Finanzkrise: Städte verzocken Millionen

Berlin. Rund 700 Städten und Gemeinden drohen nach Angaben des Bundes der Steuerzahler hohe Millionenausfälle, weil sie sich in großem Stil verspekuliert haben. So seien der Stadt Hagen mehr als 50 Millionen Euro, Remscheid 13 Millionen, Neuss zehn Millionen und der Stadt Mühlheim sechs Millionen Euro verloren gegangen. Die Kämmerer hätten Steuergeld für Zinsspekulationen – sogenannte Swap-Geschäfte – eingesetzt, sagte Verbandspräsident Karl Heinz Däke in Berlin.

Damit sei die Liste nicht abgeschlossen. Experten schätzten, dass bundesweit rund 700 Kommunen solche Geschäfte abgeschlossen hätten „und noch viele Millionen Euro Steuergeld verloren gehen“, sagte Däke.

Mit der die Finanzkrise entstünden den Steuerzahlen finanzielle Lasten auf allen staatlichen Ebenen. Das Ausmaß sei noch nicht absehbar. Däke kritisierte, dass die Rettung der Mittelstandsbank IKB den Steuerzahlern direkt und indirekt 9,2 Milliarden Euro gekostet habe.

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Obwohl die Bundesregierung im Aufsichtsrat der IKB vertreten sei, habe sie sich über die Verluste ahnungslos und desinformiert gezeigt. „Für die Steuerzahler ist das ein weiterer Schlag ins Gesicht, denn wozu gibt es denn überhaupt Aufsichtsräte“, sagte Däke. Diese Frage stelle sich auch für viele Landesbanken.

Der Verbandschef forderte für staatseigene oder teilstaatliche Banken ein Verbot hochspekulativer, risikoreicher Geschäfte. Die Bundesregierung dürfe angesichts der Krise nicht von ihrem Ziel der Haushaltskonsolidierung abweichen. Vielmehr räche sich, dass sie das Ziel nicht früher realisiert habe.

In seinem neuen Schwarzbuch listet der Verband 119 Beispiele auf, in denen sorglos mit Steuermitteln umgegangen wurde. Zum großen Teil handelt es sich dabei um öffentliche Bauprojekte, die sich als wenig erfolgreich oder gar unnötig herausgestellt hätten.

Besonders skurril liest sich ein tierfreundlicher Verwaltungsakt in der sächsischen Gemeinde Nünchritz. Die 6400-Einwohner-Gemeinde baute ein neues Schulhaus und musste „als Ausgleichsmaßnahme für wegfallende Nester“ einen Mehlschwabenturm errichten. „Doch leider nehmen die Schwalben den Turm bislang nicht an“, schreiben die Autoren des Schwarzbuches und liefern die Begründung gleich mit: Damit sei „im ländlichen Raum auch nicht zu rechnen“. Die Gemeinde Nünchritz selbst treffe übrigens keine Schuld: Sie musste sich den Auflagen des Umweltamtes beugen, um Fördergeld für das Schulzentrum zu bekommen – die Kosten: 13.000 Euro.

Als Schildbürgerstreich bezeichnete Däke ein Bewegungsbad im baden-württembergischen Bad Schussenried, das für rund 3,4 Millionen Euro gebaut, nie eröffnet und schließlich für 226000 Euro versteigert wurde.

Zum ersten Mal nannte Däke keine konkrete Summe zur Verschwendungssucht von Behörden und staatlichen Organisationen. Seit Mitte der 90er Jahre hatte der Steuerzahlerbund die staatliche Misswirtschaft immer auf denselben Betrag beziffert. Kritiker warfen dem Verein daher Populismus und mangelnde Seriosität vor.

Däke hatte sich bei seinen Schätzungen auf die Annahmen der Rechnungshöfe gestützt, die davon ausgingen, dass bis zu 95 Prozent der öffentlichen Mittel korrekt eingesetzt würden. Im Umkehrschluss rechnete der Steuerzahlerbund mit etwa fünf bis zehn Prozent der öffentlichen Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden, die verloren gingen. Bei etwa 600 Milliarden Euro Gesamtausgaben ohne Zinslasten seien das rund 30 Milliarden Euro.

Däke sagte, angesichts der Kritik habe er in diesem Jahr Gutachten anderer Institute herangezogen. „Die Zahlen haben bestätigt, dass wir mit unserer bisherigen Schätzung absolut im grünen Bereich liegen.“ Ein Gutachten des wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministerium etwa habe ergeben, dass der Staat durch besseres Wirtschaften jährlich 36 Milliarden Euro sparen könnte. „Damit sehen wir unsere früheren Angaben bestätigt.“

Die Gesamtsumme der Steuerverschwendung exakt auf den Cent zu beziffern, sei jedoch unmöglich. „Ob es 20, 30 oder 40 Milliarden Euro sind, ist aber letztlich egal“, betonte Däke. Es gehe um den ordnungsgemäßen Umgang mit Steuergeld.

In seinem aktuellen „Schwarzbuch“ listet der Steuerzahlerbund Fälle von Verschwendung aufgrund von Fehlplanungen, Kostenexplosionen, Luxusreisen oder teurer Imagepflege auf. „Das sind mehr als zuvor“, sagte Däke. „Die Zahl der Beispiele, die uns aus der Bevölkerung genannt werden, nehmen immer mehr zu. Offenbar sind die Menschen sensibler geworden.“ Dargestellt werden aber auch drohende oder verhinderte Fälle.

Auffällig viele Beispiele seien auf Mischfinanzierungen durch mehrere Verwaltungsebenen zurückzuführen. „Um Zuschussmöglichkeiten nicht ungenutzt zu lassen“ würden in solchen Fällen Projekte oft größer oder aufwendiger geplant und verwirklicht. (rtr/ddp/dpa)


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Dokument erstellt am 09.10.2008 um 15:10:49 Uhr
Letzte Änderung am 09.10.2008 um 15:25:34 Uhr
Erscheinungsdatum 09.10.2008
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