Beispiele solidarischer Ökonomie in Berlin [Rezension]

Dieses Buch stellt fünf mehr oder minder bekannte Beispiele aus der solidarischen Ökonomie Berlins näher vor. Die AutorInnen schreiben aus einer Perspektive teilnehmender Beobachtung und mit Sympathie. Sie schreiben über das Selbstverständnis, sowie die kulturelle und konkrete ökonomische Praxis dieser Projekte. Dies sind die Prinzessinnengärten, FairBindung, Freifunk, der Umsonst- und der Leihladen sowie der Nachtclub ://about blank. Der letztgenannte soll eine der größten alternativ-ökonomischen Einrichtungen in Berlin sein, da dort derzeit fast 130 Personen in unterschiedlichen Volumina arbeiten. FairBindung versucht seit über sieben Jahren den Import von fairen Produkten, vor allem Kaffee aus dem globalen Süden mit Bildungsarbeit zu verknüpfen.
Das Buch entstand aus einem Seminar im Wintersemester 2015/16 an der Humboldt-Universität zu Berlin, und die meisten AutorInnen sind PhilosophInnen. Das ist den Beiträgen anzumerken. Was das Vorwort will, in dem der Begriff der »Lebensform« ein- und näher ausgeführt wird, hat sich mir leider nicht erschlossen. Weiterlesen

Krisenproteste in Spanien [Rezension]

huke_coverVon Elisabeth Voss

Nikolai Huke untersucht Krisenproteste und soziale Bewegungen in Spanien seit den Platzbesetzungen der Indignados (Empörten), die erstmals am 15. Mai 2011 in vielen Städten stattfanden. Die daraus entstandene Bewegung 15-M formulierte ein lautstarkes „Nein“ zum Bestehenden, forderte echte Demokratie und ein Leben in Würde. Ihre soziale Basis waren überwiegend junge, prekarisierte Menschen aus der Mittelschicht, deren Lebensträume angesichts der Krise zerplatzt sind. Detailreich werden die Bemühungen um andere politische Formen geschildert, der Versuch, durch horizontale Organisierung in Versammlungen (Asambleas) und mittels Digitaltechnik alle mitzunehmen. Auch die daraus mitunter resultierende Selbstüberforderung, Ausgrenzungen und Richtungsstreit werden nicht verschwiegen.

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Reader zu nichtkommerziellen Projekten

Alternativen zum warenproduzierenden Patriarchat sind, das zeigt nicht nur die DIY-Welle, die längst die Massenmedien erreich hat, dringend nötig. Sie liegen sozusagen in der Luft. Die Praxis solcher radikal-alternativer Ansätze ist, das zeigen viele Experimente und Projekte, allerdings sehr steinig.

In der Kritik, dass auch die „solidarische Ökonomie“ und Tauschringe noch auf dem (kapitalistischen) Prinzipien des Tausches beruhten, fordern die Anhänger_innen einer nichtkommerziellen oder Beitragsökonomie (NK) ein „Wirtschaften“ jenseits des Tausches. Dies klingt radikal und viele der Beiträge in dem nun vorliegenden, umfangreichen Reader, der die Erfahrungen der letzten zehn Jahre dokumentiert, zeugen von einem hohen Niveau an (Selbst-)Reflektion. Allein es wird nicht recht klar, was nun konkret erreicht wurde. Es wird jenseits der theoretischen Artikel, etwa zu Keimformen, Peercommony und anderem, kaum deutlich, was wirklich verändert oder neu initiiert wurde, und in welchem Umfang. Einige Beiträge reflektieren dann auch darüber, dass auch NK-Projekte auf Überschüssen (Lohnarbeit, Spenden und andere Transfers, …) des formalen und Lohnarbeitssektors beruhen.

Die Texte für sich sind spannend zu lesen, zeigen aber nachdrücklich, dass die NK-Versuche eher im Hobby- und Freizeitbereich anzusiedeln sind und auf Spenden beruhen. Ein umfangreiches und ebenso hilfreiches Glossar erklärt viele Begriffe aus dieser Debatte, zeigt aber auch, wie voraussetzungsvoll diese ist.

Bernd Hüttner

Ich tausch nicht mehr. Ich will mein Leben zurück. Theorie und Praxis von nichtkommerziellen Projekten, Berlin 2015, 144 Seiten, gegen Spende oder als PDF unter http://ich-tausch-nicht-mehr.net. Die Artikel sind dort auch einzeln abrufbar.

„Acker, Ernte, Geld und zack, schon ist man drin in den Kämpfen“

Bodenreform mumes world CC BY-NC 2.0
Bodenreform
mumes world
CC BY-NC 2.0

Die Geschichte der Landenteignung, – aneignung und Neuverteilung für die landwirtschaftliche Nutzung geht länger zurück als bis zur Bodenreform, die 1945 im Rahmen des Potsdamer Abkommens beschlossen wurde. Und sie ist damit lange nicht zu Gunsten der Landarbeiter_innen entschieden worden.

In dem sehr lesenswerten Interview „Komm rein, hier sitzt du gut“ mit Robert Scheringer geht es um die Eigentumskämpfe von Ackerland vom Bauernkrieg bis heute.

Geschichte:

Im September/Oktober 1945 fand in der damaligen SBZ die Bodenreform statt, auch in Thüringen. Enteignungen von Gütern über 100 Hektar. Was hat das gebracht?

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Bertelsmann: Wie Deutschland mit Flucht und Migration sogar Plus macht

In der neoliberalen Welt wird gnadenlos gerechnet. Die Verunglimpfung von Menschen auf der Flucht und in der Migration als „zu teuer“ und ökonomische Last für Gesellschaft im allgemeinen und Sozialstaat im speziellen klingt also erstmal modern und zeitgeistkonform rational. Nichtsdestotrotz ist sie faktisch falsch. Darauf kam schon 2014 eine Studie im Auftrag der sicherlich jeder sozialromantischen Gutmenschelei unverdächtigen Bertelsmann-Stiftung:

Ausländer haben den Sozialstaat 2012 um 22 Milliarden Euro entlastet – 3.300 Euro pro Kopf. Noch stärker profitieren könnte Deutschland, wenn es mehr in Bildung investiert und auf qualifizierte Zuwanderung setzt.

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grundlage für zusammenarbeit

220px-Open_Access_logo_PLoS_white.svgAuf telepolis ist zu lesen, dass open access die Kommunikation zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft verbessert.

Ulrich Herb schreibt:

Neben der Beschleunigung der wissenschaftlichen Kommunikation durch ubiquitäre entgeltfreie Verfügbarkeit wissenschaftlicher Texte war eines der Versprechen des Open Access eine Art Demokratisierung: Je mehr Texte entgeltfrei nutzbar sein würden, desto geringer würde der Informationsvorteil der Wissenschaftler an finanziell privilegierten Standorten. Mehr noch: Man versprach sich von Open Access eine Förderung der gesellschaftlichen Partizipation an Wissenschaft, ganz im Sinne der Citizen Science, da nun jeder Laie wissenschaftliche Informationen nutzen können sollte – sofern er sie zu interpretieren in der Lage wäre. Und auch volkswirtschaftlich scheint Open Access gegenüber Closed Access, bei dem Nutzungsentgelte für die Rezeption wissenschaftlicher Literatur anfallen, Vorteile aufzuweisen: weiter

Es könnten in der BRD mindestens 13 Millionen jährlich an öffentlichen Geldern gesparten werden. Darüber hinaus findet eine bedeutend bessere Verbreitung wissenschaftlicher Arbeiten statt, bspw. werden open access Texte bis zu 47% öfter auf Wikipedia zitiert.

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Eine Perspektive von Arbeitskämpfen

General Motors Technical Center (1956) Eero Saarinen CC BY-NC-ND 2.0
General Motors Technical Center (1956) Eero Saarinen
CC BY-NC-ND 2.0

In den USA gibt es weite Landstriche, die frei von gewerkschaftlicher Organisierung sind. In dem Artikel Schlimmer als in den 50ern. Studie zu Organisierung in den USA: Kollektive Tarifverhandlungen kaum noch möglich. Nicht nur Konzerne behindern Gewerkschaften, auch Politik greift ein von Claudia Wrobel in der Jungen Welt ist zu lesen, dass besonders der Süden der USA betroffen ist. Hier spielen sich Konzerninhaber*innen und -vertreter*innen mit Politiker*innen die Bälle zu, um jede Form von Organisierung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu unterbinden. Mitunter wird der Arbeitskampf um Tarifverträge auch gesetzlich mehr und mehr erschwert.

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zuccini und eigentum

 Phil Thirkell Zuccini CC BY-NC 2.0

Phil Thirkell
Zuccini
CC BY-NC 2.0

Es lohnt sich die Fragen nach Herkunft, Produktionsbedingungen, Sorte, Saatgut und Eigentumsverhältnisse der bspw. Zuccini, die gerade auf dem Teller zum verspeisen liegt, immer mal durchzugehen. Es gibt viele gute Ansätze, Ideen und Praxen, um kleinbäuerliche Landwirtschaft zu erhalten, zu fördern und eine Ernährungssouveränität zu erstreiten. Leider wird jedoch zu selten um grundsätzliche gesellschaftliche kapitalistische Strukturen, wie Eigentums- und Reichtumsverteilung und Arbeitsbedingungen gestritten.

Vor kurzem hat die Konferenz SaatmachtSatt in Berlin stattgefunden. Ich besuchte zwei Workshops. Der eine beschäftigte sich mit der Frage, inwieweit der Zugang zu Saatgut und freie Nutzung und Züchtung von Saatgut mit einer open source License versehen werden kann. Die Initiative für Open Source Seeds hat ein Label für Saatgut erarbeitet, mit dem kleine Saatgutunternehmen in den USA ihr Saatgut versehen.

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Arbeitskämpfe unterlaufen

Aleix Cortés CC BY-NC-ND 2.0
Aleix Cortés
CC BY-NC-ND 2.0

In den USA hat das Konzept Geschichte: Union Busting. Das heisst, mit allen legalen und illegalen Mitteln eine Gewerkschaft zerstören.

Union Busting heißt „Gewerkschaften zerstören“. Diese Tätigkeit ist in den USA als professionelle Dienstleistungsbranche etabliert. Sie besteht aus Anwälten, Detektiven, Psychologen, Management-Trainern, Lobbyisten, gelben Gewerkschaften (Gelb = arbeitet mit der Unternehmensleitung zusammen).(arbeitsunrecht.de)

In der BRD ist dieses Herangehen auch nicht mehr ganz neu und es wird dick aufgefahren. Das Züricher Schranner Negotiation Institute ist auf Union Busting spezialisiert und hilft gerne mit kompetenten Fachkräften aus.

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Ein Bild der Armutsentwicklung

Gerhard Kemme (CC BY 2.0)
Gerhard Kemme
(CC BY 2.0)

Wer aufmerksam durch die Strassen größerer Städte, bswp. in der BRD, spaziert, wird manchmal überrascht sein, wie viele verschiedene Straßenzeitungen es gibt und wie viele verschiedene Menschen diese verkaufen. Aldi Süd hat nun den Verkäufer*innen der Odachlosenzeitung fiftyfifty den Vertrieb der Zeitung vor ihren Filialen untersagt.

Die Aldi-Zentrale gibt vor, dass sich ihre Kunden durch unsere Verkäuferinnen und Verkäufer bei ihrem Einkauf gestört fühlten. Dabei wurde beispielsweise bemängelt, dass sie zu nah an den Einkaufswagen stünden. Das ist jedoch logisch, da dieser Standort Schutz vor Regen und Wind, aber auch Sonne bietet. Die Aldi-Kunden sollten sich zudem durch die Ansprache gestört fühlen, ob sie eine Straßenzeitung kaufen möchten. Einige beschwerten sich außerdem absurderweise über das äußere Erscheinungsbild der Verkäufer sowie die sichtbare Armut in unserer Gesellschaft – das führe bei ihnen selbst zu einem schlechten Gewissen. („Strassenzeitungen sind Seismographen, junge welt, 28.5.2015)

Die Verkäufer*innen hatten seit Jahren ihren festen Verkaufsplatz vor den Filialen, sie wurden im Kundenumgang geschult, haben eine Karte, die sie offiziell als qualifiziert ausweist. Sie verlieren, wie im Interview zu lesen ist, nicht nur ihre Einkommensquelle, sondern auch die seit Jahren aufgebauten sozialen Kontakte. Für Menschen, die von Obachlosigkeit betroffen sind, ist beides eine äußerst schwer zu überwindende Hürde: ein kleines Einkommen haben und kontinuierliche soziale Kontakte. So ist der Kurzkontakt zwischen Kund*innen und Verkäufer*innen wesentlich mehr wert als der materielle Euro. Hinzu kommt eine Abbildung der Armutsentwicklung in der BRD, die keine Statistik besser darstellen könnte.

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arbeiten auf dem meer

Fischer in Sarande, Albanien, April 2015
Fischer in Sarande, Albanien, April 2015

Es gibt verschiedene Berufe und Tätigkeiten, die auf dem Meer verübt werden können: Fischer_in, Tiefseetaucher*in, Kapitän auf Frachtseeschiffen, Muschelzüchter_in, Forscher*in, Matrose, Beschäftigter der Seenotretung. Um letztere geht es in diesem Beitrag: Die Arbeitsbedingungen derjenigen, die Menschen aus Seenot retten.

Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) wird 150 Jahre alt und in der aktuellen ver.di publik vorgestellt:

Seit 1865 finanziert sich die DGzRS ausschließlich über Spenden, heute betreibt sie mit rund 180 fest angestellten Seenotrettern 20 Seenotrettungskreuzer. […]

Es werden die verantwortungsvollen Aufgaben beschrieben, die Zusammenarbeit an Bord, das Schichtsystem, die guten und die schlechten Seiten. Und eine Stellungnahme, die deutlich macht, dass die DGzRS ihren Wirkungs- und Verantwortungsgrad nicht nur auf den deutschen Seeraum beschränkt sieht.

In einer aktuellen Stellungnahme bedauert die DGzRS die Einstellung des Projekts „Mare Nostrum„und plädiert dringend für eine umgehende Wiederaufnahme dieses oder eines vergleichbaren Projekts zur Rettung der Flüchtlinge im Mittelmeer.

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weltweit schlechte arbeitsbedingungen

trombone65 CC BY-ND 2.0
trombone65
CC BY-ND 2.0

Trotz wirtschaftlichen Wachstums nimmt die Zahl sozial ungesicherter Beschäftigungsverhältnisse nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) weltweit weiter zu. Drei Viertel aller Arbeitnehmer haben demnach keine ausreichend sozial abgesicherte Vollzeitstelle mit festem Vertrag und sicherem Gehalt. […] Insgesamt nahm laut ILO die Zahl der Arbeitslosen seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008 bis heute um 30 Millionen auf 201 Millionen zu. Als Reaktion darauf hätten einige Regierungen  – vor allem in Europa – den Arbeitnehmerschutz verringert, um für Unternehmen Anreize zur Einstellung von Personal zu schaffen.

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den schönsten moment verpasst

"Beograd: Selfie Girls in Front of the Opera" (2015) by mois under CC Zero http://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de
„Beograd: Selfie Girls in Front of the Opera“ (2015) by mois under CC Zero

„Der beste Augenblick in deinem Leben ist nicht morgen, sondern gerade eben. Der beste Augenblick in deinem Leben ist gerade eben jetzt gewesen.“ singt Bernadette la Hengst bereits 2002. In Zeiten von Selfies wird jeder Moment für Facebook, Twitter, Whatsapp oder sonst einen Ort im Internet, festgehalten. Ich kann mich in dem Ausschnitt, den mein Display mir gewährt, anderen zeigen. Der Versuch den  Moment, in dem ich mich befinde, zu präsentieren, verhindert das Erleben dieses Momentes, Augenblicks. Und der Druck der Selbstinszenierung wächst.

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