Nach dem Wahlsieg von Schwarz-Gelb bei der Bundestagswahl ist die Gefahr einer raschen Privatisierung und Zerschlagung der bundeseigenen Deutschen Bahn (DB) wieder in greifbare Nähe gerückt. Jüngste Äußerungen aus Union und FDP verheißen für die Bahnpolitik nichts Gutes. So sprach sich der CDU-Verkehrspolitiker Dirk Fischer laut dem »Handelsblatt« für einen baldigen Verkauf der DB-Transportgesellschaften aus. FDP-Mann Patrick Döring möchte dies in den neuen Koalitionsvertrag aufnehmen.
Mit diesem Vorstoß handelten sich die Verkehrspolitiker des bürgerlichen Lagers Widerspruch vom Bahnmanagement ein. DB-Chef Rüdiger Grube warnte vor einer »Wertvernichtung des Unternehmens« durch überstürzte Aktienverkäufe. Für Grube ist der angestrebte Börsengang eine mittelfristige Option etwa ab 2013. Zuvor soll aber der durch Einbrüche im Güterbereich und das Berliner S-Bahn-Chaos angeschlagene Konzern saniert werden – auch mit Hilfe der am Dienstag angekündigten Preiserhöhungen im Personenverkehr. Die DB werde mehrere Jahre brauchen, um sich von den Folgen der Wirtschaftskrise zu erholen, so Grube im August.
Eine solche Gangart ist Union und FDP zu langsam. Die Liberalen möchten nun offenbar auch DB-Aufsichtsratschef Werner Müller rasch ablösen. Müller war von 1998 bis 2002 parteiloser Wirtschaftsminister im Kabinett von SPD-Kanzler Gerhard Schröder und bis 2008 Vorstandschef der Evonik Industries (vormals Ruhrkohle AG).
Der Dissens zwischen Schwarz-Gelb und Bahnmanagement spiegelt alte Interessengegensätze verschiedener Kapitalgruppen über den Weg zur Privatisierung wider. Grube möchte in der Tradition seines Vorgängers Mehdorn die DB als weltweit führenden »Global Player« festigen und kapitalkräftige Großanleger an Land ziehen, eventuell auch die Russische Eisenbahn RZD durch Aktientausch einbinden. Union und FDP hingegen setzen im Einklang mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie auf ein radikales Trennungsmodell nach britischem Vorbild. Dass auf der Insel heute eine Bevölkerungsmehrheit bis hinein ins bürgerliche Lager eine Wiedervereinheitlichung und -verstaatlichung des fragmentierten Eisenbahnwesens fordert, ist für sie ein Buch mit sieben Siegeln. Sie möchten offenbar ihnen nahestehende Unternehmen und Privatbahnen bedienen, die ein Auge auf profitable Teilbetriebe im DB-Konzern geworfen haben. Dazu soll das tendenziell defizitäre Schienennetz beim Bund belassen werden, die Transport- und Servicegesellschaften jedoch filetiert und verkauft werden.
Dieses Bestreben fördert auch der Bundestagsbeschluss vom Mai 2008, der den DB-Vorstand ermächtigte, bis zu 24,9 Prozent der Aktien der zur Privatisierung gegründeten Tochterholding DB Mobility Logistics AG zu veräußern. Unter deren Dach wurden die Transport- und Serviceunternehmen der Bahn zusammengefasst. Den für Oktober 2008 geplanten Börsengang hatte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) unter dem Eindruck der Finanzkrise kurzfristig abgeblasen. DB-Finanzvorstand Friedhelm Sack schließt indes den Einzelverkauf von Servicegesellschaften nicht aus.
Mit der SPD-Wahlschlappe endet für die DGB-Bahngewerkschaft Transnet eine Epoche der freundschaftlichen Kooperation mit SPD-Verkehrsministern, von Kritikern als »Schmusekurs« bezeichnet. Nun warnt der Transnet-Vorstand vor einem »blinden Privatisierungskurs«. Auf dem Gewerkschaftstag 2004 hatte der damalige Gewerkschaftschef Norbert Hansen unter starkem Applaus ausgerufen: »Wenn es notwendig wird, werden die Politiker, die die Zerschlagung des Eisenbahnsystems wollen, eben die Verantwortung dafür übernehmen müssen, wenn alle Züge in Deutschland stillstehen, bis solche Absichten beerdigt sind.« Ob solchen Worten Taten folgen, wird sich bald zeigen.
Quelle: ND 7.10.2009