Meldungen über Migrant*innen kreuzen regelmäßig die Nachrichtenwelt der BRD: Tote im Mittelmeer, Fachkräftemangel, Bürger*innenproteste gegen Heime für Geflüchtete, Containerunterbringung, Willkommenskultur, Bertelsmannstiftung, mall of shame, gesetzliche Verschärfungen des Migrationsrechts, Zelte, Papst Franziskus, Blockaden gegen rassitsische und/oder neofaschistische Aufmärsche, usw. usf. Die Nennung der Bertelsmannstiftung mag an dieser Stelle die eine*den anderen Leser*in überraschen, ist diese doch eher bekannt für Studien und Empfehlungen zur ökonomischen Optimierung von Bildung oder Wirtschaft im Sinne kapitalistscher Wertschöpfungspotenziale und nicht gerade für ihre Beiträge zur Migrationspolitik. Aber: Geflüchtete und Migrant*innen sind Arbeitskräfte und mit Arbeitskraft wird Geld gemacht, so sie denn richtig eingesetzt wird.
Die in Deutschland lebenden Ausländer entlasten den Sozialstaat in Milliardenhöhe. Das geht aus einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hervor. Danach sorgten die rund 6,6 Millionen Menschen ohne deutschen Pass im Jahr 2012 für einen Überschuss von insgesamt 22 Milliarden Euro. (Tagesschau, 27.11.2014)
Die Studie beleuchtet weitere interessante Aspekte:
Rechnerisch trägt jeder Deutsche zum langfristigen Staatsdefizit 3.100 Euro bis zum Lebensende bei, jeder Ausländer aufgrund der im Vergleich zu den Deutschen schlechteren Integration am Arbeitsmarkt sogar 79.100 Euro. Das, so Dräger, erkläre sich aus der deutschen Zuwanderungsgeschichte: „Die ersten Generationen von Gastarbeitern stehen in ihren Beiträgen den ähnlich qualifizierten Deutschen in nichts nach – haben aber nicht die durchschnittlichen Einkommen der deutschen Gesamtbevölkerung erreicht.“ (Bertelsmann Stiftung – 27.11.2014 „Sozialstaat profitiert von Zuwanderung“)
Fazit der Studie ist, dass es zwar schon ganz gut aussieht mit dem Zuzug von qualifizierten Fachkräften innerhalb der EU, aber darüber hinaus noch einiges geht: aktives Anwerben von Fachkräften und schnellere Integration in den Arbeitsmarkt jener Geflüchteten, die wirklich gebraucht werden könnten.
Geflüchtete bilden ein Pfeiler des Wohlstandes im deutschen Sozialstaat. Damit sichern sie also auch Menschen mit deutschem Pass ihr angenehmeres Leben. Dennoch wird die Willkommenskultur von Die.Linke und vielen weiteren Initiativen zur Aufnahme der Geflüchteten in den verschiedenen Kommunen oder auch Berliner Bezirken durch bspw. sehr kurzfristige Ankündigungen von Containerunterbringungen massiv behindert und damit rassistische Proteste eher befördert.
Zum Beispiel der Berliner Sozialsenator Mario Czaja (CDU). Er stellte Ende Oktober die Standorte für Unterbringungen ab Dezember in Berlin vor:
Im Pankower Stadtteil Buch, kurz hinter dem Berliner Ring. Im nördlichsten Lichtenberg, gleich beim Naturschutzgebiet „Falkenberger Rieselfelder“. Am Rand von Lichterfelde, einen knappen Kilometer von der Stadtgrenze entfernt. Außerdem Marzahn, Köpenick und nochmal Lichterfelde: Die Standorte für die Containerdörfer, in denen ab Dezember neu in Berlin ankommende Flüchtlinge untergebracht werden sollen, sind alles andere als zentral gelegen. (taz, 20.10.2014)
Das ist nicht nur wenig Zeit, die bereits dort wohnende Bevölkerung in Ruhe vorzubereiten und einzubinden. Alle diese Standorte befinden sich in ökonomisch armen Quartieren im Ostteil der Stadt. Es fällt unter diesen Vorzeichen schwer davon auszugehen, dass eine rassistische Stimmung und Eskalation unter allen Umständen verhindert werden sollte. Warum? Und warum kommt die beschriebene Bertelsmannstudie just in dem Moment zur Veröffentlichung, wenn eine Verschärfung des Migrationsgesetzes zu erwarten ist?
Deutschland will dicht machen, es soll rigoroser abgeschoben werden, vor allem in Fällen, bei denen ein anderer EU-Staat zuständig sein soll.( Pro Asyl, 3.12.2014)
Das Informationsblatt 5-2014 des Grundrechtekomitees arbeitet heraus, dass kurz nach der Verabschiedung des Gesetzes, das die ehemaligen Staaten Jugoslawiens als sichere Abschiebeländer bezeichnet, nun eine massive Ausweitung der Abschiebehaft gesetzlich festgelegt werden soll.
Seit dem Asylkompromiss von 1993 ist der geplante Gesetzentwurf wohl die folgenschwerste Entrechtung der Flüchtlinge per Gesetz. (Scherr, Vogelskamp: „Ein Inhaftierungsprogramm ungeheuren Ausmaßes“)
Papst Franziskus hat den Umgang Europas mit der Flüchtlingskrise kritisiert. „Es nicht hinnehmbar, dass das Mittelmeer zu einem Massenfriedhof wird“, sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche bei seiner Rede vor dem Europaparlament in Straßburg: „Es ist notwendig, auf die Ursachen einzuwirken und nicht nur auf die Folgen.“ (spiegel.de, 27.11.2014)
Drei Aspekte stehen der weiteren Verschärfung der deutschen Abschiebegesetze entgegen:
- die Abschöpfung der Milliarden für die Sozialkassen der BRD;
- der Import von Arbeitskraft zu Dumpingbedingungen (durch Nichtanerkennung von Bildungsabschlüssen und Berufserfahrung) und damit die Möglichkeit zur Ausbeuteung von qualifizierten Migrant*innen und Geflüchteten als billige Arbeitskräfte;
- die Eindämmung eines Imageschadens durch die Mitverantwortung für das „Massengrab Mittelmeer“, für den sowohl die Migrationspolitik der BRD wie auch die Abschottung der EU Außengrenzen ursächlich sind.
Die Eskalation rassistischer Proteste gegen die Heime für Geflüchtete erzeugen Druck und erleichtern damit die Bemühungen um gesellschaftliche und parlamentarische Zustimmung für die neuen Ausländerverfolgungsgesetze. Ist es nicht ganz offensichtlich, dass es in der BRD für Geflüchtete und Migrant*innen nicht sicher ist? Ist es nicht gerade deswegen viel besser, dass niemand kommt, der nicht wirklich wirtschaftlich gebraucht wird? Ist es nicht geradezu notwendig, die Außengrenzen der EU abzudichten, um Menschenleben zu retten? So ergänzen sich rassistische Logik und Propaganda mit Bertelsmann-Sozialstaatsstudien und der ständigen Verschärfung todbringender Gesetze: Wer keinen positiven Beitrag in der „Ausländerleistungsbillanz“ verspricht, wird inhaftiert und abgeschoben.
Das erinnert an zwei historische Etappen rassistischer Pogrome in der BRD:
Ab 1986 führten die beiden Unionsparteien CDU und CSU dauerhaft eine konsequente Asylkampagne. Einerseits war das hochemotionale Thema geeignet, Wahlen zu gewinnen, andererseits sollte Druck auf die SPD ausgeübt werden, da ohne die Sozialdemokraten die für eine Grundgesetzänderung nötige Zweidrittelmehrheit nicht erreicht werden konnte.
1986/87 wurden das erste Mal Unterkünfte von Geflüchteten angegriffen:
So wurde ein Brandanschlag auf Notzelte in West-Berlin verübt, ein anderes in Hessen wurde überflutet, ein geplantes Asylbewerberheim ebenfalls in Brand gesteckt.
Nach 1990 wurde die Debatte um eine Verschärfung des Asylrechts nochmals eskaliert:
Die Schärfe der Asyldebatte ließ auch nach der Bundestagswahl 1990 nicht nach. CDU-Generalsekretär Volker Rühe forcierte die Kampagne im September 1991, indem er in einem Rundschreiben an alle Kommunalpolitiker seiner Partei dazu aufforderte, die Asylpolitik zum Thema zu machen, und dazu standardisierte Argumentationsleitfäden, Parlamentsanträge, Musteranfragen und Presseerklärungen verschickte. Unter anderem sollten Fälle herausgestellt werden, „in denen Asylbewerber staatliche Leistungen unberechtigterweise mehrfach in Anspruch genommen haben“.
Auch schon der faktischen Abschaffung des Rechtes auf Asyl im Mai 1993 gingen von 1990 bis 1993 eine erhöhte Anzahl von Angriffen auf Unterbingungen von Migrant*innen, Geflüchteten und Vertrags-Gastarbeiter*innen sowie rassitische Morde voraus. Seitdem hat sich dramatisch wenig verändert hinsichtlich bundesdeutscher Regierungstechnik.