Kritische Wissenschaft in der unternehmerischen Hochschule

Clemens Knobloch kritisiert in seinem absolut lesenswerten Buch „Wir sind doch nicht blöd! Die unternehmerische Hochschule“ die Implikationen und Paradoxien der neuen Macht-Architektur, welche die Hochschulreform der letzten Jahre kennzeichnen. Wie sieht sie Knobloch folgend also aus, „die Effizienz im Wanderland einer Universität, die nun endlich autonom und ohne staatliche Detailvorgaben operiert“? Als zentral beschreibt er einen Imperativ der Verdatung. Bevor ein Institut hinsichtlich seiner „Leistungsparameter“ gut da stehen kann, muss es gründlich vermessen werden. Bibliometrisch zum Beispiel, oder hinsichtlich eingeworbener Drittmittel. Knobloch beschreibt sehr anschaulich das permanente Qualitäts-Tribunal der Hochschullandschaft und die neu etablierte „Pädagogik der Rangliste“ (2010: 170). Die Botschaften, die sich mit dieser „Kontrollsemantik“ verbindet, ist klar. Erstens: Stelle dich dem Vergleich! Zweitens: Mobilisiere und optimiere dich – permanent!

Uli Brand beschreibt in seinem Artikel „Bedingungen und Möglichkeiten kritischer Wissenschaft“, was dieses neue Regime für Auswirkungen hat:

Ob wir die aktuelle Konstellation als Postfordismus, Neoliberalismus, Wissensgesellschaft oder anders bezeichnen und wie wir die aktuelle Krise auch einschätzen: Wir erleben eine enorme Aufwertung von empirisch-wissenschaftlichem und technologischem, insbesondere ökonomisch verwertbarem Wissen, die einhergeht mit der Ent- oder Abwertung anderer Wissensformen wie etwa des Erfahrungswissens oder auch von Reflexivität. Das hat Auswirkungen auf die institutionellen Formen wie Inhalte der Wissensproduktion.

Dazu kommt, dass das Wissenschaftssystem systematisch umgebaut wird. Hinter dem Leitbild eines „Europas des Wissens“ steht das Ziel, die EU zum weltweit wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Raum zu machen. Dieses Projekt wird von den meisten gesellschaftlichen Kräften getragen. In Forschung und Lehre an den Hochschulen nimmt damit die Orientierung an Wettbewerbsfähigkeit zu; das was Torsten Bultmann die „standortgerechte Dienstleistungshochschule“ nennt und was durch den weitgehend technokratischen Bolognaprozess abgesichert wird. Dies betrifft vor allem die Natur- und Technikwissenschaften, aber auch die Gesellschafts- und Geisteswissenschaften, allen voran die (Betriebs-)Wirtschaftwissenschaften. Hier spielen Kennzahlen wie eingeworbener Drittmittel, die Anzahl guter und sehr guter Studierender, Publikationen, impact-Faktoren u.a. eine Rolle. Dabei gibt es weiterhin große Unterschiede in den wissenschaftlichen Kulturen – das angelsächsische System als „Vorbild“ dieses Prozesses hat naturgemäß weniger Anpassungsbedarf – und politisch-institutionellen Settings.

Angesichts der „rankings mania“, so Bruno Frey in einer pointierten Analyse vom Oktober 2010, gehe es immer weniger um inhaltliche Substanz, sondern um einen quantitativ messbaren Output, nämlich Zitationen, mit dem eine Qualitätsvermutung einhergeht (Bruno S. Frey, „Withering Academia?“; www.cesifo-group.org). Diese Messungen haben Auswirkungen auf Berufungen, Forschungsgelder und die Evaluation von wissenschaftlichen Einrichtungen. Die Arbeitsteilung im wissenschaftlichen Produktionsprozess – Frey argumentiert vor dem Hintergrund der Wirtschaftswissenschaften – führe dazu, dass die genannten AutorInnen eines Textes gar keinen Überblick mehr darüber haben, was sie eigentlich publizieren. Und der verschärfte globale wissenschaftliche Wettbewerb erzeuge einen hohen Publikationsdruck, was Rückwirkungen auf die Wahl des Forschungsgegenstandes hat: Er muss rasch bearbeitbar und publizierbar sein, es wird auf bestehende Daten zurückgegriffen und jüngere WissenschaftlerInnen werden ganz taktisch zur Zusammenarbeit mit Etablierten angehalten, damit sie eher in hochrangigen Zeitschriften publizieren können.

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Weiterlesen analog:

  • Knobloch, Clemens (2010): Wir sind doch nicht blöd! Die unternehmerische Hochschule, Münster
  • Liessmann, Konrad Paul (2008): Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft, München/Zürich
  • Pongratz, Ludwig A. (2009): Bildung im Bermuda-Dreieck: Bologna – Lissabon – Berlin. Eine Kritik der Bildungsreform, Paderborn
  • Zeuner, Bodo (2007): Die Freie Universität Berlin vor dem Börsengang?  Bemerkungen zur Ökonomisierung der Wissenschaft, in: Prokla 148, S.325-350

 

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