Was derzeit in den Medien zum Thema Vergewaltigungsvotwürfe gegen Prominente wie Daniel Strauss Kahn oder Jörg Kachelmann zu lesen ist, zeigt einen massiven Rollback längst überwunden geglaubte Geschlechterrollenklischees. Auf keinen Fall sollten Debatten dazu Deutschlands Vorzeige-Feministin Alice Schwarzer überlassen werden, die spätestens mit ihrem Sammelband „Die große Verschleierung. Für Integration, gegen Islamismus“ deutlich macht, auf welcher populistisch-rassistischen Seite sie steht. Was es braucht ist ein Linke, die sich in diese Debatten einmischt und Gegenpositionen bezieht, und zwar: feministisch, links und mit konkreten Forderungen im Gepäck.
Ein „Sexrowdy“ sei er, meint der Deutschlandfunk. Die Bildzeitungen titelt zum Thema mit „Sex-Affären“ und verweist auf die bekannte „Schwäche“ des IWF-Chefs für Frauen. Die Financial Times spricht von „Sex-Vorwürfen“ und die TAZ von einer „Sex-Falle“ in die der IWF-Chef Daniel Strauss Kahn möglicherweise hineingetappt sei.
In den letzen Tagen wurde schließlich bekanntgegeben, dass die Kronzeugin im Prozess gegen Strauss-Kahn sich in Lügen verstrickt und damit unglaubwürdig gemacht habe. Am Freitag letzter Woche entließ man ihn dann aus seinem siebenwöchigen Hausarest. Das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft in NY sei zwar noch nicht abgeschlossen, dennoch bestehen massive Zweifel an der Aussage der Hotelangestellten, die Strauss-Kahn einen gewaltsamen sexuellen Übergriff vorwürft, so Welt Online.
Konkret ließ die Staatsanwaltschaft NY in den letzen Tagen bekannt geben, dass die Kornzeugin früher bereits bei ihrem Asylantrag gelogen hätte, sich zudem während der Vernehmungen zu diesem Fall in Widersprüche und Lügen verstrickt habe, sowie in der Vergangenheit bereits Sex für Geld angeboten habe. Dass Straus-Kahn ebefalls gelogen hatte, als er z.B. jeglichen sexuellen Kontakt mit der Hotelangestellten abstritt, ist übrigens nicht Thema. Intensiv setzt sich stattdessen u.a. die TAZ mit der Rolle von Anne Sinclaire, der Ehefrau von Straus-Kahn auseinander, die nämlich während der Zeit des Hausarestes, „trotz aller schwerwiegenden Vorwürfe und seiner Seitensprünge zu ihm hält. Warum?“
Karriere, Geld, Zweckehe, Liebe, Abhängigkeit, Verträge? Man weiß es nicht, dafür ist klar, dass Medien und Öffentlichkeit kein Interesse daran haben, sich tiefergehend mit dem Thema Vergewaltigung und den draus in erster Linie für das Opfer entstehenden lebensbeeinträchtigenden Konsequenzen auseinanderzusetzen. Obwohl der Fall „DSK“ konkret darum handelt! Und gerade deshalb zum Anlass genommen werden müsste, darüber zu informieren, wie und wo zukünftigen Opfern sexualisierter Gewalt Perspektiven und gesellschaftliche Rahmenbedingungen geboten werden können, sich zu wehren und z.B. Anzeige zu erstatten, trotz eventuellem Prominent_innen-Status des/der potentiellen Täter_in.
Der derzeitige mediale Diskurs um Vergewaltigungen, Täter_innen und Opfer wird stattdessen zukünftige Opfer abschrecken, rechtliche Schritte gegen Täter_innen einzuleiten, bzw. eine solche Tat öffentlich zu machen. Und erschreckenderweise sind vorhandene gesellschaftliche Tendenzen und Entwicklungen hin zu einer Sensibilisierung im konkreten Umgang mit dem Thema sexualisierte Übergriffe sowie der daraus entstehenden notwendigen Opferarbeit, offensichtlich nicht genügend präsent oder populär, dass hier eine Diskursverschiebung passieren könnte. Und auch die Thematisierung und der Abbau patriarchaler Genderrollen-Klischees, die mindestens seit den 70er Jahren feministische Kämpfe prägen, scheinen in diesen Tagen vergessen zu sein. Leider werden im Fall Strauss-Kahn immernoch die uralten Bilder von Männlichkeit, Macht, Einfluss und Geld produziert, die im Endeffekt eine Täter_innen/Opfer-Umkehrung unterstützen, nämlich die Focussierung der Medien auf die zerstörte Karriere des Strauss-Kahn, dem Mann und IWF-Chef mit einer bekannten „Schwäche“ für Frauen. Diesem bekennenden „Sex-Rowdy“, dem man einen aggressiven Ausrutscher doch verzeihen könnte. Die sozialistische Opposition in Frankreich tat in den letzen Tagen den ersten Schritt: 60% sprachen sich dafür aus, die Bewerbungsfrist für die parteiinternen Vorwahlen im Herbst zu verlängern, damit auch Strauss-Kahn antreten könne.
Hallo ihr,
ich will die Debatte nicht inhaltlich weiterführen oder dran anknüpfen. Denn: Klar passt das hier hin, und zwar zur Thematik „wem gehört der Körper“. Man muss sich das aber wirklich erst erschließen, indem man den Text liest. Daher wäre so ein Satz in der Überschrift oder gleich in den ersten Sätzen ganz gut. Das ist ein rein redaktioneller Hinweis.
herzliche Grüße
Sabine
@markus: wem gehört dieser blog, dass du sagen kannst, mein beitrag zum medialen scheitern an dem thema vergewaltigung ginge an dem kernthema dieses blogs vorbei? wem gehört dieser blog, wenn nicht denjenigen, die hier mit linken, emanzipatorischen, antikapitalistischen und queerfeministischen brillen im gepäck bloggen!? wenn ich von einem medialen scheitern im zusammenhang mit der vergewaltigungsdebatte schreibe, dann deshalb, weil ich nicht der meinung bin, diskriminierungsdynamiken z.b. aufgrund von geschlecht würden sich mit der aufhebung des kapitalismus von selbst erledigen. (haupt- nebenwiderspruchsthese!) vielmehr halte ich es für angebracht im hier und jetzt an gesellschaftliche kämpfe anzuknüpfen und sich öffentlich z.b. in die besagte debatte einzumischen, um emanzipatorische veränderrungen zu diskutieren und in gang zu bringen!
deshalb denke ich, dass eine medial aufgepumpte debatte um vergewaltigung, die u.a. voll ist mit miesen geschlechterrollenklischees – die im übrigen auch immer ihre ökonomische seite haben(!) – durchaus einen beitrag wert es ist auf diesem blog; es geht doch immer auch um eine aneignung und verschiebung der diskurse um z.b. vergewaltigung, um konkrete politische forderungen, um fragen nach strategien im umgang damit usw. und dafür braucht es sichtbare linke, queerfeministische debatten und interventionen. von nix kommt nix:-)
> Eine Ebene beider Fälle spricht der Artikel
> jedoch nicht an: Wieso wird der Wahrheitsgehalt
> der Zeuginnenaussagen immer dann in Frage
> gestellt, wenn sie vor Gericht stehen und
> selbstbewusst auftreten?
die ausblendungen gehen noch weiter und fallen auf uns selbst zurück: woher kommen die unterschiede in der behandlung verschiedener gegenüber mächtigen männern selbstbewußt vorgehender frauen? weil die eine recht hellhäutig und wohlhabend ist, ich darf erfahrung im umgang mit finanzinstitutionen voraussetzen (was ihr offensichtlich positiv ausgelegt wird), die andere jedoch vergleichsweise dunkelhäutig und arm, aber erfahren im umgang mit welfare-institutionen, was ihr negativ ausgelegt wird? und mich nicht falsch verstehen: wie bei allen anderen vergleichen der situationen kämpfender geht es mir um eine nivellierung der bedingungen nach oben.
wem gehört die welt: denen, die die unterschiedlichen herrschaftsverhältnisse (sexismus, rassismus, klassismus,…) so zu verschränken wissen, dass wir sie kaum entflochten bekommen, geschweige denn aufgehoben und eher in die gefahr geraten, über die völlig nebensächliche frage ihrer hierarchisierung zu streiten.
Ich finde es gut, darüber nachzudenken,welche Strategien dazu führen, dass in Deutschland erfolgreich die Vorstellung durchgesetzt werden konnte, die Krise sei vorbei. Dass Krisenbewältigungsstrategien neben autoritären Politiken gegen Muslime oder Erwerbslose auch mit einem patriarchalen Rollback zu tun haben können klingt logisch.
Aber nur weil die Debatten entsprechend funktionieren, sagt dies wenig über das Werden und Sein patriarchaler Strukturen aus. Auch müssten da wohl mehr Erklärungen über den Zusammenhang von Krise und den Vergewaltigungsfällen her als ein Comic.
Wieso der Artikel an der Frage, wem die Welt gehört, vorbeigehen soll, übersteigt allerdings meine Vorstellungskräfte. Vergewaltigungen, häusliche Gewalt, Tod durch häusliche Gewalt oder geschlechterspezifische Ungleichheiten müssen als gesellschaftsumfassendes soziales Problem thematisiert werden. Das gilt auch für den Strauss-Kahn- und den Kachelmann-Prozess, die für ihren Voyeurismus, die Verschwörungstheorien und den verkappten Umgang mit Sexismus unbedingt kritisiert werden müssen. Es ist genau richtig, dies im Zusammenhang mit der Frage “wem gehört die Welt?” hier an dieser Stelle zu tun. Wo sonst?
Eine Ebene beider Fälle spricht der Artikel jedoch nicht an: Wieso wird der Wahrheitsgehalt der Zeuginnenaussagen immer dann in Frage gestellt, wenn sie vor Gericht stehen und selbstbewusst auftreten?
Aus linker Perspektive stellt sich mir daran anschließend die Frage – ohne die Opferposition vergewaltigter Frauen relativieren zu wollen – wie das Bild offensiver Frauen mit kämpferischen Forderungen zu dem Bild vergewaltigter Frauen passt.
> der patriarchale rollback ist ein mittel zur durchsetzung
> finanzpolitischer interessen sowie zur ablenkung vom miesen
> krisenmanagement?
genau. auch.
> der obige text geht an den kernthemen dieses blogs vorbei,
> da jener ‘nur’ die frage stellt “wem gehören unsere körper?”,
> anstatt ökonomische themen im engen sinn zu behandeln?
nicht ganz, sondern:
der obige text trifft die kernthemen dieses blogs nur teilweise, da er zwar immerhin implizit die frage stellt “wem gehören unsere körper?”, aber weitere wichtige fragen, z.b. ökonomische themen im engeren sinne nicht einmal aufwirft.
> dass menschen auf die idee kommen, über die körper anderer
> komplett verfügen zu können, liegt allein am kapitalismus
> und kann nur durch dessen abschaffung geändert werden, nicht
> aber durch feministische und queere kämpfe gegen patriarchale
> herrschaftsverhältnisse und betonierte geschlechterrollen?
ich weiß nicht, wo das „allein“ und das „nur“ sich in deine lesart einschleichen. in meiner ergänzung finde ich sie jedenfalls nicht, bzw. eher das gegenteil, nämlich ein „nicht nur … sondern auch“. pluralität und verschränktheit der herrschaftsverhältnisse. ich empfehle zum weiterlesen z.b. „drei zu eins“ und die daran anschließende debatte um „dreifachunterdrückung“.
> vergewaltigung ist im grunde nur eine verschärfte form der
> herrschaft des kapitals über die arbeit?
nein, wo sag ich das denn? siehe oben.
@markus: vielleicht erklärst du deine ergänzung nochmal genauer? bei mir blieben die folgenden fragezeichen nach dem lesen deines kommentars:
der patriarchale rollback ist ein mittel zur durchsetzung finanzpolitischer interessen sowie zur ablenkung vom miesen krisenmanagement?
der obige text geht an den kernthemen dieses blogs vorbei, da jener ’nur‘ die frage stellt „wem gehören unsere körper?“, anstatt ökonomische themen im engen sinn zu behandeln?
dass menschen auf die idee kommen, über die körper anderer komplett verfügen zu können, liegt allein am kapitalismus und kann nur durch dessen abschaffung geändert werden, nicht aber durch feministische und queere kämpfe gegen patriarchale herrschaftsverhältnisse und betonierte geschlechterrollen? vergewaltigung ist im grunde nur eine verschärfte form der herrschaft des kapitals über die arbeit?
empörung über den medialen umgang mit dsk. einverstanden. aber ist es mit dem hinweis auf den patriarchalen rollback getan?
mir scheint der rollback an dieser stelle nicht ziel, sondern eher mittel. und die frage „mittel zu was?“ enthüllt dann auch die bezüge zu den kernthemen dieses blogs. da wären zunächst einmal die flügelkämpfe innerhalb der finanzpolitischen eliten um die „richtige“ strategie und taktik globaler währungs- und finanzpolitik. da wird dsk dann eben mittels affäre abgesetzt. dann die versuche, vom mehr schlechtem als rechtem „kriesenmanagement“, das im wirtschafts- und politikteil prominent abgehandelt und manchmal sogar kritisiert wird, abzulenken auf eine sexaffäre, deren berichterstattung tendeziell in richtung vermischtes geframed wird. Das bringt ein kleiner cartoon ganz schön auf den strich.
und schließlich wäre es interessant zu fragen, wie ein system zu demontieren ist, das die verteilung des gesellschaftlichen reichtums und des zugriffs auf die mittel zur reprodukion desselben so ungerrecht verteilt, dass strukturell und zwangsläufig immer wieder menschen (und eben nach wie vor meistens männer, aber das zu ändern geben sie sich ja auf seiten der macht tatsächlich ernstzunehmende mühe. auch das wäre zu kritisieren – ohne sich dabei plötzlich in einer reihe mit quotenkritikerinnen aus der cdu wiederzufinden) so mächtig werden, dass sie über andere meinen komplett verfügen zu können – und zwar nicht nur sexuell, sondern auch in der als ganz normal verharmlosten, täglichen dreckslohnarbeit.