Landwirtschaft ist nicht ganz so einfach, wie sich das vielleicht der eine und die andere vorstellen. Das Prinzip allerdings ist einnehmend simpel: Ein Samen kommt in die Erde, wird gehegt und gepflegt, dann wächst daraus eine Pflanze. Vielleicht Reis, vielleicht wird es sogar ein kleines Reisfeld. Ein Teil der Ernte ist zum Essen, ein anderer wird als Saatgut für die neue Aussaat benutzt. Wir berichteten über den repressiven Versuch der Zerstörung dieses Prinzips in Kolumbien 2013: Der Film zur Verordnung 970 zeigt die verheerenden Folgen für die Bauern_Bäuerinnen und arbeitet die Verbindung zur Durchsetzung des Freihandelsabkommens zwischen Kolumbien und den USA heraus. Die Proteste, die sich an der Zerstörung von 70 Tonnen Reis entfachten, waren die größten der letzten Jahrzehnte in Kolumbien:
Diese Streikbewegungen haben in Dauer und Umfang alle Streiks der letzten Jahre übertroffen: Allein der Bauernstreik dauerte 21 Tage und legte die Verbindungen zwischen mehreren Städten durch Straßensperren lahm. (Cynthia Osorio, Januar 2014, Archipel)
Die Auswirkungen von Freihandelsabkommen für die kleinbäuerliche Landwirtschaft und Artenvielfalt in Kolumbien sind verheerend:
In Kolumbien existiert bis heute eine außergewöhnlich große Kulturpflanzenvielfalt, die von tausenden althergebrachter indigenen Pflanzensorten gebildet wird, die von Millionen Bauern und Bäuerinnen der indigenen, afro-kolumbianischen und bäuerlichen Gemeinschaften erhalten wird. Die Samen sind ein wichtiges ‚Kulturgut der Bevölkerung im Dienst der Menschheit‘ und die Grundlage ihrer Nahrungssouveränität und Lebensmittelsicherheit. Deshalb müssen sie in den Händen der Bauern_Bäuerinnen bleiben. (Erklärung der kolumbianischen sozialen Bewegungen und Saatgutorganisationen vom 2./3.Oktober 2013)
Im weltweiten Kampf um Ernährungssouveränität als Menschenrecht geht es um die intellektuellen Eigentumsrechte am Saatgut – also auch um geistiges Eigentum an Wissen um Landwirtschaft, selbstbestimmten Anbau und autonome Nahrungsmittelproduktion. Saatgutkonzerne versuchen, dieses Wissen mittels Lizenzen und Verordnungen durch Freihandelsabkommen kapitalistisch verwertbar zu machen. Dazu soll das in vielfältiger kleinbäuerlicher Landwirtschaft produzierte Saatgut kommerzialisiert und ins Privateigentum einiger weniger Menschen transformiert werden. Kleine und mittlere bäuerliche Betriebe werden dort wie hier oder woanders in der Welt im Zuge von Konzentrationsprozessen von ihren Ressourcen (Saatgut) abgeschnitten, von ihrem Land verdrängt und zerstört. Große Konzerne gewinnen die Kontrolle über Nahrungsmittel und deren Produktion. Reis oder anderes Getreide, Tomaten, Kohlsorten usw. werden Waren zur Profitmaximierung, statt Teil als Teil der Commons für alle zugänglich zu bleiben.
Im März 2014 fand eine Delegationsreise von drei Kolumbianer*innen durch Nord-Westeuropa statt. Eingeladen haben Longo maï, das Europäische BürgerInnenforum und die Kampagne für Saatgut-Souveränität. Anlass waren die Kämpfe um den Erhalt kleinbäuerlicher Strukturen und die Forderung nach Ernährungssouveränität als Menschenrecht in Kolumbien und weltweit.
Die Ernährungssouveränität und die Saatgutsouveränität von ganzen Ländern und deren bäuerlichen Gemeinschaften werden durch verschärfte Konkurrenz mit Billigimporten und durch neue staatliche Auflagen für landwirtschaftliche Produzenten untergraben und zerstört. Zerstörungen bäuerlicher und nationaler Autonomie sind jedoch nicht nur zufällige Folgen, sondern eigentliches Ziel bilateraler Handelsverträge der Industriestaaten mit sich entwickelnden Ländern. Erst mit der Zerstörung selbständiger und unabhängiger Strukturen können neue Märkte für die exportorientierten Industrien der Industrieländer geschaffen, das Wirtschaftswachstum in den Industrieländern gefördert und die Möglichkeiten zur Kapitalverwertung erweitert werden. So wie in Kolumbien noch 90% des Saatgutes aus der eigenen Ernte genommen werden, so beruht die Landwirtschaft in vielen Teilen der Welt auf der Selbstversorgung der bäuerlichen Betriebe mit Saatgut, Dünger und Pflanzenschutzmitteln. Eine Zerstörung dieser Selbstversorgung bietet Saatgutkonzernen wie Dupont, Monsanto und Syngenta und Agrarchemiekonzernen wie Bayer, BASF und Dow Chemical neue Absatz-und Gewinnmöglichkeiten. Die Export- und Kapitalverwertungsinteressen der transnationalen Konzerne – u.a. in den Bereichen Kunstdünger, Pestizde und Saatgut – werden über die Menschenrechte gestellt, über das Recht auf Nahrung und insbesondere über die bäuerlichen Rechte, wie sie im Internationalen Saatgutvertrag (ITPGR-FA) formuliert sind. (Europäisches BürgerInnenforum, März 2014)
Was tun?
Mit dem 1.Mai 2014 wurde In Kolumbien wieder zu einem landesweiten Streik und dessen Unterstützung aufgerufen. Praktisch können wir auch von Europa aus mit der kolumbianischen Organisation Red de Simillas zusammenarbeiten, indem wir Semillistas werden und Patenschaften für bedrohte Saatgutvarianten übernehmen.
Vielleicht ist es auch an der Zeit über eine eigene Lizenz für privatisierungsbedrohtes Saatgut nachzudenken. Es mag etwas abwegig erscheinen: Die open source-Bewegung hat auf Lizensierungen mit einer eigenen Lizenz reagiert: Copyleft statt Copyright. Copyleft erlaubt die Weitergabe ausdrücklich und verbietet die Einschränkung der Nutzungs- und Weitergabemöglichkeiten. Möglicherweise ließe sich eine Lizenz für Saatgut entwickeln, die analog zur Software auch für Saatgut aus kleinbäuerlicher Landwirtschaft sicherstellt, dass niemand die traditionellen Methoden der Züchtung, Nutzung, Weitergabe und Neugewinnung privat aneignen und dem Rest der Welt verbieten kann. Stattdessen im Sinne von Nahrungssouveränität den Zugang durch ein zwar lizenzförmiges Gütesiegel realisiert. Red de Semillas hat hier auch einen Anfang gemacht.
Zu der Idee einer open source Lizenz für Saatgut gibt es bereits in den USA Initiativen, die sich einer solchen Lizenz erfolgreich bedienen: http://www.opensourceseedinitiative.org/
The Guardian schreibt am 2.5.2014 (http://www.theguardian.com/sustainable-business/seed-monopoly-free-seeds-farm-monsanto-dupont):
„The initiative’s goal is to provide an alternative to the patent-protected seeds sold by major producers such as Monsanto and DuPont, most of which require buyers to sign agreements that create strict limits on how the seed can be used. Farmers are generally prohibited from saving seed from their crops to plant the following year, for example; new seeds must be purchased for each planting. Seed giants like Monsanto argue that this approach encourages innovation by allowing companies to protect the investment of time and money they put into developing new plant varieties. Kloppenburg and his OSSI partners, however, find the practice unsettling.
„They are using intellectual property rights, especially patents, to separate farmers from a fundamental means of production,“ he said. „Control of the seed is, in many ways, control over the entire food supply.“
Furthermore, the concentration of the industry into a few big players – just three companies sell more than half the seeds on the market, according to the Center for Food Safety – means that the biological diversity of crops is declining, making our food supply less likely to adapt well to climate change, he said.
Looking for solutions to these concerns, OSSI drew inspiration from the open-source software movement, … „
Ergänzend zu diesem Beitrag möchte ich noch auf die Dokumentation des Agrarstreiks in Kolumbien, der nachwievor läuft, auf der Website des Congreso de los Pueblos hinweisen: http://congresodelospueblos.org/
Mit den drei Delegationsteilnehmer*innen gibt es hier noch ein lesenswertes Interview: http://diestandard.at/2000001058236/Ihr-werdet-es-zu-spueren-bekommen