Zwischen 1991 und 2006 ging die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst um mehr als 2,1 Millionen zurück. Das war fast ein Drittel aller Stellen im Staatsdienst. Rund die Hälfte dieser Arbeitsplätze fiel aus dem öffentlichen Dienst heraus, weil die Unternehmen, zu denen sie gehören, privatisiert wurden. Die andere Hälfte, rund eine Million Stellen, wurde gestrichen, schreiben die Wissenschaftler. Ihre Untersuchung erscheint in einem neuen Sammelband zum Privatisierungsgeschehen in Europa.*
Im Gegenzug entstanden zwar auch neue Jobs in privaten Firmen, zum Beispiel bei den Konkurrenten der ehemals staatlichen Telekom oder bei privaten Briefdienstleistern. Unter dem Strich sei die quantitative Entwicklung jedoch negativ, so die Wissenschaftler. Ähnliches sei auch in anderen europäischen Ländern festzustellen. Die von der EU geäußerte Erwartung, die Liberalisierung der Wirtschaftszweige Telekommunikation, Post, Transport und Energie werde in Europa eine Million zusätzliche Stellen schaffen, habe sich nicht erfüllt.
Brandt und Schulten haben die Beschäftigungsentwicklung in Deutschland für wichtige Teile der staatlichen oder vormals staatlichen Wirtschaft detaillierter nachgezeichnet:
– Energie- und Wasserwirtschaft: Von Anfang der 90er-Jahre bis 2005 gingen hier 127.000 Stellen verloren, der größte Teil in der Stromwirtschaft. Dies sei auf Marktkonzentrations- und Rationalisierungsprozesse im Zuge der Liberalisierung des Strommarktes sowie auf Privatisierungen kommunaler Versorgungsunternehmen zurückzuführen, schreiben die Wissenschaftler.
– Telekommunikation: Von 1994 bis 2007 baute die Deutsche Telekom im Inland 77.000 Jobs ab – fast die Hälfte aller Stellen. Seit der Marktöffnung für Wettbewerber 1998 konnten neue Anbieter keinen Ausgleich schaffen, so die Studie: Sie richteten bis 2007 nur knapp 14.000 neue Arbeitsplätze ein. Und der Höhepunkt sei anscheinend schon überschritten: In den letzten Jahren war die Beschäftigungsentwicklung bei der Telekom-Konkurrenz wieder rückläufig.
– Deutsche Post: Die Beschäftigten der Deutschen Post erlebten vor und nach der Privatisierung 1995 einen dramatischen Beschäftigungsabbau im Inland. Allein von 1989 bis 1998 gingen rund 139.000 Stellen verloren. Bei den Wettbewerbern entstanden von 1999 bis 2006 nur etwa 30.000 neue Jobs. Allerdings seien diese nicht mit den gestrichenen Post-Arbeitsplätzen zu vergleichen, schränken die Wissenschaftler ein. Die Hälfte seien niedrig bezahlte Minijobs.
– Verkehr: Seit 1994 hat die Deutsche Bahn rund 170.000 Jobs im Inland gestrichen, bilanzieren Schulten und Brandt. Der Personalabbau begann jedoch schon früher. Bereits in den 80er-Jahren waren bei der Bundesbahn 69.000 Arbeitsplätze weggefallen, zu Beginn der 90er-Jahre setzte sich der Abbau fort. Von 1990 bis 1993 entfielen zudem 88.000 Jobs bei der Reichsbahn.
– Krankenhäuser: Deutsche Spitäler haben seit Anfang der Neunziger Jahre Personal abgebaut und Vollzeit- durch Teilzeitjobs ersetzt. Der Rückgang des Beschäftigungsvolumens entsprach 84.000 Vollzeitstellen. Komplett gestrichen wurden 48.000 Arbeitsplätze.
Weitere von Stellenabbau betroffene Sektoren waren den WSI-Forschern zufolge die Entsorgungswirtschaft sowie kommunale Sport-, Bildungs- und Kultureinrichtungen. In allen Branchen mit starkem Privatisierungsgeschehen spürten auch viele nicht direkt vom Stellenabbau betroffene Beschäftigte negative Folgen, betonen die Wissenschaftler: Das Tarifsystem verliere seine Ordnungsfunktion, der Wettbewerb werde überwiegend über die Arbeits- und Lohnkosten ausgetragen, schreiben Brandt und Schulten.
*Torsten Brandt, Thorsten Schulten: Auswirkungen von Privatisierung und Liberalisierung auf die Tarifpolitik in Deutschland, in: Europa im Ausverkauf, VSA-Verlag, Hamburg 2008
Das ganze als pdf-Datei:
http://www.boeckler.de/pdf/impuls_2008_14_3.pdf
Mehr Informationen und Infografik zum Download im Böckler Impuls 14/2008: www.boeckler.de/32014_92699.html