Privatisierungsfolgen: Kölle Ground Zero

Kölle Ground ZeroBis 2002 hatte die Stadt Köln ein Amt für Brücken- und Stadtbahnbau, das wegen seiner Kompetenz bundesweit Ansehen genoss. Straff organisiert und mit kurzen Wegen, ist es fast vierzig Jahre lang für den U-Bahn-Bau zuständig gewesen – von der Bodenuntersuchung über die Entwurfsentwicklung und Ausschreibung bis zur Bauüberwachung und Bauunterhaltung. Dann beschloss der Rat, diese Aufgaben an die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB), eine Tochter des Stadtwerkekonzerns, zu übertragen. Das Amt sollte verschlankt und kostengünstiger werden. Immer mehr Leistungen wurden nach außen gegeben und bei privaten Ingenieurbüros eingekauft. Dienstleistungsrichtlinien traten in Kraft, nach denen auch Ingenieurleistungen für Großprojekte europaweit auszuschreiben sind und nicht das beste, sondern das „wirtschaftlichste“ Angebot angenommen werden muss.

Im Turmkeller des Kölner Rathauses hatte sich im Juli 2007 der Boden gesenkt. Um den Untergrund des Gebäudes zu prüfen, hätten Statiker Pläne studieren können, die seine Schichtung dokumentieren und im Historischen Archiv der Stadt aufbewahrt waren. Auch den Schreibtisch des Oberbürgermeisters hat, wie er beklagte, der U-Bahn-Bau schon wackeln lassen. Der Nachlass des Architekten Karl Band, der das Rathaus in den sechziger Jahren wieder aufgebaut und erweitert hat, aber lässt sich nicht mehr befragen. Seit dem 3. März liegt er in Schutt und Trümmern.

Die kleinen Erschütterungen haben mit der großen Erschütterung zu tun, die Köln an diesem Tag traf: Der Einsturz des Historischen Archivs hat zwei junge Männer in den Tod gerissen, viele Menschen obdachlos gemacht, ein ganzes Viertel in Angst versetzt und Schriftgut aus eintausend Jahren vernichtet. Und sie beleuchten am Detail, wie beides zusammenhängt: dass die Katastrophe die Stadt um ihr Gedächtnis und damit auch um Sicherheit, zumal ihre Selbstsicherheit, gebracht hat.

Mit der kölschen Lebensart ist es erst einmal vorbei. Ihr sprichwörtliches Grundgesetz gilt nicht mehr: „Es hätt noch immer jotjejange.“ Der Schock sitzt tief. Die alte Colonia ist angeschlagen. Das Desaster wird in Köln als Zäsur erfahren. Schon früh wurde, für das selbstverliebte Gemeinwesen geradezu ketzerisch, die Frage gestellt, ob die Tragödie typisch sei für Köln. Wo doch die Leichtfertigkeit die böse Schwester der Leichtigkeit, der Schlendrian die Kehrseite der Selbstzufriedenheit und der Kölner nicht nur lässig, sondern manchmal eben auch fahrlässig sei. Alles eine Frage der Mentalität?

Schon weniger bereitwillig wird dem Zusammenhang von Klüngel und Korruption nachgegangen. Da funktionieren die eingespielten Entlastungsmuster: So war sich Oberbürgermeister Fritz Schramma, der als Krisenmanager völlig überfordert wirkt, nicht zu schade, herauszustellen, dass die zuständige technische Bauaufsichtsbehörde ja in Düsseldorf sitze.

Etwas mehr Selbstkritik wäre angebracht. Schon länger ist zu beobachten, dass sich in Köln Geschichtsvergessenheit breitmacht. In der wüsten Zerschneidung der Innenstadt durch Verkehrsschneisen hat sie sich geradeso manifestiert, wie sie sich in unseligen Debatten darüber austobte, das Opernhaus abzureißen oder dem Dom Hochhäuser gegenüberzustellen. Zwar hält sich Colonia Claudia Ara Agrippinensium auf ihre mehr als zweitausendjährige Geschichte viel zugute, doch der Stolz ist pauschal und hohl geworden.

Selbst darüber, welche Bauverfahren der hiesige Boden zulässt, scheint es, wie das Unglück dramatisch vor Augen führt, keine hinreichend gesicherten Kenntnisse zu geben. Die Stadt und ihre politische Kaste sind sich der historischen Bedeutung Kölns nicht mehr bewusst. Insofern lässt sich die Verwüstung des Historischen Archivs auch als Heimsuchung verstehen, die die vielen Versäumnisse der Vergangenheit mit alttestamentarischer Wucht vollendet.

Der Versuch, das Unglück mit typisch kölschen Nachlässigkeiten zu erklären, hat aber – nicht nur, weil er das Klischee bedient – etwas auf falsche Weise Beruhigendes, übersieht er doch die strukturellen Veränderungen, die seit einiger Zeit im Zuge von Deregulierung und Outsourcing gesellschaftspolitisch angesagt sind. Auch dafür gibt Köln ein Beispiel.

Organisierte Unverantwortlichkeit in allen Städten
Bis 2002 hatte die Stadt ein Amt für Brücken- und Stadtbahnbau, das wegen seiner Kompetenz bundesweit Ansehen genoss. Straff organisiert und mit kurzen Wegen, ist es fast vierzig Jahre lang für den U-Bahn-Bau zuständig gewesen – von der Bodenuntersuchung über die Entwurfsentwicklung und Ausschreibung bis zur Bauüberwachung und Bauunterhaltung.

Dann beschloss der Rat, diese Aufgaben an die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB), eine Tochter des Stadtwerkekonzerns, zu übertragen. Das Amt sollte verschlankt und kostengünstiger werden. Immer mehr Leistungen wurden nach außen gegeben und bei privaten Ingenieurbüros eingekauft. Dienstleistungsrichtlinien traten in Kraft, nach denen auch Ingenieurleistungen für Großprojekte europaweit auszuschreiben sind und nicht das beste, sondern das „wirtschaftlichste“ Angebot angenommen werden muss.

Wo vordem Ingenieure die Richtung angaben, haben inzwischen Kaufleute, Juristen und Betriebswirtschaftler das Sagen. Arbeitsabläufe wurden zerlegt, verschachtelt, verrechtlicht und privatisiert, Verantwortungen delegiert und tendenziell anonymisiert. Würde dieses System in der Seefahrt eingeführt, könnte kein Schiff mehr auslaufen. Dort sind Kapitäne gefragt.

Das Kompetenzgewirr bildet sich noch in dem hilflosen Gerangel ab, mit dem nun die Zuständigkeiten und die Verantwortlichen für die Unglücksbaustelle ermittelt werden: ein Schwarzer-Peter-Spiel mit wechselseitigen Schuldzuweisungen, das als „organisierte Unverantwortlichkeit“ treffend charakterisiert ist.

Mit seinem Klüngel mag Köln für solche Verschiebungen, die auch finanziell lukrativ sind, besonders anfällig sein. Doch dieser Strukturwandel findet auch in anderen Städten und Verwaltungen statt. Grundsätzliche Fragen, die die Kölner Katastrophe aufwirft, stellen sich über Köln hinaus.

Quelle: F.A.Z. 23. März 2009, Einsturz Stadtarchiv. Typisch Köln? Andreas Rossmann

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