Wie Privatisierung funktioniert – ein Beispiel

Rechtzeitig zum gesundheitsschädlichen Großereignis Weihnachten publiziert der „Sozialismus“ 12/2015 einen sehr informativen Beitrag von Thomas Böhm zu den Folgen der Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge am Beispiel der Krankenhäuser. Seit 1991 wurden in Deutschland 416 Krankenhäuser geschlossen und 165 000 Betten abgebaut. Der Anteil der Privaten an den Krankenhäusern stieg …

Volltext: Gesundheitswissenschaftliche Analyse von Krankenhausprivatisierungen

vsa-krankenhaeuserIm Sommer 2012 erhitzte die Übernahmeschlacht um den führenden deutschen Krankenhauskonzern, die Rhön AG, die deutsche Wirtschafts- und Finanzpresse. Seit diese private Krankenhauskette im Jahr vom Land Hessen das (vorher fusionierte) landeseigenene Universitätsklinikum Marburg/Gießen im Jahre 2005 erworben hatte, stand es unter  Dauerbeobachtung bei wemgehoertdiewelt.de. Kai Mosebach analysiert das Phänomen (pdf). Seine Arbeit geht auf einen Vortrag bei der Arbeiterkammer Wien im Oktober 2012 zurück. Er ist Diplom-Politologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung Medizinsoziologie des Instituts für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin der Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie Mitherausgeber der Studie: „Privatisierung von Krankenhäusern“.

98 Prozent für Rückkauf des Uniklinikums Gießen Marburg durch das Land Hessen

Die Partei DIE LINKE nutzte ihren diesjährigen Infostand bei „3 Tage Marburg“, um die Festbesucher zur Zukunft des Universitätsklinikums Gießen Marburg (UKGM) zu befragen und Unterschriften gegen den geplanten Personalabbau zu sammeln. Die Interessierten konnten entweder einen roten Stimmzettel mit dem Text „Ich will, dass das Klinikum in privater Hand bleibt“ oder einen grünen mit „Ich will, dass das Land das Klinikum zurückkauft“ in zwei Glasurnen werfen.

Read more | ›››

Patient_innen machen Krankenhäuser gesund

Krankenhaus
Creative Commons License photo by: kubatodi

Bereits am Dienstag war in der Berliner Zeitung zu lesen, dass Fresenius weitere Anteile der Rhön-Kliniken gekauft hat. Damit kommt der Medizinkonzern seinem Ziel von 91% und der Stimmenmehrheit über alle wichtigen Beschlüsse hinsichtlich der Geschicke der Klinik näher. Gleich auf der nächsten Seite erklärt die Zeitung, warum Patient_innen Faktoren zur Steigerung des Profits sind: Weiterlesen

Fusion der Klinikbetreiber

Derzeit gehen die beiden privaten Klinikketten Helios (Konzernbereich von Fresenius) und die kleinere (aber auch große) Rhön in die Fusion. Dabei geht es nicht nur darum, den größten Krankenhausbetreiber des Landes aufzubauen, wie das ND festhält. Auch nicht darum, 80.000 Jobs in Berlin zu schaffen (Berliner Zeitung). Die FTD erläutert das noch weitergehende Vorhaben:

Der Masterplan … geht allerdings weit über den Aufbau des größten Klinikbetreibers der Republik hinaus und wäre eine Revolution im Gesundheitsmarkt. Münch [Aufsichtsratschef des MDAX-Konzerns Rhön-Klinikum; me] will, dass der neue Konzern eine private Zusatzversicherung anbietet, der die Patienten an Helios-Rhön bindet. „Die Idee ist, eine normierte Versicherung anzubieten, die konkret und vor Ort Leistungen verspricht und einhält. Wir haben bei einem Zusammenschluss das Angebot, wir haben die Maschine dahinter, um das Versicherungsversprechen wirklich einzulösen“, sagte er der FTD. …
Das Konzept einer klinikgebundenen Zusatzversicherung wird schon länger diskutiert – hätte allerdings noch nie eine solche Marktmacht hinter sich gehabt. Ein ähnliches Projekt unter umgekehrten Vorzeichen ist bereits gescheitert: So hatte die Deutsche Krankenversicherung versucht, im großen Stil Ärztezentren für Privatversicherte aufzubauen. Das Angebot misslang, vielen Patienten war die Nähe zum Versicherer zu groß. Sie fürchteten Einbußen an Qualität, wenn Versicherung und Versorgung in einer Hand liegen und sie nicht mehr selbst entscheiden können, zu welchem Arzt oder welcher Klinik sie gehen. Quelle FTD

Derzeit schwelt der Konflikt um die Privatisierung der Uni-Kliniken in Gießen und Marburg (dazu auch eine Stellungnahme aus der Uni), die Rhön 2006 dem Land Hessen abgekauft hat.

Hier mehr lesen oder bei der FTD

Erfolgreiches Bürgerbegehren

Die große Mehrheit der Menschen im Landkreis Rottal-Inn will nicht, dass die drei Krankenhäuser Simbach, Pfarrkirchen und Eggenfelden verkauft werden. Im Bürgerentscheid am Sonntag, den 08. November, erteilten sie den Plänen von Landrätin Bruni Mayer und der Mehrheit des Kreistages eine eindeutige Absage. Fast 45 000 Wähler – also an die 90 Prozent – sprachen sich für den Verbleib der Kliniken in kommunaler Hand aus. Rund 10 Prozent – rund 5300 Bürger – votierten für den Verkauf an die Rhön-Klinikum AG. Die Wahlbeteiligung lag bei fast 54 Prozent. Mehr lesen

Gesundheitspolitik: Was derzeit wirklich passiert

Eine konservative Privatisierungskritik, sachlich informiert, ein Hausarzt über die von ihm wahrgenommenen Probleme in der Gesundheitsversorgung, bleibt zwar bei der Konzernkritik (neue Gesundheitskonzerne und Bertelsmann) stehen, wirft aber weitere Fragen auf, wo es für die linke Privatisierungskritik (für eine Kritik der politischen Ökonomie der Gesundheitsprivatisierung) anzuknüpfen gilt. Sehr lesenswert.

Read more | ›››

….dass es in einer jeden Gesellschaft am Gemeinwohl orientierte Schutzzonen geben muss…

Marburg.1.Mai2007
Hans-Ulrich Deppe

Maikundgebung des DGB am 1. Mai 2007 auf dem Marktplatz von Marburg an der Lahn

Liebe Kollegin, lieber Kollege!
Lassen wir die letzten Jahre Revue passieren: Es gibt ein Phänomen, das in unterschiedlichen Verpackungen immer wieder auftritt und gewerkschaftlichen Protest hervorruft. Das ist die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen. Die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen hat im letzten Jahrzehnt dramatisch zugenommen. Um nur einige aus der Vielzahl herauszugreifen, die einem spontan einfallen: die Post, die geplante Privatisierung der Bahn, kommunale Einrichtungen wie Wasser-, Elektrizitätswerke und soziale Treffpunkte, Krankenhäuser, die Rente, Universitäten oder die Studiengebühren. Unter Privatisierung versteht man die Enteignung öffentlichen Eigentums! Öffentliches Eigentum das meint Einrichtungen, die mit Steuermitteln – also kollektiven Geldern – aufgebaut und eingerichtet wurden, weil sie gesellschaftlich notwendig sind. Sie werden heute abgestoßen, weil sie unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten die Landes- oder kommunalen Haushalt belasten. Natürlich waren die Landes- und Kommunalhaushalte Jahre lang klamm. Das hat sich erst in den letzen Monaten etwas gebessert. Und wo nichts ist, da kann man auch nichts holen. Das ist zwar eine eingehende Logik – nur: Leider ist sie falsch! Denn wir dürfen bei dieser Argumentation nicht stehen bleiben und sie resignativ hinnehmen. Wir müssen vielmehr weiterfragen: Warum sind oder waren die öffentlichen Haushalte solange unterfinanziert? Und das wiederum hängt mit einer Steuerpolitik zusammen, die die Kassen der öffentlichen Haushalte bewusst leer gefegt hat. Ein Steuerpolitik, die die Unternehmen begünstigt und die Bürger belastet. In unserer Republik gibt es Großunternehmen, die heute so gut wie keine Steuern bezahlen, während die Bürger gerade eine drastische Erhöhung der Mehrwertsteuer hinnehmen mussten. Öffentliche Einrichtungen, die einst als soziale Errungenschaften galten und allen in der Gesellschaft zur Verfügung standen, werden nicht im öffentlichen Interesse saniert. Man lässt sie bewusst verkommen oder putzt sie raus, um sie unter Wettbewerbsbedingungen vermarkten und schließlich privatisieren zu können. In der Regel werden sie zu Spottpreisen verschleudert. Die verbleibenden sozialen Kosten, die in jeder Gesellschaft auftreten, werden auf die einzelnen Bürger abgewälzt. Eine solche neoliberale Politik führt zu einer Polarisierung in der Gesellschaft. Die Reichen werden reicher und die Armen werden ärmer. Und damit steigt das Konfliktpotenzial in der Gesellschaft. Das beginnt mit dem Anstieg der Kriminalität auf der Straße und in der Wirtschaft (siehe Siemens!) und geht bis zu kriegerischen Auseinandersetzungen auf globaler Ebene.

Nun – schauen wir uns hier in Marburg unter dem Gesichtspunkt der Privatisierung einmal etwas um. Da fällt einem natürlich sofort die Universität ein. Gegenwärtig werden Lehre und Forschung an den Hochschulen mittels Drittmittelforschung, Stiftungsuniversitäten und privaten Lehrstühlen, Bachelor-Studiengängen und der Einführung von Studiengebühren an den Interessen der Wirtschaft und der herrschenden Politik neu ausgerichtet. Die Kommerzialisierung von Bildung und Wissenschaft wird massiv vorangetrieben. Spielräume wissenschaftlicher Autonomie werden dramatisch verengt. Während der direkte Einfluss der Wirtschaft auf die Hochschulen mittels neuer Steuerungsinstrumente festgeklopft wird, bekommen Kooperationen mit der Zivilgesellschaft, sozialen Bewegungen und Organisationen mehr denn je Seltenheitswert. Aufklärendes Denken und kritische Wissenschaften werden an den Rand gedrängt– und in Marburg darf man noch hinzufügen: Marxistische Theorie wird langsam aber sicher ausgeschlossen!

Die Allein-Regierung der CDU in Hessen hat diese Entwicklung der Privatisierung der Hochschulen mit Macht vorangetrieben. Dabei denke ich an die in Kürze geplante Umwandlung der gesamten Frankfurter Universität in eine Stiftungsuniversität. Weiter geht es um die Einführung der Studiengebühren, die vor allem die sozial Schwachen trifft und auf den heftigen Widerstand der Studierenden gestoßen ist. Und es geht um die Privatisierung der Universitätsklinika von Gießen und Marburg, ihren Verkauf an eine private Aktiengesellschaft. Die Rhön-Klinikum AG hat am 1. Februar 2006 die volle unternehmerische Verantwortung für das Universitätsklinikum Gießen und Marburg übernommen. Hessen hat als erstes Bundesland ein Universitätsklinikum privatisiert. Die von der CDU geführte hessische Landesregierung hat damit Pilotfunktion für die gesamte Republik übernommen.

Es ist aber nicht nur das Universitätsklinikum Gießen und Marburg – auch in anderen Teilen Hessen haben wir Krankenhausprivatisierungen. Ich denke dabei an das Krankenhaus in Langen, an die Schwalm-Eder-Kliniken oder die Privatisierungsgerüchte um das Höchster Krankenhaus in Frankfurt und das Krankhaus Witzenhausen in Nordhessen.

Schauen wir uns einmal an, was die Privatisierung eines Krankenhauses nach innen bedeutet: Als erstes verändert sich das Ziel der Einrichtung. Eine öffentliche Einrichtung ist am Bedarf orientiert und darüber wird demokratisch beschlossen. Deshalb heißt es auch im Hessischen Krankenhausgesetz: „Die Gewährleistung der bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung durch leistungsfähige Krankenhäuser ist eine öffentliche Aufgaben.“(§3) Private Unternehmen haben ein anderes Ziel. Für sie hat die Rentabilität des eingesetzten Kapitals oberste Priorität. Und wie dieses Ziel erreicht werden soll, entscheiden vor allem die privaten Eigentümer. Die Aktionäre – gleich welcher Aktiengesellschaft – wollen eine satte Dividende sehen. Sie interessiert die Höhe der Dividende mehr als die Frage, wie diese zustande kommt.

Als Zweites werden Arbeitsplätze gestrichen. Immerhin betragen die Personalkosten im Krankenhaus etwa zwei Drittel der Gesamtausgaben. So heißt es hierzu in der Jahresbilanz des Deutschen Ärzteblatts zur Privatisierung des Universitätsklinikums Gießen und Marburg: „Leitende Chirurgen (müssen sich) in ´Performance-Gesprächen´ die Frage gefallen lassen, was sie eigentlich den ganzen Tag tun. Ihre Abteilungen stehen plötzlich in Konkurrenz mit (angeblich) vergleichbaren Abteilungen anderer Rhön-Kliniken … (Und) stimmt die ´Performance´ nicht, werden ärztliche Stellen gestrichen.“ Darüber hinaus beklagt das Deutsche Ärzteblatt bei seinen Recherchen eine bisher nicht bekannte Zurückhaltung der Beschäftigten gegenüber Journalisten – und meint: „Was dahinter steckt ist klar. Als börsennotiertes Unternehmen muss die Rhön-Klinikum AG darauf bedacht sein, dass keine Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, die sich negativ auf den Aktienkurs auswirken könnten.“ (DÄ H.9, 2007, S. 453)

Das um sich greifende Rentabilitätsdenken in der Medizin führt zu einer immer stärkeren Kommerzialisierung in der Krankenversorgung. Das äußert sich darin, dass die Effizienz, die wirtschaftliche Kosten-Nutzen Relation, immer mehr in den Vordergrund geschoben wird und auf Teufel komm raus schwarze Zahlen geschrieben werden müssen. Aber die Häufigkeit und Schwere von Krankheiten richten sich leider nicht nach der jeweiligen Finanzsituation. Vom Arzt wird immer nachhaltiger eine messbare Leistung zu einem festgesetzten Preis verlangt. Diese Leistung nimmt zunehmend Merkmale einer Handelsware an, die unter Bedingungen der Konkurrenz erbracht wird. Entsprechend verwandelt sich der Patient immer mehr in einen Kunden, an dem verdient werden soll. Und der beste Kunde ist in der Regel der, an dem am meisten verdient wird. Patienten werden unter solchen Bedingungen dann vielleicht wie „König Kunde“ bedient, aber nicht mehr wie kranke Menschen behandelt.

Die zunehmende Kommerzialisierung ist freilich nicht nur ein Problem für die praktische Medizin. Auch die Forschung am Menschen ist davon betroffen. Ich denke insbesondere an die Forschung, die zunehmend über private Drittmittel finanziert wird und von den Interessen der Geldgeber keineswegs unabhängig ist. Auch hier gilt nach wie vor das Sprichwort: Wer zahlt, schafft an!

Aus dieser Problemlage ergibt sich, dass es in einer jeden Gesellschaft am Gemeinwohl orientierte Schutzzonen geben muss, die nicht der blinden Macht des Marktes und der deregulierenden Kraft der Konkurrenz überlassen werden dürfen. Es ist die oberste Aufgabe des Staates zum Schutz und zur Sicherheit seiner Bürger hier einzugreifen. Erst auf dieser Grundlage lassen sich nämlich Selbstbestimmung und eigenverantwortliches Handeln entfalten. Hier liegen die Freiheit stiftenden Effekte sozialer Sicherheit.

Kommen wir nun zur so genannten Gesundheitsreform. Nach langem Hin und Her hat die Große Koalition aus CDU und SPD ein Gesetz verabschiedet, das am 1. April dieses Jahres in Kraft getreten ist. Trotz zahlreicher Detail-Veränderungen sind die grundlegenden Probleme geblieben. Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz trägt nicht zur Lösung der Finanzprobleme in der gesetzlichen Krankenversicherung bei. Es behebt nicht die bestehenden Gerechtigkeitsdefizite in der Finanzierung der Krankenbehandlung, sondern verschärft diese noch. Das Gesetz schont einseitig die Interessen einflussreicher Lobbygruppen. Ich denke hier besonders an die Pharmaindustrie und die privaten Krankenversicherungen. Und die finanziellen Lasten dieser Politik haben in erster Linie die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen zu tragen. Die Verlierer dieser Reform sind die Kassen und die Versicherten. Insgesamt fällt auf, dass auf die eigentlichen Finanzprobleme der GKV nicht eingegangen wird. Kein Wort wird darüber verloren, dass die neoliberale Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die stagnierenden Erwerbseinkommen und die anhaltende Massenarbeitslosigkeit den Umfang sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung eingedampft haben. Wie wichtig dieser Punkt ist, können wir daran sehen, dass öffentliche Haushalte und gesetzliche Krankenversicherungen schnell wieder liquide werden, wenn die Arbeitslosigkeit – wie in den letzten Monaten – nur geringfügig zurückgeht und sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen. Eine vernünftige Arbeitsmarktpolitik ist also die beste Finanzierungsgrundlage für die GKV. Solange hier keine grundsätzliche Umorientierung stattfindet und die neoliberalen Bedingungen auch weiterhin als unveränderlich akzeptiert werden, ist die nächste Finanzierungskrise der Krankenversorgung vorprogrammiert.

Immer wieder können wir hören, dass die Entwicklung schon weit fortgeschritten sei und dass es dagegen kein Heilmittel gebe. Es handele sich sozusagen um einen Sachzwang, dem man sich beugen müsse. Ohne den zweifellos entstandenen Druck bagatellisieren zu wollen, meine ich aber, dass dieser von Menschen erzeugte Druck auch von Menschen verändert werden kann. Schließlich sind ökonomische Modelle menschliche Konstrukte und keine Naturgesetze.

Kerngedanke eines anderen, gegen die zerstörerische Kommerzialisierung gerichteten Modells ist die Solidarität. Denn Solidarität geht nicht von den Individuen und ihren marktvermittelten Beziehungen aus. Sie beruht vielmehr auf Gemeinsamkeit und Fairness. Solidarität setzt ein Bewusstsein von Gemeinsamkeit und innerer Verbundenheit voraus, das in einer Kultur, einer ethnischen Gruppe oder in einer sozialen Lage mit spezifischen Lebenserfahrungen begründet ist. Wie wir aus der Geschichte wissen, kann Solidarität große Probleme wie Arbeitslosigkeit, Armut oder Rechtlosigkeit bewältigen. Am wirkungsvollsten kommt Solidarität in organisierter Form mit breiter Beteiligung von unten zur Geltung. Und im Gesundheitswesen sind in der Tat gemeinsame Anstrengungen zur Lösung eines gemeinsamen Problems gefragt.

In vielen Ländern zählt gerade die Krankenversorgung zu dem Bereich, in dem Solidarität ein traditionelles Strukturprinzip ist. Sie kommt hier in unterschiedlichen Formen wie Hilfsbereitschaft, Caritas, Diakonie oder Gegenseitigkeit zum Ausdruck. Krankheit ist nämlich ein allgemeines Lebensrisiko, von dem alle betroffen werden können. Und in der Stunde der Not sind Kranke auf Solidarität angewiesen. Auch im deutschen Gesundheitssystem hat Solidarität einen hohen Stellenwert. Es besagt, dass bis zu einer festgelegten Einkommensgrenze Sozialversicherte mit unterschiedlichen Beiträgen einen Anspruch auf gleiche Leistungen im Krankheitsfall haben und dass bestimmte Gesellschaftsgruppen wie Kinder oder nicht berufstätige Ehepartner ohne eigene Beiträge mitversichert sind. Auch die Mitfinanzierung der Krankenversicherung von Rentnern und Arbeitslosen durch versicherungspflichtige Beschäftigte ist in einem erweiterten Sinn der Solidarität zuzurechnen.
Diese Solidarität im Gesundheitswesen ließe sich durch eine Bürgerversicherung ausweiten. Stattdessen wird sie durch den Einsatz neoliberaler Instrumente systematisch zerstört. Bedauernswert ist, dass inzwischen selbst politische Organisationen, die einst ihre Identität aus der Kraft der Solidarität schöpften, sich heute diesem Prozess nicht nur nicht widersetzen, sondern ihn sogar noch unterstützen.

Solidarische Alternativen sind möglich! Im Gesundheitswesen wird dabei an folgende Grundsätze gedacht:
– Die Krankenversorgung ist alleine am medizinischen Bedarf auszurichten.
– Die gesamte Bevölkerung hat freien Zugang zur Krankenversorgung.
– Die medizinischen Leistungen sind für alle gleich, unabhängig von den individuellen finanziellen Möglichkeiten.
– Die Finanzierung erfolgt solidarisch in Form von Steuern oder Beiträgen.
– Gesundheitsförderung hat einen erheblichen Nachholbedarf gegenüber der Krankenversorgung.
Diese Eckpunkte richten sich gegen die Unterwerfung der Krankenversorgung unter die kommerziellen Gesetze des globalen Marktes. Sie stehen für eine Absicherung des sozialen Risikos Krankheit durch die solidarische Bereitstellung öffentlicher Güter. Sie demonstrieren, dass das Prinzip der Solidarität als Alternative zur Privatisierung und Kommerzialisierung der Krankenversorgung möglich ist. Deshalb lohnt es sich auch, für ihren weiteren Ausbau zu kämpfen. Und das gilt nicht nur für die Krankenversorgung, sondern für eine humane Gesellschaft insgesamt, in der soziale Gerechtigkeit und gute Arbeit respektiert werden (Motto).

Gegner von Klinik-Privatisierung vor Verfassungsgericht abgeblitzt

Die Gegner der beschlossenen Privatisierung des Uni-Klinikums Gießen/Marburg haben vom Bundesverfassungsgericht eine Abfuhr erhalten. Der für Grundrechtsfragen zuständige Erste Senat des obersten deutschen Gerichtes ließ eine Klage von rund 130 nicht-wissenschaftlichen Mitarbeitern der Klinik, die in diesen Tagen privatisiert wird, nicht zu, wie eine Gerichtssprecherin auf Anfrage sagte.
Die Kläger hatten sich nach ihren Worten gegen das im Juni vom Landtag verabschiedete Gesetz gewandt, mit dem die beiden Hochschul-Krankenhäuser zum 1. Juli fusioniert wurden. Das Parlament hatte mit dem Gesetz der Landesregierung die Möglichkeit zum späteren Verkauf eingeräumt. Die Karlsruher Richter stellten die Klagebefugnis der Mitarbeiter in punkto Privatisierungs-Ermächtigung aber in Abrede. Beim Thema Fusion verwiesen sie die zum Pflegepersonal gehörenden Kläger an die Arbeitsgerichte.
Im Zeitplan für die zum 1. Januar vorgesehene Privatisierung hatte sich eine Verzögerung ergeben, weil ein Landtags-Ausschuss noch dem Verkauf der Klinik-Immobilien zustimmen muss. Auch ein abschließendes Votum des Wissenschaftsrates steht noch aus. Die Landesregierung hatte wenige Tage vor Weihnachten bekannt gegeben, dass die Rhön-Klinikum AG den Zuschlag für das bundesweit erste private Uni-Klinikum mit rund 10 000 Beschäftigten erhalten soll. Dagegen wehrt sich die im Bieterverfahren unterlegene Asklepios-Gruppe. Die SPD im Landtag hatte daher gefordert, den von ihr grundsätzlich abgelehnten Verkauf an einen privaten Träger zu stoppen.
Quelle: http://www.fuldainfo.de/page/include.php?path=content/articles.php&contentid=4326&PHPKITSID=bbcd60aea3d5c97efe0b37b8c8b59843
Erschienen am: 02.01.2006

Kritik an Privatisierung der Psychiatrie-Klinik Hildburghausen

Die Thüringer SPD hat die Privatisierung der Psychiatrie-Klinik Hildburghausen kritisiert. Damit wolle die Landesregierung offensichtlich den Haushalt entlasten und sich der Probleme mit der Einrichtung entledigen, teilte die SPD-Landtagsfraktion mit. In der Klinik gebe es auch Betten für suchtkranke Straftäter. Mehrere Straftäter hätten sich in den vergangenen Wochen in Petitionen über die Zustände in der Klinik beschwert. Die Rhön-Klinkum AG hatte gestern die restlichen 25 Prozent vom Land gekauft.
Quelle: MDR 1 RADIO THÜRINGEN, http://www.mdr.de/nachrichten/meldungen/2345967.html

<u>Hintergrund:</u> Privatisierungswelle im Klinikmarkt rollt weiter

Die Privatisierungswelle bei deutschen Krankenhäusern wird sich 2006 beschleunigen. Wegen des wachsenden Kostendrucks können Städte und Landkreise die oftmals defizitären Kliniken nicht mehr finanzieren, das Geld für notwendige Investitionen fehlt. Die Folge: Öffentlich-rechtliche Krankenhäuser werden geschlossen oder an private Betreiber verkauft. Verbraucherschützer befürchten dadurch freilich eine Verschlechterung der Patientenversorgung. Der Verkauf der Universitätsklinik Gießen-Marburg an den börsennotierten Krankenhausbetreiber Rhön-Klinikum – die erste Privatisierung einer Uniklinik in der Europäischen Union – dürfte erst der Anfang gewesen sein. „In den nächsten zwei bis drei Jahren werden wir verstärkt sehen, dass Krankenhäuser übernommen werden“, sagt Analyst Volker Braun vom Broker Equinet. „Wir haben einen sehr starken Trend in Richtung Privatisierung. Das wird sich 2006 bestätigen“, sagt Christian Cohrs von der HVB. Dabei entdecken mehr und mehr Unternehmen die Branche als attraktiv: Der Gesundheitskonzern Fresenius hatte mit der milliardenschweren Übernahme des Fuldaer Klinikbetreibers Helios für Aufsehen gesorgt, mit der er groß in das Geschäft einstieg. Helios soll erklärtermaßen Plattform für weitere Übernahmen sein.
PRIVATE BETREIBER AUF DEM VORMARSCH
Einer Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) zufolge wird jede zehnte Klinik in Deutschland in den nächsten fünf Jahren schließen. „Es handelt sich dabei um einen normalen und sogar wichtigen Prozess in einer Marktwirtschaft, die sich in einem wandelnden Umfeld ständig neu ausrichten und optimale Strukturen finden muss“, schreiben die RWI-Experten in ihrem „Krankenhaus Rating Report 2006“ (vgl. Executive Summary, pdf). Die Versorgung der Patienten sehen sie nicht gefährdet. Das Institut erwartet, dass es bis 2010 fast so viele private wie staatlich betriebene Häuser gibt. 2004 waren nach den Daten des Statistischen Bundesamtes noch 52,8 Prozent der Krankenhausbetten in Deutschland in öffentlicher Hand, 35,6 Prozent in Krankenhäusern, die von gemeinnützigen Trägern wie den Kirchen betrieben werden. Der Marktanteil privater Betreiber lag – in Betten gerechnet – bei 11,5 Prozent. Dabei sind schon ein Viertel aller Häuser in privater Hand. Dort liegen freilich überwiegend kleinere Einrichtungen mit geringer Bettenzahl. Derzeit sind Helios und Rhön-Klinikum die größten privaten Betreiber deutscher Krankenhäuser. HVB-Analyst Cohrs sieht sie bei Übernahmen in einer starken Verhandlungsposition, da derzeit viele Häuser zum Verkauf stünden, es aber nur wenige mögliche Käufer gebe. „Es ist ganz klar ein Käufermarkt“, sagt auch Braun. „Die öffentlichen Träger versuchen jetzt, die Häuser los zu werden, bevor es schlimmer wird. Es gibt genug für alle zum Verteilen.“ Cohrs schätzt, dass mit der Privatisierungswelle die privaten Betreiber bis 2015 ein Umsatzvolumen von 27 Milliarden Euro kontrollieren – das wären fünf Mal so viel wie 2003.
VERBAND FÜRCHTET UM PATIENTENVERSORGUNG
Interessenvertreter der Patienten befürchten, dass sich die medizinische Versorgung durch diese Entwicklung verschlechtern wird. „An der Privatisierung ist ein Riesennachteil, dass die Aktionäre an den Einnahmen beteiligt werden wollen. Dieses Geld kann dann nicht in die Patientenversorgung investiert werden“, urteilt Wolfram-Armin Candidus, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten (DGVP). Nach seiner Einschätzung werden sich die Kliniken auf profitable Leistungen konzentrieren und andere Leistungen, die etwa sozial schwächere Patienten benötigten, nicht mehr erbringen. „Die Investoren suchen sich die Rosinen aus, kleinere Kliniken werden geschlossen. Damit ist die wohnortnahe Versorgung gefährdet“, sagte Candidus. Er verweist zwar darauf, dass privat betriebene Kliniken oftmals über bessere Managementstrukturen verfügten. „Das macht aber die Qualität nicht besser.“ Am Kapitalmarkt sieht man das anders: Mehr Wettbewerb sorge auch für mehr Qualität in den Krankenhäusern. Davon profitierten die Patienten, auch wenn sie weitere Wege fahren müssten, argumentieren Analysten. Equinet-Analyst Braun erwartet, dass die Patienten zwangsläufig mobiler würden und dahin gingen, wo Qualität angeboten werde. „Da sind die Privaten schon etwas weiter“, sagt er.
Quelle: Reuters, Patricia Gugau, Frankfurt, 28. Dez

Privatisierung des Uniklinikum Giessen-Marburg

Die Financial Times Deutschland berichtet:
Gesundheitswirtschaft: Klinisches Experiment
Es ist die Stunde der großen Gefühle. Als der hessische Ministerpräsident Roland Koch vor die Presse tritt, um zu verkünden, dass das Universitätsklinikum Gießen-Marburg privatisiert wird, sagt er, der Standort werde künftig europaweit in einer anderen Liga spielen.
Bei dem Unternehmen, das den Zuschlag für die bundesweit erste Privatisierung dieser Art erhält, ist die Euphorie nicht minder groß. „Wir werden das Uniklinikum Gießen-Marburg zum Flaggschiff des Konzerns machen“, sagte der Vorstandsvorsitzende des Rhön-Klinikums, Wolfgang Pföhler.
Ob diesen Gefühlen bald der Katzenjammer folgt oder sich das Vorzeigeprojekt zur Erfolgsgeschichte entwickelt, darauf blickt nicht nur die Klinikbranche mit großer Spannung. Eines ist klar: Die Unikliniken können nicht mehr weiterwirtschaften wie bisher. Zwei Drittel der derzeit 34 Häuser schreiben rote Zahlen, die Zukunftsaussichten sind düster. Ihnen bleibt nur eine Chance: die Flucht nach vorn.
Noch gilt es in der Politik als Tabubruch, einen privaten Investor ins Allerheiligste der deutschen Medizin zu holen. Kritiker sehen die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre in Gefahr, Mitarbeitervertreter und Gewerkschafter bangen um Stellen. Verdi kritisiert die Entscheidung der Landesregierung als „neue Qualität des Ausverkaufs staatlicher Leistungen“.

Finanzieller Abgrund
Dass die Situation ernst ist, wird allerdings selbst von den Kritikern eingeräumt. Die Universitätskliniken stehen vor dem finanziellen Abgrund. Allein durch die Abrechnung per Fallpauschalen gehen den Kliniken 450 bis 600 Mio. Euro verloren, schätzen Experten. Die Bundesländer, die selbst unter chronischer Geldnot leiden, können diese Lücken nicht stopfen.
Als Retter aus dem Siechtum bieten sich die privaten Klinikketten an. Sie sind begierig darauf, zu beweisen, dass sie nicht nur defizitäre Provinzkrankenhäuser übernehmen, sondern auch Hightech-Häuser aus dem Minus manövrieren können. „Das ist eine Sache des Prestiges“, sagt Analyst Hartmut Schmidt von HPS Research. Wer Zugang zur Hochleistungsmedizin hat, kann Spitzenkräfte an sich binden und sich eine gute Ausgangsposition für frisches Geld vom Kapitalmarkt verschaffen, um für weitere Akquisitionen gerüstet zu sein.
Was sich in Gießen und Marburg, den beiden nur 30 Kilometer voneinander entfernten Kliniken, in den vergangenen Jahren abspielte, ist symptomatisch für die gesamte Branche. Aus eigener Kraft gelang es den beiden Standorten nicht, sich aus dem Sumpf zu ziehen. In Gießen fehlte jahrelang Geld für Neubauten und Renovierungen, weil die öffentlichen Fördertöpfe leer waren. Ein Investitionsstau von mehr als 200 Mio. Euro baute sich auf. Zwischenzeitlich mussten sogar OP-Säle geschlossen werden, da die hygienischen Zustände zu wünschen übrig ließen.

Fusion und Bieterwettkampf
Marburg dagegen schrieb zuletzt schwarze Zahlen und verfügt über moderne Gebäude, konnte aber in der Spitzenforschung international nur in einigen Fachbereichen mithalten. Ende 2004 verkündete schließlich Ministerpräsident Koch, die beiden Häuser zu verschmelzen und bis Ende 2005 an einen privaten Investor zu verkaufen. Im Bieterwettkampf waren neben Rhön die Klinikketten Helios und Asklepios bis zuletzt im Rennen.
Für den Käufer Rhön-Klinikum, der 41 Krankenhäuser in Deutschland betreibt, gibt es nach der Entscheidung jede Menge Vorschusslorbeeren. Der Börsenkurs des MDax-Unternehmens kletterte nach oben. „Mit der Übernahme wird der Netzwerkgedanke bei Rhön entscheidend gestärkt“, sagt Analyst Christian Cohrs von der HypoVereinsbank in München.
Die Wachstumsstrategie von Rhön – bis 2015 will das Unternehmen seinen Marktanteil von heute drei Prozent auf bis zu zehn Prozent ausbauen – ist an den Aufbau von Versorgungsnetzen geknüpft. Die Krankenhauskette setzt auf so genannte Teleportalkliniken: Kleinere Krankenhäuser, vorwiegend auf dem Land, sind über Computer mit Spezialisten in anderen Häusern vernetzt. Die dortigen Experten erhalten Laborwerte oder Computertomografie-Bilder, mit Hilfe derer sie einen Befund erstellen. In diesem System ist ein Uniklinikum ein sehr attraktiver Baustein.
Von Stefanie Kreiss und Sabine Rössing
Aus der FTD vom 22.12.2005 >>> http://www.ftd.de/ub/gw/35816.html

"Die Maerkte warten nur darauf" – Baukonzerne und Finanziers aus dem In- und Ausland wollen Autobahnen uebernehmen

Düsseldorf/Berlin – Die Einschläge kommen näher für Deutschlands Pkw-Fahrer: Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage diskutiert das politische Berlin jetzt die Einführung einer Pkw-Maut beziehungsweise eine Autobahn-Privatisierung. In der vergangenen Woche hatten die Landesverkehrsminister das Maut-Projekt noch abgelehnt. Am Wochenende nun erklärte der designierte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD), er müsse die Autobahnprivatisierung „prüfen, ich bin noch nicht festgelegt“. Noch, so scheint es, will keiner raus mit der Wahrheit. Und doch werden sich die deutschen Autofahrer mittelfristig wohl von ihren rein steuerfinanzierten Schnellwegen verabschieden müssen – genau so, wie das viele westeuropäische Nachbarn längst getan haben.
Zum einen fehlt dem Staat das Geld für die Instandhaltung und den Ausbau des Autobahnnetzes. Zum anderen könnte der Verkauf des nach Expertenschätzungen 127 Mrd. Euro wertvollen Netzes die Staatsschulden und damit auch die Zinszahlungen erheblich drücken – um bis zu sechs Mrd. Euro jährlich, heißt es. Interessenten, die die Straßen kaufen, sanieren oder erweitern und per Maut refinanzieren wollen, gibt es reichlich, vor allem aus der Bauindustrie und der Finanzbranche. „Die Märkte im In- und Ausland warten nur darauf“, meint Friedrich Ludwig Hausmann, Partner der Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, die sich seit Jahren mit Infrastruktur-Privatisierung beschäftigt.
Welcher klamme Finanzminister kann da lange widerstehen? Sozialdemokrat Peer Steinbrück jedenfalls ist aus seiner Zeit als Kassenwart in den Landeskabinetten in Kiel und Düsseldorf sowie später als NRW-Ministerpräsident als jemand bekannt, der keine Berührungsängste mit der Privatwirtschaft hat.
Neben den deutschen Groß- und Landesbanken kämen ausländische Finanzkonzerne wie Barclays, BNP Paribas oder Goldman Sachs in Frage, auch Infrastrukturspezialisten wie die Royal Bank of Scotland oder die Royal Bank of Canada oder die umtriebige australische Mcacquarie-Bank, die bereits an der privat finanzierten Warnow-Querung bei Rostock beteiligt ist. Auch internationale Fonds zeigen Interesse – schließlich verspricht das „Transitland“ Deutschland verläßliche Einnahmen. Bisher dürfen freilich offene Immobilienfonds nur in sehr beschränktem Ausmaß in die Finanzierung solcher Projekte einsteigen.
Die Bauindustrie wünscht sich seit langem einen Umschwung in der Infrastruktur-Politik: Hochtief, Bilfinger Berger oder Strabag – alle würden ihre Maut-Erfahrungen aus dem Ausland (Nordamerika, Australien, Asien) nur zu gern auf dem Heimmarkt einsetzen und wären wohl bereit, dafür tief in die Tasche zu greifen. „Die Einführung einer Maut müßte aber mit einer Absegnung der Kfz- und Mineralölsteuer einhergehen“, sagen Hochtief-Chef Hans-Peter Keitel und Herbert Bodner, Vorstandsvorsitzender von Bilfinger Berger, unisono. Die Baukonzerne versprechen sich Milliardengeschäfte mit jahrelang weitgehend gesichertem Cash Flow aus fließendem – selbst aus stehendem – Verkehr.
Zumindest in der Bauphase könnten auch Tausende kleinere und mittlere Zulieferunternehmen von den Aufträgen für die Großen profitieren: Patrick Adenauer jedenfalls, Präsident der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmen (ASU), jubiliert: „Eine Privatisierung der Autobahnen würde einen gewaltige Investitions-, Wachstums- und Beschäftigungsschub auslösen“.
Seit wenigen Jahren sind in Deutschland solche Projekte im Hochbau möglich, etwa für die Sanierung und den baulichen Betrieb von Schulen oder Gefängnissen: Der Bereich zählt zu den Wachstumssparten der Bauindustrie. Würde das Modell auf Autobahnen übertragen, stünden auch ausländische Bewerber am Start, etwa die französischen Baukonzerne Vinci und Eiffage. Vinci hält bereits 23 Prozent am Autobahnbetreiber Autoroutes du Sud (ASF) und ist unter anderem mit „Teerbau“ im deutschen Straßenbau vertreten. Sowohl Vinci und Eiffage haben jetzt für die drei Autobahnen in Frankreich geboten, die komplett privatisiert werden sollen. Auch Cofiroute könnte Interesse haben: Die Gesellschaft ist Mitglied im Konsortium von Toll Collect, das die deutsche LKW-Maut eintreibt.
Aus Italien könnten die Benettons mit ihrer expansionsfreudigen Autobahngesellschaft Autostrade ins Geschäft drängen. „Ein Unternehmen wie Autostrade ist immer aufmerksam, wenn sich etwas im Ausland tut“, so CEO Vito Gamberale. Der mit 3408 Streckenkilometern größte europäische Autobahnbetreiber „Autostrade per l’Italia Spa“ bietet mit einem italienisch-französischen Konsortium bereits für die Autobahn Paris-Rhones.
Beim Bieter-Wettstreit in Frankreich sind auch Spanier vertreten. Die Baugruppe Sacyr Vallehermoso wird unter anderem die Brücke über die Meeresenge von Messina bauen. „Wir suchen überall Chancen“, so ein Sprecher von Albertis, das in Spanien 1500 Kilometer Mautstrecken betreibt. Dazu käme die zum Baukonzern Ferrovial gehörende Cintra, die 16 Autobahnen weltweit betreibt.
Wie der Umstieg vom staatlichen auf ein privates Autobahnnetz konkret ablaufen könnte, ist noch unklar. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie arbeitet seit Monaten an einem konkreten Vorschlag. Anfang November soll das Papier fertig sein. In den Konzernen ist zu hören, daß die Vergabe einzelner Strecken wirtschaftlich wenig Sinn macht. Um das Risiko besser zu streuen und eine Mischkalkulation von teuren und billigeren Strecken zu ermöglichen, favorisieren viele in der Branche die Vergabe größerer Netze an einen Betreiber oder ein Betreiberkonsortium. Möglicherweise einschließlich der Bundesstraßen – um mögliche Ausweichrouten dicht machen zu können.
Wahrscheinlich würde der Systemwechsel schrittweise erfolgen, von einzelnen Strecken hin zu Netzen. Dabei dürften als erstes an den am stärksten befahrenen Strecken Maut-Häuschen oder -Brücken aufgestellt werden: auf Teilen der A1 in NRW, an der A3 rund um Frankfurt und die A8 bei München. Der gefürchtete Alb-Aufstieg der A8 wird bereits als sogenanntes privatisiertes „F-Modell“ geplant, als Maut-Insellösung. Bisher gibt es zwei derartige Projekte in Deutschland: die Warnow-Querung und den Herrentunnel in Lübeck.
„Die Autobahn-Privatisierung muß gar nicht zwangsläufig die Einführung einer Pkw-Maut zur Folge haben“, meint Jurist Hausmann. Nach britischem Vorbild wäre eine „Schattenmaut“ vorstellbar: Der private Investor, der ein Stück Autobahn gekauft oder für 25 Jahre gepachtet hat, bekommt vom Staat für jedes registrierte Auto eine Gebühr, die wie bisher aus Steuern finanziert wird. Der Autofahrer bräuchte weder Kleingeld noch Maut-Vignette. Hausmann:“Die gesetzlichen Voraussetzungen für ein solches System, bei dem der Staat die Straßen behält, die dann ein Privater betreibt, sind verhältnismäßig leicht zu schaffen.“
Hagen Seidel in: Die Welt, 18.10.2005
Mitarbeit: Ute Müller, Karsten Seibel, Barbara Wörmann, Gesche Wüpper

Operation ohne Narkose. Nach Krankenhaeusern sollen nun auch Universitaetskliniken privatisiert werden

Auf den Hügeln am Rande der traditionsreichen Universitätsstadt Marburg ist man stolz. Weit verzweigt liegt dort das Universitätsklinikum mit seinen Bauten, viele davon neu: die Medizinische Bibliothek, das Biomedizinische Forschungsgebäude und das Mutter-Kind-Zentrum. Es hat mehrere hundert Millionen Euro gekostet, all das fertig zu stellen, die Einrichtungen machen Fakultät und Uniklinik zu einem der modernsten medizinischen Zentren Deutschlands. Doch die Zukunft der Klinik ist indes ungewiss; bei Ärzten und Pflegepersonal geht die Angst um.
Ende 2004 beschloss der hessische Landtag mit der Mehrheit der alleinregierenden CDU, das Klinikum mit der Uniklinik Gießen zu fusionieren und beide zum 1. Januar 2006 zu veräußern. Es wäre die erste Vollprivatisierung einer deutschen Uniklinik und ein revolutionärer Schritt im deutschen Gesundheitswesen. Ein Schritt aber, der viele Arbeitsplätze und die erfolgreiche Grundlagenforschung an beiden Kliniken gefährdet.
Seit Jahren ist die Privatisierung von Kliniken der öffentlichen Hand ein boomendes Geschäft. Vielen Ländern und Kommunen fehlt das Geld für Investitionen in Gebäude oder neue Technologien. Der Verkauf von Kliniken erscheint ihnen als Ausweg, die kostenintensiven Krankenhäuser und die Verantwortung loszuwerden. Der Anteil privater Kliniken stieg in den vergangenen zehn Jahren von etwa 15 auf 25 Prozent. Prognosen zufolge könnte er 2015 bei 40 bis 50 Prozent liegen.
Halten Privatanbieter bislang vor allem kleine Kliniken, so streben sie in jüngster Zeit immer stärker nach der Übernahme großer Häuser – bis hin zu so genannten Maximalversorgern, die das ganze medizinische Spektrum abdecken. Bestes Beispiel dafür ist die Anfang 2005 beschlossene Übernahme des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) in Hamburg durch die Asklepios-Kette. Zum Zeitpunkt des Kaufs kam der LBK, eines der größten medizinischen Zentren Europas, mit rund 12000 Mitarbeitern auf einen Jahresumsatz von 800 Millionen Euro. Nun rücken auch Universitätskliniken, die zu den größten in der deutschen Krankenhauslandschaft gehören, ins Visier privater Ketten.
»Für uns wäre es sehr lukrativ, ein Universitätsklinikum zu erwerben«, sagt Bernhard Broermann, Gründer und Alleingesellschafter von Asklepios. »Neben der Nähe zu Lehre und Forschung ließen sich damit bestehende Lücken in unserem Krankenhausnetz schließen.« Auch andere Klinikketten sind interessiert. So beteiligten sich an der Ausschreibung für Gießen-Marburg alle maßgeblichen Anbieter: die Rhön-Klinikum AG, die Helios Kliniken und die Sana Kliniken (siehe Kasten).
Hessens Ministerpräsident Roland Koch ist sich mit Blick auf seine Pläne »sicher, dass wir damit mehr Wachstum für den Medizinstandort Hessen hervorrufen als mit jeder anderen Lösung«. Für ihn handelt es sich beim Fall Gießen-Marburg um ein »Leuchtturmprojekt«. Die Umsetzung der Pläne geriete zum Präzedenzfall. Auch andere Bundesländer prüfen den Verkauf ihrer Universitätskliniken. Bisher hat man sich dort aber stets für die abgefederte Variante einer Privatisierung in öffentlicher Hand entschieden: Dabei wird die betreffende Einrichtung rechtlich in ein privatwirtschaftliches Unternehmen umgewandelt, was ihr erlaubt, sehr viel eigenständiger zu wirtschaften und zum Beispiel auch Kredite aufzunehmen – Eigentümer aber bleibt der Staat.

Die Kliniken finanzieren ihren eigenen Verkauf – und der Staat bürgt
Unikliniken zu unterhalten ist teuer. Sie sind groß und meist besser ausgestattet als andere Krankenhäuser. Vor allem aber sind sie Stätten von Forschung und Lehre – das kostet. Zwar werden die laufenden Ausgaben von den Krankenkassen getragen. Seit Einführung der Fallpauschalen aber, mit denen feste Sätze pro Krankheitsbild statt wie früher pro Liegetag gezahlt werden, fließt immer weniger Geld in die Kassen. Unikliniken trifft dies besonders hart, denn die Ausbildung von Ärzten am Patienten erfordert Zeit – und die will niemand mehr bezahlen. Ganz zu schweigen von den nötigen Investitionen in immer neue Geräte und in Gebäude.
Rund 80 Prozent der bundesweit 35 Unikliniken machten 2004 Verlust. »Diese Entwicklung wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen«, prognostiziert der Vorsitzende des Wissenschaftsrats Karl Einhäupl. Das Klinikum Marburg, das stets schwarze Zahlen erwirtschaftet hat, zählt zu den großen Ausnahmen. Gießen hingegen weist jährlich einen Verlust von mindestens fünf Millionen Euro aus und hat in den vergangenen Jahren einen Investitionsstau von mindestens 200 Millionen Euro angehäuft. Einen Stau, den das Land Hessen nicht auflösen kann. »Die Kassen sind leer«, erklärt der zuständige Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Joachim-Felix Leonhard. »Uns fehlt schlicht das Geld, diese Lücken zu schließen.« Von einem Käufer aus der Wirtschaft verspricht sich die Regierung Koch ein strafferes Management und positive Impulse auch für Forschung und Lehre. »Ein privater Betreiber kann schnell Investitionen vornehmen, für die uns aufgrund der Haushaltslage die Hände gebunden sind«, sagt Leonhard.
Der geplante Verkauf könnte jedoch zum Bumerang werden: Mit 347 Millionen Euro hat der Bund die Kliniken Gießen und Marburg im Rahmen des Hochschulbauförderungsgesetzes (HBFG) bisher gefördert, und ein guter Teil davon müsste nach einem Verkauf wohl zurückgezahlt werden – laut HBFG darf der Bund private Betreiber nicht unterstützen. »Ein nicht näher zu bestimmendes Kostenrisiko«, urteilt Ulrich Kasparick, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesforschungsministerium. Hessen dürfte daran interessiert sein, zumindest die Rückforderungen des Bundes durch den Verkaufserlös zu decken.
Dies führt zum nächsten Problem: Je höher der Kaufpreis, desto größer dürfte die finanzielle Belastung für die Unikliniken sein. Erfahrungsgemäß lassen die gewinnorientierten Ketten das Krankenhaus selbst Kredite zur Finanzierung des Kaufpreises aufnehmen, um das eigene Risiko zu minimieren. So habe Asklepios beim Kauf von 74,9 Prozent der Anteile des LBK Hamburg von den rund 320 Millionen Euro Kaufpreis nur 19,2 Millionen Euro direkt bezahlt, sagt Ulrich Kestermann, Finanzexperte und im Verkaufsprozess Berater der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat des LBK. Ein großer Teil der Restsumme finanziere sich über Kredite, die die neu gegründete Krankenhaus GmbH belasteten und für die auch die Stadt Hamburg als Verkäufer bürge.
Asklepios-Chef Broermann sieht in einer solchen Finanzierungsstruktur keine Belastung. »Fremdfinanzierungen von zwei Drittel des Kaufpreises sind absolut die Regel«, sagt er und verweist darauf, dass sein Unternehmen neben den 19 Millionen Euro in bar auch zwei Kliniken eingebracht habe und somit insgesamt Eigenmittel von etwa 100 Millionen Euro einsetze. Diese Kliniken jedoch sind in den LBK eingegangen, Kaufpreis und -objekt verschmelzen auf seltsame Art. Unter dem Strich hat sich der LBK selbst gekauft. In die Selbstständigkeit startet er mit etwa 250 Millionen Euro Schulden.
Zur Wahl stehen sechs Prozent weniger Lohn oder der Abbau von 600 Stellen
»Ähnliches könnte dem Uniklinikum Gießen-Marburg blühen«, sagt Kestermann. Die angestrebte Privatisierung »ist ein hochgefährliches Experiment mit ungewissem Ausgang«, sagt auch Ulrich Montgomery, Vorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Bei dem Verkauf an eine private Klinikkette sähe sich das fusionierte Klinikum gleich drei Belastungen ausgesetzt: der Tilgung des Kredits über den zu erwartenden Kaufpreis in wahrscheinlich dreistelliger Millionenhöhe, den unmittelbar notwendigen Investitionen von gemeinsam etwa 300 Millionen Euro und dem Druck, jährlich mindestens acht bis zehn Prozent Gewinn abzuwerfen.
»In Gießen-Marburg wird zu viel auf einmal versucht«, sagt Reinhard Busse, Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin. Er und andere Experten hegen große Zweifel, dass die Kliniken diesen Belastungen unter den Bedingungen des Fallpauschalen-Systems ohne empfindliche Einschnitte standhalten können. Zumal die Möglichkeiten der Erlössteigerung wegen des eher kleinen Einzugsgebiets beschränkt sind. Ein Problem, das selbst Interessent Broermann von Asklepios sieht: »Das Risiko in Marburg und Gießen ist sehr groß, da 85 bis 90 Prozent der Patientenströme aus der Region kommen.« Bei der Konkurrenz der Rhön-Klinikum AG will man sich derweil zu Verkauf und Risiken generell nicht äußern – schließlich sei dies ein laufender Prozess, heißt es.
Oft geht der Wechsel eines Krankenhauses zu einem privaten Betreiber mit sichtbaren Verbesserungen einher. Wo vorher Gebäude verkamen, ist plötzlich Geld da für Renovierungen, schmucke Neubauten und eine moderne Ausstattung. Für Projekte, die die öffentliche Hand nicht mehr finanzieren konnte oder wollte, stehen auf einmal Banken mit großzügigen Krediten parat. Das Ganze hat jedoch seinen Preis, lässt es sich doch nicht ohne harte Einsparungen an anderen Stellen bewerkstelligen. Bei der Rhön-Klinikum AG heißt es, es sei nicht möglich, den »Bären (zu) waschen, ohne ihn nass zu machen«. Hinter den Kulissen wird oft gespart, was das Zeug hält. Zuerst werden meist patientenferne Dienstleistungen wie Küche und Wäscherei ausgegliedert oder eigene Trägerschaften gegründet, um aus Tarifverträgen aussteigen zu können. Doch dabei bleibt es nicht.
»Kündigungen sind an der Tagesordnung, und für examinierte Pflegekräfte werden häufig nur Hilfskräfte eingestellt, die den vielfältigen Anforderungen an die fachgerechte Versorgung von Patienten nicht gewachsen sind«, sagt Norbert Donner-Banzhoff, Professor an der Universität Marburg. Beim LBK etwa wurde bereits kurz nach der Übernahme für 2005 ein Abbau von mehreren hundert Vollzeitstellen beschlossen. Für die nächsten Jahre können die Mitarbeiter zwischen einer sechsprozentigen Lohnkürzung und damit einer Aushebelung der Tarifverträge oder der Streichung von etwa 600 Stellen wählen. Andere gängige Maßnahmen betreffen die Verlängerung von Arbeitszeiten sowie Lohnkürzungen, wodurch der Druck auf Ärzte und Pflegepersonal steigt. »Über kurz oder lang wirken sich diese Einsparungen auch auf die Behandlungsqualität und damit die Gesundheit der Patienten aus«, sagt Donner-Banzhoff. Ein Vorwurf, den private Betreiber weit von sich weisen.
Im Fall Gießen-Marburg ist zu erwarten, dass viele der insgesamt gut 11000 Stellen abgebaut werden. Die Personalratsvorsitzenden der Kliniken in Gießen und Marburg gehen von Stellenstreichungen von mindestens 10 bis 20 Prozent aus, eine Größenordnung, wie sie Gewerkschaftsvertretern zufolge bei einer Privatisierung üblich ist. Damit könnten rund 2000 Menschen ihre Arbeit verlieren, ganz zu schweigen von den gefährdeten Jobs bei den mittelständischen Zulieferern. Angesprochen auf mögliche Stellenverluste, verweist die Landesregierung lediglich darauf, dass der Verkaufsvertrag eine Garantie enthalten werde, wonach betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2010 ausgeschlossen sein werden. Den vielen Beschäftigten mit befristeten Verträgen wird das indes nur wenig nutzen.

»Hier herrscht Grabesstimmung. Die besten Leute laufen davon«
»Und was passiert«, fragt Marburgs Personalratsvorsitzender Wilfried Buckler, »wenn sich der Private an dem großen Brocken verschluckt? Sollen die Unikliniken dann geschlossen werden? Marburg lebt von dieser Klinik. Sie ist nicht nur das einzige maßgebliche Krankenhaus, sondern auch der größte Arbeitgeber der Region.« Doch für diesen Fall ist gesorgt. »Der Vertrag wird eine Rückfallklausel beinhalten«, sagt Staatssekretär Leonhard. »Im Fall einer Insolvenz des privaten Betreibers geht die fusionierte Klinik wieder an das Land Hessen.« Mitsamt der bis dahin angefallenen Schulden, versteht sich.
Am gravierendsten dürften sich die finanziellen Belastungen auf die Einheit von Forschung, Lehre und Patientenversorgung auswirken. Ihrem Wesen nach sind Unikliniken die Werkstätten der Medizinstudenten, die dort von den besten Spezialisten und direkt am Patienten lernen. Die Verzahnung von Forschung, Lehre und Behandlung nützt allen Beteiligten und vor allem den Patienten. So hat man etwa in Gießen und Marburg durch Grundlagenforschung in der Tumormedizin Erfolge erzielt, die auch international Beachtung fanden. Einzelne Tumorarten, die noch vor 20 Jahren zu 90 Prozent zum Tode führten, sind heute auch dank dieser Forschung zu 90 Prozent heilbar.
Ob es solche Erfolge an den Fakultäten unter privaten Eigentümern noch geben wird, scheint fraglich. »Private Klinikbetreiber werden naturgemäß wenig Interesse am Vorhalten einer adäquaten Forschungs- und Lehrtätigkeit haben«, befürchtet Ärztevertreter Montgomery. Äußerungen von Chefs mehrerer Privatketten bestätigen diese Einschätzung. Lutz Helmig, Hauptgesellschafter von Helios, hat nach eigener Aussage »kein Interesse an Grundlagenforschung«; der langjährige Vorstandsvorsitzende und heutige Aufsichtsratschef der Rhön-Klinikum AG, Eugen Münch, ist der Ansicht, der Direktor einer Klinik solle nicht dafür sorgen, dass geforscht und gelehrt, sondern dass produziert werde. Ob es da Gießen-Marburg viel nützt, dass das Land Hessen eine ständige Schlichtungskommission zwischen Klinik und Fakultät einrichten und über den Verkauf hinaus eine fünfprozentige Beteiligung an den Kliniken halten will – »um notfalls rechtlich eingreifen zu können«, wie Staatssekretär Leonhard erklärt –, darf bezweifelt werden.
»Ein solcher Verzicht auf Grundlagenforschung könnte der Anfang vom Ende für die deutschen Universitätskliniken sein«, befürchtet der Dekan der Medizinischen Fakultät in Marburg, Bernhard Maisch. Auch andere Unikliniken befinden sich in einer wirtschaftlichen Zwangslage, auch ihnen droht die Vollprivatisierung. In Lübeck und Kiel wird bereits ganz offen über einen Verkauf der Unikliniken spekuliert. »Auch dort würden wir uns sofort bewerben«, sagt Asklepios-Chef Broermann. Aufmerksam verfolgt die Fachwelt die Entwicklung in Hessen.
Die Vorboten des Verkaufs sind in Gießen und Marburg schon zu spüren. Seitdem das Gespenst »Privatisierung« umgeht, bewerben sich kaum noch Spitzenmediziner, andere werfen das Handtuch. »Hier herrscht Grabesstimmung. Die besten Leute laufen mir davon«, berichtet ein Chefarzt in Marburg. Vor einem Jahr hatte auch er einen Ruf an eine andere Universität. »Wenn ich gewusst hätte, was uns blüht, ich wäre damals ganz sicher gegangen.«
Von Jan Schmitt, DIE ZEIT 13.10.2005 Nr.42
>>> http://zeus.zeit.de/text/2005/42/Unikliniken