Mit der Aussetzung der Wehrpflicht wird die Bundeswehr noch mehr zum ganz normalen Arbeitgeber – und die Soldatentätigkeit zur privaten Berufsentscheidung und aus der gesetzlichen Wehrpflicht wird eine soziale Wehrpflicht. Schon vor der Aussetzung der Wehrpflicht verzeichnet die Bundeswehr eine soziale Schieflage mit Ost-West-Gefälle. Ein willkommener Nebeneffekt: In einer solchen Sichtweise verschwindet der Inhalt ihrer Arbeit – Ausbildung zum Töten und Sterben, Vorbereitung und Durchführung von Kriegen – fast aus den Augen. So bilanziert das SZ-Magazin neulich: „Im Sommer 2009 geriet eine Patrouille der Bundeswehr in Afghanistan in einen Hinterhalt, drei deutsche Soldaten starben – alle drei waren Ostdeutsche. Der Grüne Bundestagsabgeordnete Peter Hettlich formulierte daraufhin eine Anfrage an die Regierung: Wie viele Soldaten im Auslandseinsatz stammen aus Ostdeutschland? Die Antwort: 3143 von 6391 – das sind fast fünfzig Prozent, bei den unteren Dienstgraden sind es sogar sechzig Prozent.
Michael Wolffsohn, Geschichtsprofessor an der Bundeswehr-Universität in Neubiberg bei München, kennt diese Zahlen und spricht deshalb, ohne es abwertend zu meinen, von einer »Ossifizierung« der Bundeswehr. Allerdings setzt diese nicht oben an: 2009 war unter den vier Generälen im Auslandseinsatz kein Ostdeutscher. Von den damals 200 Generälen der Bundeswehr war genau einer aus Ostdeutschland. Das sind 0,5 Prozent. Aber mehr als die Hälfte aller »Freiwillig Wehrdienst Leistenden« (FWDLer) kommt aus dem Osten: Sie verlängern ihren Grundwehrdienst um bis zu 14 Monate und riskieren damit einen Auslandseinsatz, bekommen aber mehr Geld, einen höheren Dienstgrad und zum Beispiel die Aussicht auf einen bezahlten Führerschein. Das erscheint doppelt attraktiv, wenn die Alternative Hartz IV lautet. »Je höher die Arbeitslosigkeit, desto größer ist das Interesse an einer beruflichen Tätigkeit bei der Bundeswehr«, so konnte man es 2007 sogar in einer Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr lesen.
Sind die Ostdeutschen unser Kanonenfutter? Michael Wolffsohn schränkt ein: »Es ist so: Wer arm ist, muss eher in Afghanistan sterben.« Ostdeutsche sind öfter arm, sie sind öfter arbeitslos. Deswegen gehen sie eher zur Bundeswehr. Die Lage scheint mittlerweile durchaus vergleichbar zu den USA, wo Afroamerikaner weit überproportional in der Armee vertreten sind und weit überproportional sterben. Der Unterschied ist: Die Zahlen in den USA sind rückläufig.“ Quelle: SZ-Magazin 30/2010