USA: Abschaffung von Studiengebühren für Arme

Mit ihren neuen „Regelungen steuern die Universitäten [in den USA] auch gegen den Trend, dass aufgrund der aktuellen Finanzkrise der Anteil verhältnismäßig dummer Studenten aus reichen Familien zu stark ansteigt, weil sich das Kleinbürgertum die Studiengebühren nicht mehr leisten kann.“ Quelle: Stanford und Starnberg, telepolis

Während die Studienbedingungen in Deutschland ungerechter werden, gibt es in den USA einen gegenläufigen Trend: Seit mittlerweile mehr als 20 Jahren predigen Feuilleton, Politik und interessierte Wirtschaftskreise die angebliche Notwendigkeit von Studiengebühren mit Hinweisen auf die Situation in den USA, wo es angeblich an den hohen Studiengebühren liegt, dass Forschung und Lehre so vermeintlich viel besser sind.
Bei den steten Verweisen auf die Leistungsfähigkeit und Fiskalunabhängigkeit der amerikanischen Universitäten bleibt jedoch unberücksichtigt, dass unter anderem durch Regelungen wie die Morrill Land Grant Acts die Bildungseinrichtungen massenhaft Filetgrundstücke als Vermögen zugeteilt bekamen. Wollte man also tatsächlich deutsche mit amerikanischen Universitäten vergleichen, dann müsste man erst der Münchner Universität einen Großteil der Grundstücke im Landkreis Starnberg schenken und den jetzt dort ansässigen Bewohnern als Entschädigung die Umsiedlung in ein Reservat anbieten. Mit den daraus resultierenden Mieteinnahmen könnte die Bildungseinrichtung wahrscheinlich nicht nur auf Studiengebühren für Sprösslinge von Normalverdienern, sondern auch auf jegliche staatliche Förderung verzichten.
Denn viele amerikanische Universitäten verfügen über so viel Grund- beziehungsweise Stiftungsvermögen, dass sie schon bisher relativ flächendeckend Stipendien vergeben, welche nicht nur die Studiengebühren, sondern auch die Lebenshaltungskosten vieler Studenten weitgehend deckten. Während nur ein sehr kleiner Teil der Studenten ein Stipendium erhält, kann in den USA grundsätzlich mit finanzieller Unterstützung rechnen, wer etwa deutsche Abiturkenntnisse erreicht hat und sich bei der Auswahl seiner Wunschbildungsstätte nicht zu sehr auf bestimmte Namen festlegt.
In Deutschland wird der Großteil der Stipendien nicht von den Universitäten, sondern von den Parteien vergeben – weitgehend nach eigenem Gutdünken. Allerdings stammen die Gelder dafür nicht aus den Parteikassen, sondern aus dem Bundeshaushalt. Bei den kleineren Stiftungen, die ihr Geld nicht vom Staat beziehen und nur sehr wenige Stipendien vergeben, sind diese häufig an bizarr erscheinende Voraussetzungen geknüpft, wie etwa die, dass es sich bei den Bewerbern um Arztwaisen aus bestimmten Kleinstädten handeln muss.
Während in Deutschland die Studiengebühren nur einem relativ kleinen Teil von Geringverdienerabkömmlingen erlassen werden und vor allem den Mittelstand belasten, streicht die kalifornische Eliteuniversität Stanford, die sich vor allem durch ihre Leistungen bei den Natur- und Ingenieurswissenschaften einen Namen machte, ab nächsten Herbst die Studiengebühren für alle Studenten, deren Familieneinkommen unter 100.000 Dollar liegt.
Liegt das Familieneinkommen gar unter 60.000 Dollar verzichtet die Universität auch auf die 11.182 Dollar für Kost und Logis, die, verglichen mit den Lebenshaltungskosten in einer deutschen Großstadt wie München, ohnehin wie ein Schnäppchen wirken – selbst wenn man berücksichtigt, dass Studenten dafür das Risiko eingehen, mit Crunk-Hörern ein Zimmer teilen zu müssen.
Stanford folgt mit dem Schritt dem großen Rivalen Harvard, der sich vor zwei Monaten darauf festgelegt hatte, dass die Gebühren für Studenten mit einem Familieneinkommen bis zu 180.000 Dollar auf 10% des Jahreseinkommens begrenzt werden. Einen Monat später folgte Yale mit der Ankündigung, die Zuwendungen an Studenten mit einem Familieneinkommen unter 200.000 Dollar um ein Drittel zu erhöhen. Andere Hochschulen, wie etwa die Washington University in St. Louis, wandelten bestehende Darlehensangebote in Stipendien um.
Mit den Regelungen steuern die Universitäten auch gegen den Trend, dass aufgrund der aktuellen Finanzkrise der Anteil verhältnismäßig dummer Studenten aus reichen Familien zu stark ansteigt, weil sich das Kleinbürgertum die Studiengebühren nicht mehr leisten kann. Studenten, deren Familieneinkommen über 100.000 Dollar liegt, bittet Stanford so kräftig zur Kasse, dass man in Deutschland wahrscheinlich von einer „Reichensteuer“ sprechen würde: Ab nächsten Herbst zahlen begüterte Bachelorstudenten jährlich 36.030 Dollar für das bloße Studium.
Der Nachteil an der Sache ist, dass amerikanische Abschlusszeugnisse aufgrund dieses Systems nur in Verbindung mit einem Lebenslauf aufschlussreich sind, der auch über das Familieneinkommen Aufschluss gibt – weil es starke Anreize gibt, dass Sprösslinge reicher Eltern entweder aus finanziellen Gründen oder durch alte Netzwerke aufgenommen und gnadendiplomiert werden. Nicht nur wegen der Studiengebühren, sondern auch wegen der Spenden der Eltern. Diese betrugen allein im letzten Jahr etwa 30 Milliarden Dollar. Einen weiteren Nachteil dieses Systems, der ebenfalls mit der Werbung für Spenden zusammenhängt, schilderte Tom Wolfe ausgesprochen eindrucksvoll in seinem Klassiker „I am Charlotte Simmons“: Sportstipendien, welche im besten Fall eine studentische Parallelgesellschaft entstehen lassen und im schlimmsten das Niveau ganzer Fachbereiche drücken.
Peter Mühlbauer, 23.02.2008

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