wem gehört die welt?

Uns allen, könnte man sagen. Aber in der Realität einigen etwas mehr und sehr vielen anderen sehr weniger. Zur letzteren Gruppe gehören auch Menschen mit Down-Syndrom. Diese Menschen werden immer weniger:

Die meisten Eltern wollen heute wissen, ob ihr Kind Downsyndrom hat. Noch bevor es zur Welt kommt, lassen sie es von Ärzten untersuchen. Wenn es behindert ist, entscheiden sich immer mehr Mütter und Väter gegen das Baby, für eine Abtreibung. Vielleicht werden Menschen wie Bella bald ganz verschwinden. (FAZ, 12.2.2015)

Zwei beschriebene Begegnungen geben einen kleinen Einblick in die Lebenswelt derer, die nicht mehr sein sollen.

Drei Menschen mit Down-Syndrom mit Schauspielausbildung inszenieren Tschechovs „Drei Schwestern“ in Berlin.

Berliner Zeitung:

Es ist bereits die zweite Produktion, die Frank Krug mit Juliana Götze, Nele Winkler und Rita Seredsuß erarbeitet. Sie sind alle drei professionelle Schauspielerinnen. Schauspielerinnen mit Down-Syndrom. Auf der Bühne beginnen sie, unterschiedliche Bewegungsabläufe einzustudieren. „Eins, zwei, drei, vier“, murmeln sie, indem sie die Arme strecken, sich drehen, auf den Boden gehen. Als der Choreograf nur mit einer von ihnen probt, wiederholen die beiden anderen konzentriert und unermüdlich ihre eigenen Partien.

Bei dem Probenbesuch geht es auch um den gesellschaftlichen Umgang mit Menschen mit Down-Syndrom.

An einer Stelle sagt die von Juliana gespielte Irina: „Die gehen doch mit uns um wie Unkraut. Sie rupfen uns aus.“ Nele erwidert in ihrer Rolle als Mascha nur: „Ach komm, hör auf. Ich geh’ was trinken.“

Es ist eine kleine Szene nur, aber sie bringt wie ein Schlag in Erinnerung, dass es werdenden Eltern heutzutage möglich ist, sich gegen ein Kind mit Down-Syndrom zu entscheiden. Über neunzig Prozent der Frauen, die bei einem vorgeburtlichen Test von der Trisomie 21 erfahren, wählen eine Abtreibung. „Ich habe die Befürchtung, dass Nele zu einer aussterbenden Menschenart gehört“, sagt ihr Bruder, Tammo Winkler. „Das ist jetzt eine ganz wichtige Zeit, noch einmal zu zeigen, was das für tolle Menschen sind, bevor sie eventuell nicht mehr da sind.“

 

In der FAZ (FAZ, 12.2.2015) wird Bella portratiert. Sie lebt zum Teil in einem Heim, arbeitet in der dazugehörigen Werkstatt. Der Bericht schildert eindrücklich die Suche nach sozialem Leben und die Auseinandersetzung mit der Welt aus Perspektive einer, die zur Minderheit gehört und das auch weiss.

Bella weiß, dass sie Downsyndrom hat. […] Sie kann aber nicht erklären, was Downsyndrom ist, was es mit ihr macht, wie es sich anfühlt. Sie erzählt nur, dass sie oft angestarrt wird; von Leuten, die sie gar nicht kennt, die ganz lang nur starren; bis sie Angst bekommt und sich hinter der Mutter versteckt. Dann murmelt sie: „Ich weiß nichts sonst“, zuckt mit den Schultern, schweigt. Aber Bella weiß viel mehr, als sie zugibt. Nein, anders: Etwas in Bella weiß viel mehr, vielleicht ihr Herz oder ihr Blut oder ihre Zellen. Etwas in ihr ahnt zum Beispiel, dass ihr Leben ganz und gar von der Liebe und vom Wohlwollen bestimmter Menschen abhängt. Dass es ratsam ist, alles zu tun, um diesen Menschen zu gefallen. Auch wenn es schmerzt.

Die Grundstruktur der Aufteilung der Welt und wem sie eigentlich entlang von Eigentum, Macht, Herrschaft und Mehrheitsgetöse gehört, wird sich so bald nicht ändern, aber konkret und praktisch im alltäglichen sich-in-soziale-Beziehungen-setzen und anderen auf Augenhöhe begegnen ändern lässt sich die Angst und Abhängigkeit von Menschen mit Down-Syndrom vom Wohlwollen beliebiger Menschen ohne Down-Syndrom.

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