Prekarisierung ist längst kein Problem von Wenigen mehr. Ob Putzfrau, Wachmann, Supermarktkassiererin oder Leiharbeiter, ob IT-Spezialist, Wissenschaftlerin, Journalist oder Kulturschaffende, ob Praktikant oder Ein-Euro-Jobberin – immer mehr Menschen sind Formen der „Flexploitation“ ausgesetzt, der flexiblen Ausbeutung im neoliberalen Kapitalismus. In der Krise sind selbst die fest angestellten Stammbelegschaften nicht mehr sicher. Prekäre Beschäftigung bildet, zugespitzt formuliert, das neue Normalarbeitsverhältnis.
Die gegenwärtige Krise verschärft Ungleichheiten und Unsicherheiten, fördert sie aber zugleich auch Organisationsprozesse der Prekären? „Das Prekariat ist eine Art unmöglicher Gruppe, deren Geburt notwendigerweise unvollendet bleibt“, so Loïc Wacquant. Es scheint kein ›re-making of the working class‹ zu geben. Gleichwohl regt sich Widerstand. Die Organisationsformen sind vielfältig, reichen von lokalen Arbeitslosenbündnissen bis zu internationalen Netzwerken von Hausarbeiterinnen und Migranten, von gewerkschaftlichen und kommunalen Organizing-Kampagnen bis zum Straßenprotest und zur Gründung eigener Unions. Das Prekariat kämpft, spontan oder organisiert, alltäglich und politisch, wenn auch selten gemeinsam, sondern zumeist entlang beruflicher, ethnischer, geschlechtlicher, politischer oder Status-Spaltungen.
Es stellen sich vielfältige Fragen: Inwiefern kann ein entwickelter Klassenbegriff behilflich sein, gegenwärtige gesellschaftliche Umbruchprozesse zu begreifen, gruppenübergreifende Interessen herauszuarbeiten und Kämpfe zu verbinden? Wie lassen sich jenseits essentialistischer Vereinheitlichung Interessen verallgemeinern und zugleich Differenzen respektieren? Welche Rolle spielen dabei alte und neue Ansätze der (Selbst)Organisierung wie der politischen Repräsentation? Und nicht zuletzt: auf welche Weise berühren neue Formen von Arbeits- und sozialen Kämpfen tradierte Gewerkschaftsidentitäten?
Internationale Tagung des Institut für Gesellschaftsanalyse und des Gesprächskreis Prekarisierung der Rosa Luxemburg Stiftung
19.-20.6.09, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Konferenzsaal, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin
Programm
Freitag, 19. Juni
11 bis 12.30 Uhr
Crashkurse zu den Themen
a. Prekarität, Prekarisierung, Prekariat
b. Organizing und Gewerkschaftsidentitäten
c. Klasse, Rasse, Geschlecht.
13.30 bis 15 Uhr
Eröffnungsrede
The Making and Unmaking of the Precariat.
Loïc Wacquant, University of California Berkeley,
Kommentar: Fabien Jobard, CNRS Paris (angefragt)
Moderation: Mario Candeias, Rosa Luxemburg Stiftung.
15 bis 17 Uhr
Networking Spaces – Gelegenheit zum Vernetzen
Film: »Empower the Favellas« mit FilmemacherInnen Adrian Mengay und Maike Pricelius, Lounge mit Musik
17 bis 19 Uhr
Podiumsdiskussion
Bestrafen der Armen – (Neu-)Formierung des neoliberalen Staates?
Frances Fox Piven, City University New York, Erwin Riedmann, Metrozone, Freie Universität Berlin, Loïc Wacquant, University of California Berkeley
Moderation: Margit Mayer, Freie Universität Berlin.
Sonnabend, 20. Juni 2009
10 bis 11 Uhr
Rede
Gewerkschaftskämpfe zwischen Entsolidarisierung und neuer Solidarität Frances Fox Piven, City University New York,
Moderation: Britta Grell, Inura.
11.15 bis 13.15 Uhr
Workshop
Gewerkschaften in der Krise. Zwischen klassischer Organisierung und Organizing.
Hae-Lin Choi, New School New York, Bernd Röttger, Das Argument, Stefanie Hürtgen, Akademie der Arbeit, Frankfurt a. M., Audra Makuch, US-Einzelhandelsgewerkschafterin (angefragt)
Moderation: Anne Steckner, Rosa Luxemburg Stiftung.
13.15 bis 14.30 Uhr Mittagspause
14.30 bis 17 Uhr
Workshop
Das Prekariat – Klassenfraktion im Werden? Organisation und Repräsentation Monica Orjeda, Sozialarbeiterin und Aktivistin aus Hamburg, Catharina Schmalstieg, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Peter Birke, Blauer Montag/Rosa Luxemburg Stiftung, Ingrid Artus, Technische Universität München, Henrik Lebuhn, San Francisco Art Institute
Moderation: Anne Steckner und Mario Candeias, Rosa Luxemburg Stiftung.
17 bis 19 Uhr
Networking Spaces – Gelegenheit zum Vernetzen
Film: »Ende der Vertretung – Emmely und der Streik im Einzelhandel« mit Regisseurin Bärbel Schönafinger, Lounge mit Musik
19 bis 20 Uhr
Abschlussrede
Krise und sozialistische Perspektiven
David Harvey, City University New York.
ANMELDUNGEN bei heine@rosalux.de