Zum Auftakt gab es eine Podiumsdiskussion mit griechischen Gewerkschaftsvertretern, auf der verschiedene Aspekte der Privatisierungspolitik in Europa erörtert wurden. Jürgen Huffschmid, einer der Koordinatoren des PRESOM Projektes stellte zunächst die Ziele und Fragestellungen der Projektes vor. Anschließend gab Malcolm Sawyer von der Business School der Universität in Leeds einen Einblick in seine Forschung zu den finanzpolitischen Auswirkungen der Privatisierungspolitik und argumentierte, dass die Privatisierungen keineswegs zu einer Entlastung der öffentlichen Haushaltsschulden führen. Im Gegenteil: gerade in langfristiger Perspektive wird die Sicherung öffentlicher Infrastrukturen und die Versorgung mit sozialen Dienstleistungen für die öffentlichen Haushalte teurer, wenn sie von privaten Anbietern gekauft oder geleast werden müssen. Christoph Hermann von der Forschungs- und Beratungstelle für betriebliche Arbeitnehmerfragen (FORBA) in Wien stellte die ersten Überlegungen zum Europäischen Sozialmodell vor. Problem sei es dabei vor allem, dass der Begriff einer blackbox gleich von verschiedenen politischen Kräften gebraucht und mit jeweils eigenen Inhalten gefüllt werde. Insbesondere die Liberalisierungslobby in der EU gebrauchen den Begriff vor allem als Instrument um bisher bestehende nationalstaatliche Regelungen auszuhebeln. Die Linke habe es bisher verpasst, den Begriff des Europäischen Sozialmodells nach eigenen Vorstellungen zu definieren. Marica Frangakis, von der Nicos Poulantzas Gesellschaft stellte die ersten Ergebnisse der PRESOM Forschung vor und differenzierte das Privatisierungsgeschehen sowohl in zeitlichen Wellen als auch nach Ländergruppen. Insbesondere unterschied sie ein skandinavisches, ein west-, ein ost- und ein südeuropäisches Privatisierungsmuster. Karoly Lorant, ungarischer Abgeordneter des Europaparlaments, gab einen Überblick zum Privatisierungsgeschehen in den mittel- und osteuropäischen Ländern. Anders als die Privatisierungsprozesse in Westeuropa erfolgte der Ausverkauf staatlicher Beteiligungen hier nicht schrittweise, sondern schockartig im Rahmen einer abrupten gesellschaftlichen Transformation. Die anschließende Diskussion rankte sich vor allem um die Gefahren und Perspektiven einer Europäisierung. Während einerseits vor allem auf die neoliberalen Impulse der Europäischen Union verwiesen wurden, plädierten andere dafür, die europäische Ebene stärker als politische Arena zu begreifen und sich entsprechend mit eigenen Vorstellungen in die Europäisierungsprozesse einzubringen.
Auf der eigentlichen PRESOM Tagung wurde der erste Jahresbericht diskutiert und die Ergebnise der ersten drei Arbeitsgruppen (WP 1: Hintergrund und Geschichte der Liberalisierung und Privatisierung in der EU; WP 2: Theoretische Ansätze zur Privatisierung; WP 3: Konzepte des Europäischen Sozialmodells) vorgestellt. Anschließend wurden die Arbeitspläne für 2007 abgestimmt. Im Vordergrund werden dabei Untersuchungen in den Sektoren Finanzen, Soziale Dienste (Gesundheitsversorgung und Rentensystem) sowie Bildung stehen. Parallel sollen die Privatisierungseffekte in den neuen Mitgliedstaaten der EU in Osteuropa systematisch untersucht werden. Erste Zwischenergebnisse sollen bereits in den nächsten Monaten auf verschiedenen Konferenzen (unter anderen auf der Alternativen EcoFin-Konferenz am 20./21. April in Berlin) zur Diskussion gestellt werden. Die nächste größere PRESOM-Tagung wird am 29./30. Juli in Ljubljana (Slowenien) stattfinden.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. gemeinsam mit den anderen deutschen Gebietskörperschaften einen Privatisierungsbericht über die Auswirkungen der Privatisierungen seit 1995 vorzulegen;
2. bis zur Vorlage und Diskussion des Privatisierungsberichtes keine weiteren Privatisierungsschritte zu unternehmen.
3. Der Privatisierungsbericht der Bundesregierung soll für die privatisierten Bereiche darstellen:
– die Privatisierungsschritte der öffentlichen Hand;
– die Ergebnisse aller Volksabstimmungen einschließlich Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, die zu Fragen der Privatisierung durchgeführt wurden;
– die Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen;
– die Auswirkungen auf politische Gestaltungsmöglichkeiten (Einfluss- möglichkeiten auf Geschäftsführung und Informationsrechte der öffentlichen Hand), Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Informationsrechte für Bürgerinnen und Bürger;
– die Entwicklung von sozialversicherungspflichtiger und sonstiger Beschäftigung, Arbeitsentgelten nach Lohngruppen, Managementgehältern und Ausbildungsplätzen;
– die Auswirkungen auf Wochenarbeitszeit, Sonntags- Feiertags- und Nachtarbeit und Schichtarbeit;
– die Entwicklung von Preisen, Gebühren und Gewinnen;
– die Entwicklung von Qualität der Leistung, Verbrauchernähe und flächendeckender Versorgung und
– die Entwicklung der Investitionen.
Dem Bericht ist ein weiterer Privatisierungsbegriff zugrunde zu legen, der neben dem Verkauf von Beteiligungen und sonstigen Vermögenswerten auch die Ausgliederung öffentlichen Vermögens in privatrechtlich organisierte Unternehmungen und die Übertragung öffentlicher Aufgaben an private Unternehmen beinhaltet. Die Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen sollen umfassend untersucht werden. Den Privatisierungserlösen sind die Vermögensverluste und die zukünftigen Mehrausgaben und Einnahmeverluste gegenüberzustellen. Steuerminder- einnahmen durch internationale Transferierbarkeit von Gewinnen oder durch Steuervergünstigungen etwa bei öffentlich-privaten Partnerschaften (Public Private Partnerships) sind zu berücksichtigen. Es soll auch berücksichtigt werden, inwieweit durch Personalabbau Steuereinnahmen und Sozialbeiträge sinken. Bei der Darstellung der Entwicklung von Beschäftigung und Ausbildung ist auf die Situation von Frauen speziell einzugehen. Es ist anzugeben, inwieweit die Verschuldungsgrenze des Artikel 115 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und der entsprechenden Bestimmungen in den Länderverfassungen nur aufgrund von Privatisierungserlösen eingehalten wurden. Die Darstellung der Preisentwicklung in privatisierten Bereichen soll nach Geschäfts- und Privatkundensegment unterscheiden. Hierbei ist zu berücksichtigen, inwieweit die Preisentwicklung auf allgemeinen technischen Fortschritt zurückzuführen ist, der auch in öffentlich-rechtlichen Unternehmen realisiert werden kann. Als Maßstab hierfür sind internationale Vergleichsstudien heran- zuziehen. Auf die Entwicklung von Sozialtarifen ist einzugehen. Der Privatisierungsbericht soll damit deutlich über den Beteiligungsbericht des Bundes hinausgehen.
Begründung
In zahlreichen Bürger- und Volksentscheiden wurden Privatisierungen öffentlichen Eigentums abgelehnt, beispielsweise in Hamburg und in Mülheim/Ruhr. Einer Umfrage im Auftrage des Sparkassen- und Giroverbandes Hessen- Thüringen zufolge sind 82 Prozent der Hessen gegen einen Verkauf von Sparkassen.
Aktuell geplante Privatisierungen sind sehr umstritten. Gegen den Plan der Regierung Baden-Württembergs, den größten Teil der historischen Handschriftenbestände der Badischen Landesbibliothek zu verkaufen, und damit das Fürstenhaus Baden aus einer finanziellen Notlage zu retten, protestierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt und verhinderten den Verkauf bis auf weiteres.
Das Flugsicherungsgesetz, das den Verkauf von 74,9 Prozent der Anteile an der Deutschen Flugsicherung GmbH vorsieht, wurde vom Bundespräsidenten zunächst nicht unterschrieben, um verfassungsrechtliche Bedenken zu prüfen. Bestärkt wird die Kritik an der Privatisierung der Flugsicherung durch das Urteil des Landgerichts Konstanz zum Flugunglück von Überlingen, in dem die Bundesrepublik Deutschland haftbar gemacht wird, da sie ohne Staatsvertrag die Flugsicherung in deutschem Luftraum der privatrechtlich organisierten Schweizer Firma Skyguide übertragen hatte. Das Gericht stellte fest, dass die Sicherstellung des Flugverkehrs grundgesetzliche Aufgabe des Staates ist.
Umstritten ist auch der Börsengang der Deutsche Bahn AG. Kritiker befürchten einen Verkauf weit unter Wert, Personalabbau, großflächige Streckenstilllegungen, einen Rückgang der Investitionen und stark steigende Preise. Sie verweisen dabei auf die Bilanz der Bahnprivatisierung in Großbritannien.
Die Bundesregierung plant für 2007 laut Haushaltsentwurf Einnahmen aus der Veräußerung von Beteiligungen und aus der Verwertung von sonstigem Kapitalvermögen in Höhe von 9,2 Mrd. Euro. Angesichts umfangreicher geplanter Privatisierungen und ernstzunehmender Kritik ist es dringend erforderlich, eine Bilanz der Auswirkungen der bisherigen Privatisierungspolitik zu ziehen.
Privatisierungserlöse werden dazu verwendet, Einnahmeverluste an anderer Stelle auszugleichen. Laut Finanzplanung will der Bund bis 2009 so haushalten, dass die Verschuldungsgrenze nur dank Privatisierungserlöse eingehalten wird. Dies läuft dem Grundgedanken des Artikel 115 GG zuwider, die Vermögenssubstanz des Staates zu erhalten. Das Sachvermögen des Staates geht, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, seit Jahren kontinuierlich zurück. Privatisierungen führen neben den Vermögensverlusten auch zu nachhaltigen Einnahmeverlusten für die öffentliche Hand. Vor weiteren Privatisierungsschritten müssen diese Auswirkungen dringend detailliert untersucht werden. Auf eine kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. nach den Einnahmeverlusten, die mit den Einmaleinnahmen im Haushaltsplan 2007 verbunden sind, antwortete die Bundesregierung: „Im Übrigen entfallen im Rahmen von Vermögensveräußerungen des Bundes generell künftige Vermögenserträge, deren Höhe – wie etwa bei Dividenden – gegenwärtig jedoch nicht prognostiziert werden kann.“ (Bundestagsdrucksache 16/2327) Dieser Aussage ist zu entnehmen, dass die Bundesregierung eine bewusste Abwägung zwischen der kurzfristigen und langfristigen Haushaltswirkung bisher nicht vorgenommen hat. Der angemessene Umgang mit der Ungewissheit der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung ist nicht der Verzicht auf Prognose, sondern die Anwendung wissenschaftlicher Prognosemethoden unter Kenntlichmachung von Prognoseunsicherheiten. Dies soll im Privatisierungsbericht geschehen.
Die Privatisierungen von Post und Telekom waren mit hohen Arbeitsplatz- und Ausbildungsplatzverlusten verbunden. Allein die Telekom AG hat von ihrer Privatisierung bis 2005 mehr als 100 000 Stellen gestrichen. Bis 2008 sollen weitere 32 000 Stellen abgebaut werden. Vor weiteren Privatisierungen müssen die bisherigen Privatisierungsfolgen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewissenhaft untersucht werden.
Privatisierungsmaßnahmen wurden meist mit erwarteten Effizienzgewinnen begründet. Es stellt sich die Frage, inwieweit für die Verbraucherinnen und Verbraucher, nicht nur für Großkunden, die Versorgung mit günstigen und hoch- wertigen Leistungen durch Privatisierungen zugenommen hat. Versorgungsdichte und Bürgernähe haben etwa bei der Post abgenommen. Sozialtarife wurden bei privatisierten Unternehmen teilweise zurückgenommen. Bei der Feststellung von Effizienzgewinnen darf nicht stillschweigend angenommen werden, ein öffentliches Unternehmen würde heute noch mit der Technologie arbeiten, die zum Zeitpunkt der Privatisierung aktuell war.
Privatisierung und Liberalisierung von so genannten natürlichen Monopolen, also in Wirtschaftszweigen mit sinkenden Durchschnittskosten, und in netzgebundenen Wirtschaftszweigen haben, wie von fast allen Wirtschaftstheorien vorausgesagt, zu Monopolgewinnen geführt. Vor einer Untersuchung dieser Entwicklung darf die geplante Privatisierung von Deutsche Flugsicherung GmbH, Deutsche Bahn AG und Flughafenbeteiligungen keinesfalls umgesetzt werden.
Auf der Ebene der Länder und Kommunen sind Privatisierungen eine Antwort auf Haushaltsnotlagen, die unter wesentlicher Beteiligung der Bundesregierung durch steuerpolitische Entscheidungen verursacht wurden. Da diese Entwicklung nur aus dem finanzpolitischen Zusammenhang zu beurteilen ist, muss der Privatisierungsbericht die Ebene des Bundes, der Länder und Gemeinden berücksichtigen.
Bereits 1998 forderte der Deutsche Gewerkschaftsbund einen Privatisierungsbericht von der Bundesregierung ein. Die Bundesregierung sollte dieser Aufforderung zügig nachkommen.
Die falsche Bewertung von bezirkseigenen Gebäuden und die dadurch enstehende Belastung der Bezirkshaushalte durch so genannte kalkulatorische Kosten führt dazu, dass öffentliche Gebäude für die Bezirke nicht mehr finanzierbar sind und verkauft werden müssen.
Gegen die Folgen der Privatisierung der öffentlichen Gebäude wehrten sich die BerlinerInnen bereist durch drei BürgerInnenbegehren auf Bezirksebene.
Die Regelung führt u.a. auch dazu, dass das System der Zuweisungen des Landes Berlins völlig absurde Ergebnisse produziert:
So werden allein bei den Schulen z.B. die Bezirkshaushalte Lichtenberg (ca. -1,91 Mio. €) und Friedrichshain-Kreuzberg (ca. – 2,66 Mio. €) durch die fehlerhafte Ansetzung der kalkulatorischen Kosten exorbitant belastet. (Anhang: Hintergrundinformation)
Dies ist eines der Ergebnisse, die die Initiative Zukunft Bethanien auf ihrer Homepage
unter http://www.bethanien.info veröffentlicht hat.
Die IZB hat auf Grund der Dringlichkeit daher Finanzsenator Sarrazin und Wirtschaftssenator Wolf in einem offenen Brief um einen Gesprächtermin gebeten.
(Anhang: Offener Brief)
Ausserdem hat die IZB die Fraktionen der Berliner Bezirke und des Abgeordnetenhauses dazu aufgefordert, durch eine vorformulierte Anfrage endlich Transparenz zu schaffen.
(siehe unter: http://www.bethanien.info ) .
Die Initiative Zukunft Bethanien (IZB) fordert die Überprüfung des Privatisierungssystems kalkulatorische Kosten.
Sie fordert darüberhinaus, mit Vernunft und Sachverstand die sozialen Folgekosten einer fatalen Regelung abzuwenden, die BERLIN TEUER ZU STEHEN KOMMT und NOCH TEURER KOMMEN WIRD.