Bewaehrungshilfe in Baden-Wuerttemberg jetzt oesterreichisch und gemeinnuetzig

Die taz berichtet: Baden-Württemberg entstaatlicht die Betreuung von Straftätern. Und schafft sie ausser Landes. Nicht die Straftäter, sondern die Zuständigkeit für die Betreuung – nach Österreich.

Bewährungshilfe ganz privat
Baden-Württemberg gibt die Betreuung von Straftätern an einen Verein aus Österreich

FREIBURG taz In Baden-Württemberg wird die Bewährungshilfe privatisiert. Ab 1. Januar soll die österreichische Organisation Neustart landesweit die Betreuung der unter Bewährung stehenden Straftäter übernehmen. Am morgigen Mittwoch unterzeichnet Justizminister Ulrich Goll (FDP) in Stuttgart den Vertrag. Baden-Württemberg ist damit Vorreiter in Deutschland.

Neustart ist ein österreichischer Verein, der seit 1964 für die Bewährungshilfe im Alpenland zuständig ist. Er wurde in Baden-Württemberg nach einer europaweiten Ausschreibung ausgewählt. In einer Pilotphase organisiert Neustart seit 2005 bereits die Bewährungshilfe in den Bezirken Stuttgart und Tübingen.

In Deutschland ist Neustart als gemeinnützige GmbH organisiert, macht also keine Profite. Die bisherigen 250 Bewährungshelfer behalten ihren Beamtenstatus, arbeiten aber künftig für Neustart. Bei dessen deutschem Ableger sind nur an der Spitze einige Österreicher beschäftigt.

Die Bewährungshilfe betreut verurteilte Straftäter, deren Freiheitsstrafe schon das Gericht zur Bewährung ausgesetzt hat oder die vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wurden. Sie hilft ihnen bei der Bewältigung des Alltags, kontrolliert aber auch die Einhaltung von Bewährungsauflagen.

In Baden-Württemberg werden rund 22.000 Personen von der Bewährungshilfe betreut, dreimal mehr als Häftlinge im Gefängnis sitzen. Justizminister Goll will mit weniger Geld eine bessere Bewährungshilfe schaffen. Für den FDP-Mann geht es dabei auch um das Symbol, dass es „nur so viel Staat wie nötig“ geben sollte.

Neustart will die bisher selbstständig nebeneinander her arbeitenden Bewährungshelfer in klare hierarchische Strukturen einbinden. Dies soll eine gleichmäßige Qualität der Arbeit garantieren. Außerdem sollen mehr ehrenamtliche Bewährungshelfer eingesetzt werden – vor allem dort, wo es eher um persönliche Zuwendung als um sozialpädagogische Betreuung geht.

Jeder fünfte Fall soll in Zukunft von ehrenamtlichen Privatpersonen übernommen werden. Diese müssen zwar ausgewählt, geschult und betreut werden, verursachen aber trotzdem nur halb so viel Kosten wie Hauptamtliche. Einsparungen ergeben sich in Zukunft auch, wenn beamtete Bewährungshelfer altershalber ausscheiden und durch billigere Angestellte ersetzt werden.

Ursprünglich sprach Minister Goll von einer Effizienzrendite von 15 Prozent. Jetzt sollen mittelfristig nur noch zehn Prozent der Kosten eingespart werden. Die Umstrukturierung war teurer als erwartet, vor allem weil ein großer Teil der Bewährungshelfer die neuen hierarchischen Strukturen ablehnt und nicht richtig mitzieht.

Die Gewerkschaft Ver.di hält die ganze Richtung für falsch. Sie hat im Mai ein Gutachten des Oldenburger Staatsrechtlers Dieter Sterzel vorgelegt. Er zählt die Bewährungshilfe zu den hoheitlichen Kernaufgaben des Staates, die nicht privatisiert werden dürfen.

Dem hat aber inzwischen der Bundesverfassungsrichter Herbert Landau widersprochen. Bei der Bewährungshilfe stehe nicht der Zwang im Mittelpunkt, sondern die Fürsorge. Die Bewährungshilfe könne daher durchaus privatisiert werden. Für den Widerruf der Bewährung – falls Auflagen nicht eingehalten wurden – bleiben wie bisher Richter zuständig.

Andere Bundesländer beobachten derzeit noch die Erfahrungen in Baden-Württemberg. Auch Neustart ist nicht an einer schnellen Expansion in andere Länder interessiert. „Erst wollen wir drei Jahre in Baden-Württemberg zeigen, dass wir gute Arbeit leisten“, erklärt Neustartchef Zwinger.

CHRISTIAN RATH

taz Nr. 8143 vom 5.12.2006, Seite 7, 122 TAZ-Bericht

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