Die Gefahren der Privatisierung

Papier des Berliner SPD-Donnerstagskreises zur Privatisierung von Bildung und PPPs

von Gerlinde Schermer

Wer über die Gefahren der Privatisierung spricht, muss sich fragen:

Woher kommt der Trend?

Was können wir dagegen tun?

Der Trend zur Privatisierung hat seine Wurzeln u.a.

• im allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen

(1994). Die GATS-Verträge definieren Bildungsdienstleistungen. Was

diese Vereinbarungen betrifft, betreiben die EU-Kommission und das

zuständige Bundeswirtschaftsministerium Geheimniskrämerei. Wo

aber Marktzugang vereinbart wurde, sind mengenmäßige

Handelsbeschränkungen verboten und ausländische Bildungsträger

dürfen in Deutschland arbeiten. Was zählt bereits dazu? Privat

finanzierte Angebote im vorschulischen Bereich (Kindergärten);

schulische und berufsbildende Angebote unterhalb der Hochschule;

Berufs- und Universitätsausbildung, Erwachsenenbildung sind bereits

liberalisiert. Laut GATS verstoßen Subventionen (also öffentliche

Gelder) immer dann gegen das Abkommen, wenn die subventionierte

Bildungseinrichtung im Wettbewerb mit privaten Anbietern steht. Das

ist bei uns fast überall der Fall. Über den Begriff »hoheitliche

Aufgabe« schützt die EU deshalb noch viele Bildungsangebote durch

das Recht, den Markt einzuschränken. Aber das ist eine Kampflinie,

von der kaum jemand etwas weiß.

• in der EU–Dienstleistungsrichtlinie vom 16.11.2006: »Das war kein

guter Tag für die Bildung«, sagte seinerzeit der GEW-Vorsitzende

Ulrich Thöne zu Recht. Denn diese Richtlinie öffnet den

innereuropäischen Handel mit Dienstleistungen. Auch für die privaten

Bildungsdienstleistungen. Zwar werden Einrichtungen, die

vornehmlich öffentlich finanziert werden, noch nicht erfasst. Aber:

Die Abgrenzung zwischen öffentlicher Bildung und privater Bildung ist

nicht immer eindeutig. Was unter die Richtlinie fällt und was nicht, ist

nach »Erwägungsgrund« der EU-Dienstleistungsrichtlinie von Fall zu

Fall zu beurteilen. Auch hier verläuft eine Kampflinie, die im

Verborgenen liegt.

• in der EU–Handelsstrategie vom 4.10.2006 (mit Regeln

internationaler Handelsabkommen), die nach außen zielt (China,

Indien, Russland, Golfstaaten), weil man u. a. durch bilaterale

Verhandlungen Rohstoffe einkaufen möchte und als Gegenleistung

eine beschleunigte Öffnung von Dienstleistungsmärkten anbietet —

z.B im Bildungsbereich.

• Ergänzt wird Obiges durch die Rechtsprechung des Europäischen

Gerichtshofes: Der EuGH hat u.a. in einem Grundsatzurteil vom 11.

Januar 2005 (AZ:C –26/03) zur europaweiten Ausschreibungspflicht

für Aufträge an gemischt-wirtschaftliche kommunale Unternehmen

entschieden. Wichtig auch für den Bildungsbereich ist die Begründung

des EuGH für die Ausschreibungspflicht und gegen die freihändige

Vergabe von Aufträgen der Kommune an gemischt-wirtschaftliche

Einrichtungen. Da heißt es: »Selbst für gemischt-wirtschaftliche

Gesellschaften, an denen ein privates Unternehmen nur einen

minimalen Anteil hält, sei auszuschließen, dass der öffentliche

Anteilseigner über diese Gesellschaft eine ähnliche Kontrolle wie über

seine eigenen Dienststellen ausübt.« Weiter: Bei einer solchen

Konstellation stehe nicht die Verfolgung von im öffentlichen Interesse

liegenden Zielen im Vordergrund, sondern Ȇberlegungen, die mit

privaten Interessen zusammenhängen« — etwa die Rendite auf

privates Kapital.

Schlussfolgerung für alle Menschen in Deutschland, die am Recht

auf gleiche Bildung für alle — Verfassungsauftrag — und damit an

öffentlicher Bildung festhalten:

• Lasst keine privaten Rechtsformen zu — auch keine noch so kleine

Beteiligung Privater an Bildungseinrichtungen aller Art.

• Kämpft gemeinsam für die vollständige und ausreichende öffentliche

Finanzierung der Bildungseinrichtungen.

Wer glaubt, die deutsche Bundesregierung, deren Regierungsmitglieder der

Verfassung verpflichtet sind, hätte aus dem Urteil des Europäischen

Gerichtshofes den gleichen Schluss gezogen, ist im Irrtum. Im Gegenteil,

das Bundeswirtschaftsministerium hat ganz andere Ängste entwickelt. Das

Ministerium hat gegenüber der EU-Kommission darauf hingewiesen, dass

das vorgenannte Urteil des EuGH die Bildung institutionalisierter öffentlichprivater Partnerschaften (ÖPP) in der Praxis unzumutbar erschweren könnte und damit nicht zu mehr, sondern zu weniger Wettbewerb führte. Zu

befürchten sei nach Meinung des Ministeriums insbesondere eine

Rekommunalisierung öffentlicher Aufgaben. Bevor sich öffentliche

Einrichtungen durch Kooperation mit Privaten zur Ausschreibung gezwungen

sähen, würden sie bestimmte Aufgaben lieber gleich selbst erledigen. Auf

der anderen Seite, so das Ministerium, schreckten auch private

Unternehmen davor zurück, Kooperationen mit der öffentlichen Hand

einzugehen, wenn sie nicht sicher sein könnten, dass diese ÖPP die

Aufgabe, zu deren Zweck sie gegründet würde, längerfristig durchführen

könnte.

Halten wir also fest: Die Bundesregierung betreibt seit mindestens sieben

Jahren eine Politik, mit der sie die Steuern für Unternehmen massiv absenkt

und die Kommunen quasi per Gesetz verarmt. Als Beispiele seien hier nur

die steuerliche Null-Lösung ab dem Jahr 2000 für die Verkäufe von

Unternehmensbeteiligungen genannt — Stichwort: »Entflechtung der

Deutschland AG« — und die Gesetze zur »Stärkung des Finanzplatzes

Deutschland«, die z.B Private Equity Fonds (Firmenjäger) mit stattlichen

Steuervorteilen nach Deutschland locken, damit sie hier einkaufen. Und

nicht zuletzt das »ÖPP-Beschleunigungsgesetz« von 2005, das von Beratern

miterarbeitet wurde, die ihre Dienstleistung heute Baukonzernen und

Banken anbieten und allen beteiligten Firmen Wachstumszahlen bescheren.

Der Baukonzern Hochtief (Jahresumsatz ca. 16,7 Mrd. Euro) hat extra eine

eigene Tochtergesellschaft für ÖPP gegründet, die »PPP Solutions« (PPP =

Public Private Partnership), die weltweit aktiv ist. Im Geschäftsbericht 2006

begrüßt Hochtief das Vorhaben der Bundesregierung, den Anteil von ÖPP an

öffentlichen Investitionen auf 15 % anheben zu wollen, und bedankt sich für

die neuen Gesetze: »Bei PPP-Projekten verdient Hochtief als privater

Investor und Betreiber durch Entgelte von Nutzern der öffentlichen Hand,

durch Dividenden, Zinsen aus Gesellschaftsdarlehen und mögliche

Verkaufserlöse.« Hochtief betreibt inzwischen in 65 Schulen das

Gebäudemanagement.

Die Auswirkungen dieser Politik:

• Die verarmten Kommunen haben massiv Vermögen verkauft

(kommunale Betriebe, Gas Wasser, Strom, städtische Wohnungen,

Krankenhäuser).

• Das zukünftige Auftragsvolumen von Ländern und Kommunen wird über

langfristige Verträge an Großkonzerne verkauft (PPP-Verträge).

• Die öffentliche Hand streicht öffentliche Aufgaben aus der öffentlichen

Finanzierung, diese Aufgaben fallen nun an den Markt als neue

Umsatzquelle für Unternehmen (wie z.B. Kitas, Seniorenheime,

Bibliotheken, Musikschulen, Grünflächenpflege, Jugendsozialarbeit,

Kultureinrichtungen etc.).

• Immer mehr internationale Kapitalanleger und Konzerne erhalten in

Deutschland günstige Investitions- und damit Renditemöglichkeiten.

• Konzerne sichern sich den »Bildungsmarkt« Deutschland, der weltweit

ein Volumen von 2,2 Billonen US Dollar hat.

Schlussfolgerung:

• Das öffentliche Geld für die Bildung wäre vorhanden, gäbe es nicht

Steuergesetze und Überlegungen zu weiteren Gesetzen, die das private

Kapital entlasten und dem internationalen Finanzkapital immer neue

lukrative Anlagemöglichkeiten in Deutschland bieten.

• Es gilt, sich gegen diese Gesetzgebung massiv zu wehren. Es gilt zu

verhindern, dass sich immer mehr Kommunen aus der Finanzierung und

Verantwortung für die öffentliche Bildung zurückziehen, da ansonsten die

Regeln internationaler Handelsabkommen und Strategien greifen, die nur

ein Ziel haben: den Schutz der öffentlichen Dienste und damit den Anteil

der öffentlichen Bildung abzubauen und Bildung für die internationalen

Märkte zu öffnen.

»Public Private Partnership« (PPP)

Worum handelt es sich dabei? Um ein Trojanisches Pferd, das Private in

Bereiche einschleust, aus denen die Kommune sie später nicht mehr

herausbekommt.

PPP-Verträge, auf Deutsch »Öffentlich-Private-Partnerschaft-«Verträge sind

immer langfristige, geheime Verträge. Sie werden von Politikern vor allem

wegen der Geldarmut der Kommunen abgeschlossen. Da die öffentlichen

Haushalte hoch verschuldet sind, wird suggeriert, über PPP könne die

Kreditaufnahme der öffentlichen Hand umgangen werden. Um für die

Bürger heute die Leistungen zu erbringen, die ihnen unser Rechtsstaat im

Grunde garantiert, wird nun über den Umweg teurer PPP-Verträge am Ende

doch ein Kredit aufgenommen (vom Bauherrn und Betreiber des PPPProjektes).

Gezahlt wird von der öffentlichen Hand über die gesamte

Laufzeit des Vertrages natürlich auch für den Kredit, den der private

Bauherr aufnimmt. Es wird heute gebaut, obwohl angeblich dafür keine

öffentlichen Mittel vorhanden sind. Sanierung von Bildungseinrichtungen,

Schwimmbädern, Krankenhäusern, Rathäusern, Altenheimen stehen auf

dem Programm. Für all diese Maßnahmen werden nun PPP-Verträge

abgeschlossen. Dabei geht es bisher fast immer um Hochbaumaßnahmen

mit anschließender 25-40-jähriger Betreiberphase. Diese möglichst lange

Laufzeit ist der hoch-wichtige Bestandteil aller PPP-Verträge. Nur dadurch

ist PPP für Baukonzerne interessant. Sie verkaufen den Anspruch auf das

Auftragsvolumen sofort am Kapitalmarkt weiter und holen sich so frisches

Geld. Die Folge: Die Baukonzerne haben volle Auftragsbücher und gute

Bilanzen. Für die Kommune bedeuten diese Verträge im Gegenzug

langfristige, dauerhafte Zahlungsverpflichtungen (im Amtsdeutsch im

Haushalt »Verpflichtungsermächtigung« genannt). Mit dem nun als

planmäßige Ausgabe im Haushalt betitelten Geld muss die Kommmune die

nunmehr ausgehandelte Leistung dauerhaft bezahlen, mitunter bis zu 40

Jahre. Der Geldfluss geht dabei über die Banken an diejenigen

»Investoren«, die vom Baukonzern den Anspruch auf das Auftragsvolumen

gekauft haben. Internationale Anleger mischen also mit.

PPP als angeblich toller Finanzierungsweg ist nichts anderes als eine

verdeckte Kreditaufnahme der öffentlichen Hand, die die Stadt oder

Kommune mehr kostet, als wenn sie den Kredit selbst aufgenommen und

offen im Haushalt ausgewiesen hätte. Der Vertrag, einmal unterschrieben,

gilt. Gezahlt wird die für die versprochene Leistung vereinbarte Rate, eine

Art Leasingrate, die auch einen festkalkulierten und versprochenen Gewinn

mit »Risikoaufschlag« für den PPP-Partner enthält. Die Politiker, die das

heute unterschreiben, kennen die Verträge nicht, sie verlassen sich auf

Berater, die ihrerseits natürlich im Geschäft bleiben wollen. Spätere

öffentliche Einsicht in so geschlossene PPP–Verträge werden abgelehnt mit

der Begründung, es würden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse berührt.

Die typische PPP-Vertragsstruktur ist kompliziert und unübersichtlich:

• Der Konzessionsvertrag: Er regelt die Lieferung von Dienstleistungen

durch die Projektgesellschaft und enthält in der Regel Vereinbarungen

zur Qualität der zu erbringenden Dienstleistungen und den

Zahlungsmodalitäten.

• Der Bauvertrag: In der Regel ist er eine Festpreisvereinbarung für ein

schlüsselfertiges Projekt, das vor Ablauf einer bestimmten Frist vom

Bauherrn betriebsbereit fertig gestellt sein muss.

• Der Vertrag für die Gebäudebewirtschaftung: Dieser Vertrag enthält

die Betriebs- und Instandhaltungsleistungen, die häufig an ein

Tochterunternehmen der Gesellschafter der Projektgesellschaft

vergeben werden.

• Aktionärs-, Kredit- und Finanzierungsverträge: Sie beziehen sich auf

die Finanzierung der Projekte, die durch Eigenkapital und Kredite

aufgebracht werden. Hier wird u.a. der Kredit des Bauherrn

vereinbart. Da Bauherren selbst wenig Eigenkapital einsetzen,

müssen sie ihre eigenen Kreditkonditionen bei den Banken fixieren.

Damit die privaten Bauherren kommunalkreditähnliche Konditionen

bei der Finanzierung erhalten, wird oft an dieser Stelle der

Einredeverzicht der Kommune für die Laufzeit der Betreiberphase

vereinbart. Durch die monatliche Zahlung zahlen die Kommunen

während der Laufzeit des Vertrages auch für die Zinsen des

Bauherrn; aus diesem Grund knebeln sich Kommunen mit

Einredeverzichten.

• Der Direktvertrag: Er reguliert die Beziehung zwischen der

öffentlichen Hand und den Kreditgebern, also den Banken, da der

Kreditvertrag aus den Kapitalflüssen, die durch die Erbringung der

Dienstleistung erwirtschaftet werden, finanziert wird.

Wie bereits erwähnt, baut auch der Private nicht mit eigenem Geld. Meist

beläuft sich das Eigenkapital auf nur 10%, den Rest leiht sich der Private —

auch Hochtief — bei einer Bank. Lässt sich die Kommune auf den

Einredeverzicht ein, kann der Baukonzern über eine entsprechende Bank

den Anspruch auf die jahrelangen Zahlungen aus dem Auftrag mit der

Kommune am Kapitalkmarkt günstig weiterverkaufen (deshalb möglichst

langfristige Verträge). Als Käufer ist auch ein internationaler

Investmentfonds denkbar, der auf diese Weise eine sichere Anlage erwürbe:

Die Kommune kann nicht pleitegehen, sie muss immer zahlen, hinter ihr

steht Deutschland. Der Baukonzern selbst hat durch das rasche Versilbern

des Anspruchs aus dem PPP-Vertrag den Vorteil einer verschönerten Bilanz,

was wiederum seinen Börsenwert erhöht.

Der Auftrag selbst wird ohnehin von Tochterunternehmern bzw. gepressten

Gewerbetreibenden ausgeführt, die Folge sind niedrige Löhne und

Einsparungen an allen Ecken und Kanten. Ob am Ende die vertragliche

Leistung wirklich erbracht wird — z.B im 25. Jahr der Laufzeit des Vertrages

—, steht in den Sternen. Die Kommune hat kaum Handhabe, da sie

Einredeverzicht geleistet hat, die Verträge sind geheim, kein Bürger, so sehr

er auch wollte, erfährt, was in diesen Verträgen steht.

Und so ganz nebenbei sind nun die von deutschen Steuergesetzen

angelockten und begünstigten Finanzinvestoren dieser Welt die

Vertragspartner der Kommune, die einen PPP-Vertrag unterschrieben hat.

In Bezug auf Privatisierungsbestrebungen im Bildungsbereich bedeuten PPPVerträge immer: »Überlegungen, die mit privaten Interessen

zusammenhängen« — etwa die Rendite auf privates Kapital. Siehe Urteil

des EuGH.

Damit ist jeder PPP-Vertrag ein riesiges Einfallstor für alle

Privatisierungswilligen im Bildungsbereich! Die Abgrenzung zwischen

öffentlich und privat erbrachter Dienstleistung ist aufgegeben, und zwar mit

allen unabsehbaren Folgen:

Die Schlussfolgerungen für uns als Sozialdemokratinnen und

Sozialdemokraten:

– Öffentlich-private Partnerschaften im Bildungsbereich sind abzulehnen

und aktiv und konsequent zu bekämpfen.

– Bildungseinrichtungen, die bereits ganz oder teilweise privatisiert

wurden, müssen rekommunalisiert werden.

– Die vollständige Finanzierung der Bildungeinrichtungen aus dem

öffentlichen Haushalt muss gewährleistet sein.

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