei öffentlich-rechtlichen Banken in ganz Deutschland [pdf]. Das ist insofern nicht selbstverständlich, als der Berliner Fall immer nur – je nach politischer Perspektive – entweder als Managementfehler oder als Korruptionsaffäre eingeordnet wird, nicht jedoch als ungewollt-gewolltes Privatisierungsprojekt.