Kommunen in der Finanzkrise

privatisiertes.jpgEtliche deutsche Städte wollten mit US-amerikanischen Investoren und auf dem Weg dubioser Steuertricks ihre Kassen aufbessern. Jetzt hängt ihnen ein teurer Klotz am Bein.

Werner Rügemer in ver.di publik 12Sie gaben sich clever und fürsorglich, die Kämmerer und Oberbürgermeister deutscher und europäischer Städte. Sie verkauften Klärwerke, Kanal- und Trinkwassernetze, Müllverbrennungsöfen, Messehallen und Straßenbahnen an US-amerikanische Investoren. Diese sollten dafür in den USA millionenschwere Steuervorteile erhalten, und davon gaben sie den Städten ein hübsches Sümmchen ab. Je nach Wert der Anlage betrug dieser „Barwertvorteil“ zwischen drei und 20 Millionen Euro. Großstädte wie Köln, Stuttgart und Düsseldorf schlossen gleich vier oder fünf solcher Verträge ab, Leipzig sogar sieben. Die Anlagen werden mithilfe der Kaufsumme gleich- zeitig zurückgemietet. Die Investoren und ihre Berater versprachen, dass sich eigentlich nichts ändert. Die Städte sind weiter für den Betrieb verantwortlich wie bisher. Es gehe nur um die Ausnutzung eines Steuertricks.

Ein Angebot, das man nicht ablehnen konnte?

Für diese scheinbar leicht verdiente Aufbesserung der überschuldeten Haushalte drückten die Verantwortlichen damals alle Augen zu. Sie unterschrieben in New York tausendseitige Verträge, die höchstens teilweise ins Deutsche übersetzt wurden. Die Stadt- und Verbandsräte bekamen in nichtöffentlichen Sitzungen nur knappe Zusammenfassungen zu sehen, in denen häufig sogar auf Wunsch des Investors dessen Name unerwähnt blieb. Dass die Verträge 100 Jahre laufen und frühestens nach 30 Jahren gekündigt werden können, wurde nebenbei erwähnt. Ja, es gebe auch Risiken, die seien aber „theoretisch“ und auf jeden Fall „beherrschbar“ – so lautete die Standardformel.

Zwischen 1995 und 2003 ließen sich etwa 100 Städte und öffentliche Unternehmen in Deutschland auf solche Verträge ein, in Westeuropa waren es insgesamt etwa 500. Paris verkaufte die Metro, niederländische Gasnetze und die Tiroler Wasserkraftwerke gingen über den großen Teich. Übrigens haben nicht nur Kommunen solche Transaktionen getätigt: So verkaufte auch das Verkehrsministerium die Hard- und Software in den Towers der Deutsche Flugsicherung GmbH an geheim gehaltene US-Investoren, die Deutsche Bahn verkaufte ICE-Züge, die Deutsche Post verkaufte Briefverteilzentren.

Die eigentlichen Akteure und Profiteure sind jedoch andere: die Banken. Der Barwertvorteil für die Stadt und die Steuervorteile für die Investoren waren nur das Vehikel, damit ein riesiger 30-jähriger Kapitalkreislauf zwischen mehreren Banken in Gang kam. Deshalb zeigt sich in der Finanzkrise, dass die Risiken keineswegs nur „theoretisch“ sind.

Die Investoren hatten, wie es heute üblich ist, kaum Eigenkapital. 85 Prozent der jeweiligen Kaufsumme, die zwischen 100 Millionen und 1,6 Milliarden US-Dollar betrug, liehen sie sich von Banken. Die haben 30 Jahre lang hübsche Zinseinnahmen.

Haftung der öffentlichen Hand

Die Städte bekamen am ersten Tag ihre Mitmachprämie ausgezahlt – vier Prozent der Kaufsumme. Aber den gesamten Rest haben sie nie gesehen, er wurde sofort durchgereicht an drei weitere Banken, „Erfüllungs-Übernahme-Banken“ genannt. Mit ihnen schlossen die Städte Verträge über die Verwaltung der Kaufsumme. Zwei dieser Banken sollen für die Stadt 30 Jahre lang die Leasingraten an den Investor bezahlen, eine Bank („Depotbank“) soll nach 30 Jahren den Rückkaufpreis bereitstellen, damit die Stadt ihre Anlage wiederbekommt. Diese drei Banken bekamen somit eine Art kostenlosen Kredit. Der hat zudem den besonderen Charme der staatlichen Haftung: Wenn die Banken in Schwierigkeiten kommen oder gar in Konkurs gehen, so bleibt die Stadt letztlich zahlungspflichtig.

Um die angeblich nur theoretischen Risiken „beherrschbar“ zu machen, sind die Städte verpflichtet, beim Absinken der Zahlungsfähigkeit der Banken („Rating“) eine neue Bank zu suchen. Dutzende Städte suchen gegenwärtig über öffentliche Ausschreibungen neue Banken. Ein Bankwechsel kostet schon mal zwei oder vier Millionen Euro. Und weil Anwaltskanzleien hinzugezogen werden, fällt für die auch noch ein Honorar an, dessen Höhe bei 100000 Euro überhaupt erst anfängt.

Wenn ein Bankwechsel nicht gelingt, muss die öffentliche Hand andere Sicherheiten bieten. So musste jetzt das Land Berlin für die Berliner Verkehrsbetriebe BVG – sie hat U-Bahnen verkauft – eine Rückstellung in Höhe von 157 Millionen Euro vornehmen. Die Bodensee- und die Landeswasserversorgung Baden-Württemberg – sie haben ihre Trinkwasseranlagen verkauft – müssen für etwa 50 Millionen Euro US-Schatzanweisungen kaufen. Für die Beratung berechnet die Kanzlei Clifford Chance 900000 Euro. In derselben Verbandssitzung wurde deshalb auch beschlossen, die Wasserpreise für sieben Millionen Bürger zu erhöhen.

Die Städte mussten eine Versicherung abschließen. Die meisten gingen zum größten Versicherungskonzern der Welt, American International Group (AIG). Da der besonders viele spekulative Finanzgeschäfte gemacht hat und von der US-Regierung mit bisher über 100 Milliarden Dollar vor dem Konkurs gerettet wird, ist sein Rating ebenfalls gesunken. Auch hier ist vereinbart, dass die Städte dann eine neue Versicherung abschließen müssen oder eigene Sicherheiten leisten müssen. Und auch dafür werden teure juristische Berater engagiert …

Arrangeure und Berater

Eingefädelt wurden die Verträge durch einen „Arrangeur“. Häufig waren das die Deutsche Bank oder debis, die Finanztochter von DaimlerChrysler. Auch öffentliche Banken spielten Arrangeur: die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und die Landesbanken – SachsenLB, WestLB, NordLB, Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Häufig sind sie auch die Darlehensbanken für den Investor und die Erfüllungs-Übernahme- Banken für die Städte.

Die Arrangeure brachten als Berater meist große Wirtschaftskanzleien wie Freshfields, Allen & Overy und Clifford Chance mit. Sie spielten die Risiken herunter. So bestätigte etwa Allen & Overy dem Amt für Stadtentwässerung Dresden, dass eine Information des Stadtrats über das Risiko des vollständigen Verlusts der Anlage „nicht erforderlich“ sei, „weil ein solcher Verlust bei ordnungsgemäßem Vertragsverlauf nicht möglich ist“. Auch der Hinweis darauf, dass die Verträge 100 Jahre laufen, sei „nicht erforderlich“, weil dies durch den Ausdruck „langfristig“ bereits „eindeutig zum Ausdruck gebracht ist“.

Der Arrangeur erhielt von der Stadt ein Honorar. Gleichzeitig erhielt er noch ein viel höheres Honorar vom Investor. So wurde etwa bekannt, dass der Investor beim Deal der Abfallwirtschaftsbetriebe Wuppertal (AWG) dem Arrangeur und den Anwälten zusammen 4,9 Millionen Dollar zahlte. Zu diesem privatwirtschaftlichen Filz gehörte auch die „politische Landschaftspflege“. So spendeten etwa die Vertragspartner beim Klärwerksdeal in Dresden 190000 Euro für die Dresdner Frauenkirche und 190000 Euro für die Synagoge.

US-GERICHTE

Steuervorteil ist rechtswidrig

Cross Border Leasing ist eine „strukturierte Finanzierung“ wie andere „Finanzprodukte“, die zur Finanzkrise geführt haben. Die Banken organisieren untereinander einen zirkulären und lukrativen Geldkreislauf. Die Darlehen und Rückzahlungen werden in Briefkastenfirmen („Zweckgesellschaft“) in Finanzoasen versteckt und aus der Unternehmensbilanz ausgelagert. Auch Cross Border Leasing wurde als Investition bezeichnet. Obwohl es keine Realinvestition ist, soll der US-Staat sie durch Steuervorteile fördern, der europäische Staat soll haften. Dabei entsteht kein einziger Arbeitsplatz, der „Investor“ kümmert sich nicht im geringsten um sein gekauftes Objekt.

2008 urteilten Gerichte in den USA, dass die Investoren, meist Banken wie die Citigroup und First Union, den Eigentumserwerb nur vorgetäuscht haben. Deshalb stehe ihnen kein Steuervorteil zu. Die US-Steuerbehörde Internal Revenue Service (IRS) forderte Mitte dieses Jahres die etwa 100 Investoren auf, ihre Verträge bis 31.Dezember 2008 zu beenden. Andernfalls werden sie für beendet erklärt. Im Oktober teilte der IRS mit, dass bereits 80 Prozent der Investoren einem Vergleich zugestimmt haben: Für 2007 erhalten sie noch 20 Prozent des beantragten Steuervorteils, müssen keine Strafe zahlen und nehmen Cross Border Leasing ab 2008 aus ihren Steuererklärungen heraus.

Der steuerliche Ausstieg führt aber noch tiefer in die Finanzkrise. Denn unabhängig vom Steuerproblem laufen die Verträge der Investoren mit ihren Darlehensbanken noch 20 bis 25 Jahre, ebenso die Verträge der Städte mit ihren jeweils drei Erfüllungs-Übernahme-Banken. Die pochen darauf, dass die Verträge erfüllt werden. Wenn es aus dieser absurden Situation keinen politischen Ausstieg gibt, hängt nicht nur den Kommunen, sondern auch dem Gesamtstaat und somit allen Steuerpflichtigen noch zwei Jahrzehnte lang ein teurer Klotz am Bein.

http://publik.verdi.de/2008/ausgabe_12/gewerkschaft/brennpunkt/seite_3/A0

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