Milde Verstaatlichung gegen Hypothekenbankenkrise in USA

Die FAZ-Sonntagsausgabe berichtet unter dem Titel „Privatisierung reverse – Milde Verstaatlichung der größten US-Hypothekenbanken. Amerika rettet Fannie und Freddie aus höchster Not“ am 6./7. September 08 über die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Krise der Hypothekenbanken in den USA.

Selten wird Top-Managern ihre Kündigung vom Finanzministerium überbracht. Doch am vergangenen Freitag war es so weit. Der amerikanische Finanzminister Henry Paulson und der Notenbankchef Ben Bernanke liefen persönlich auf, um den Chefs der beiden amerikanischen Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac, Daniel Mudd und Richard Syron, ihren Rauswurf zu verkünden.

Die beiden hatten einen der bekanntesten Anwälte der Finanzwelt mitgebracht. Doch das hat ihnen nichts genützt. Sie werden gehen müssen. Denn die amerikanische Regierung plant nichts Geringeres als die Komplettübernahme der beiden Hypotheken-Giganten.

Das ist nicht nur eine Zäsur für die amerikanische Finanzwelt. Es ist eine Zäsur für das ganze Land, das dafür bekannt ist, im Zweifel darauf zu vertrauen, dass der freie Markt und der Wettbewerb es schon richten werden. In diesem Sinne waren die einst staatlichen Organisationen Fannie Mae und Freddie Mac auch vor Jahrzehnten privatisiert worden. Jetzt dreht die amerikanische Regierung die Zeit zurück. Sie will die Giganten wieder verstaatlichen – um damit die schwere Finanzkrise in den Griff zu bekommen. Sie bringt Fannie und Freddie wieder unter ihre Kontrolle. Anders weiß sich die größte Volkswirtschaft der Welt nicht mehr zu helfen.

Fannie und Freddie müssen vor dem Untergang bewahrt werden, weil die amerikanische Ökonomie insgesamt in Gefahr ist. Die beiden Institute stützen fast die Hälfte des amerikanischen Immobiliengeschäfts. Und das ist in arge Turbulenzen geraten, ein Ende der Finanzkrise ist nicht absehbar: Erst am vergangenen Freitag ging in Amerika die elfte Bank in diesem Jahr pleite.

Offiziell ist dies alles zwar noch nicht. Öffentlich äußert sich niemand. Doch am heutigen Sonntag wird es Neuigkeiten geben. Klar scheint bisher nur, dass Fannie und Freddie nun erst mal von einem Verwalter übernommen werden sollen.

Fannie und Freddie konnten ihre Verluste nicht reduzieren Noch bevor in Asien die Märkte wieder öffnen, soll die Öffentlichkeit informiert werden. Ein Ziel: die internationalen Märkte zu beruhigen, denn die Auswirkungen der Schieflage der Hypothekenfinanzierer auf das Weltfinanzsystem sind enorm. Besonders viele asiatische Regierungen sind in Anleihen von Fannie und Freddie investiert.

Zurückhaltung des Staates wurde an der Wall Street immer großgeschrieben

Die Übernahme durch den Staat ist ein Einschnitt in das amerikanische Finanzsystem: Freiheit, die Zurückhaltung des Staates – das wurde an der Wall Street immer großgeschrieben. Mit dem freien Spiel der Kräfte ist Amerikas Volkswirtschaft groß und stark geworden und hat Anleger aus allen Teilen der Welt angezogen. Doch mit der Finanz- und Immobilienkrise ändert sich alles. Der Staat greift ein. Es ist eine der größten Rettungsaktionen der jüngeren Geschichte.

Ihre Folgen sind für den amerikanischen Steuerzahler noch gar nicht absehbar. Es werden wohl viele Milliarden Dollar sein, die die Rettung verschlingt. Die Bush-Regierung erlaubte jüngst schon Finanzspritzen in Milliardenhöhe an die beiden Institute.

Die Hilfe kommt nicht unerwartet: Fannie und Freddie stehen mit einem Volumen von mehr als fünf Billionen Dollar hinter jedem zweiten amerikanischen Hauskredit. Damit ist ihre Bedeutung für die Gesamtwirtschaft offensichtlich.

Die beiden Institute sind außerdem durch ihre Geschichte mit dem Staat verbandelt: Fannie Mae wurde 1938 gegründet, als Teil des New-Deal-Plans von Präsident Franklin D. Roosevelt. Später, 1968, wurde Fannie wieder von der Regierung getrennt. Amerikas Bürger konnten auch direkt in Fannie-Aktien investieren. Freddie Mac wurde 1970 gegründet – auch um den Wettbewerb mit Fannie anzutreiben (siehe Text rechts). All die Jahre galt, dass der Staat den Instituten im Zweifel zumindest zu Hilfe eilen würde.

Mittlerweile haben die beiden Institute enorme Verluste zu verbuchen: In den vergangenen vier Quartalen allein waren es 15 Milliarden Dollar, die Aktienkurse brachen ein. Und die Finanzkrise – der Auslöser des Debakels um Fannie und Freddie – scheint noch lange nicht überstanden, obwohl die amerikanische Notenbank versucht, sie zu lindern. Sie versorgt die Märkte mit billigem Geld. Zuletzt kam es sogar zum Notverkauf der traditionsreichen amerikanischen Investmentbank Bear Stearns an den Finanzkonzern JP Morgan Chase.

Für Fannie und Freddie deutete sich in den vergangenen Wochen schon an, dass der Staat einspringen würde. Finanzminister Paulson hatte Banker angeheuert, um zu beraten, wie Steuergelder eingesetzt werden könnten, um die Unternehmen zu retten. Seit Monaten diskutiert die Finanzelite in Amerika, ob Fannie und Freddie überhaupt noch in der Lage sind, ihre Probleme selbst zu lösen.

Nun hat sich die Regierung offenbar für die Rettung entschieden. Denn Fannie und Freddie konnten ihre Verluste nicht reduzieren. Und es wird für sie immer schwieriger, neues Kapital aufzunehmen.

Viele Details sind noch offen

Damit ist Paulson am Zuge. Er soll den Finanzmarkt stabilisieren, das Hypothekengeschäft aus der Krise manövrieren und versuchen, hohe Verluste für die Steuerzahler zu vermeiden. Gleichzeitig wird er von den Eignern der von Fannie und Freddie garantieren Wertpapiere im Wert von mehreren Billionen Dollar unter Druck gesetzt. Die Papiere werden von ausländischen Notenbanken, von Investmentfonds und von anderen Banken rund um die Welt gehalten. Sie verlangen Beteuerungen, dass die amerikanische Regierung eine Rettung von Fannie und Freddie ernst nimmt. Die bekommen sie auch. Denn ausländische Investoren haben ihre Investitionen in Anleihen von Fannie und Freddie schon deutlich reduziert. Die Flucht aus den Papieren gilt es jetzt zu stoppen.

Das hat die Regierung vor. Doch viele Details sind noch offen, so etwa, ob die Institute irgendwann wieder unabhängig werden und wer wird sie bis dahin führen wird. Umstritten sind auch die Folgen für den amerikanischen Staat. Einige Fachleute warnten schon, dass er bald als schlechter Schuldner gelten werde und höhere Zinsen zahlen müsse. Andere wiesen das als übertrieben zurück.

Was sich jetzt schon abzeichnet, ist, dass die Aktionäre von Fannie und Freddie die Verlierer der Rettungsaktion sein werden. Fannie notierte vor einem Jahr noch bei 70 Dollar, nun bei fünf Dollar. Bei Freddie waren es einmal 65 Dollar, inzwischen sind es vier Dollar. Das könnte noch schlimmer werden. Die Anleger müssen fürchten, dass ihre Anteilsscheine bald noch mehr an Wert verlieren.

Von Tim Höfinghoff, Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 7.09.08

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