aus: Analyse & Kritik 525, vom 15.02.08, Seite 7
Gaz de France hatte bereits den Zuschlag für 49 Prozent an den Leipziger Stadtwerken erhalten. Doch wie so oft drohte aus Sicht der Privatisierungsgegner, dass die kurzfristige Entlastung schon nach kurzer Zeit verpufft, die Einnahmen aus den profitablen Stadtwerken wegfallen und damit auch die übliche ‚Quersubventionierung‘ anderer sozialer Dienstleistungen. Zur Finanzierung letzterer werden dann neue Schulden aufgenommen – beispielsweise in Dresden. Häufig fallen später weitere Zusatzkosten an, etwa durch vertragliche vereinbarte Mindestrenditen, steigende Preise und anderes. Nun haben beim von Anti-Privatisierungskampagnen erzwungenen Volksentscheid 87 Prozent gegen den Verkauf städtischer Unternehmen gestimmt. Der Stadt entgehen 520 Mio. Euro und der Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) erklärt, er sei enttäuscht von seinen Bürgern. Jetzt könne der Haushalt nicht durch Schuldenabbau von den erdrückenden Zinsforderungen entlastet werden, was notwendig andere Einsparungen zur Folge hätte.
Liberalisierung, Deregulierung, Privatisierung – der Dreiklang neoliberaler Modernisierung, er zieht nicht mehr richtig. Die Enteignung und Inwertsetzung gesellschaftlichen Eigentums war dabei wesentliches Element zur Erschließung neuer Anlagesphären für überschüssiges Kapital, private Bereicherung und Akkumulation von Macht. Angesichts der Folgen dieser Aneignungpolitiken – Ausdünnung öffentlicher Beschäftigung, Umwandlung von regulären in prekäre Arbeitsverhältnisse, Verteuerung notwendiger ehemals erschwinglicher öffentlicher Dienstleistungen, Einschränkung sozialer Rechte und demokratischer Entscheidungsmöglichkeiten – als Preis für z.T. bessere und ‚effizientere‘ Leistungen für die, die es sich leisten können, wird der Ruf nach Schutz vor intensivierter Konkurrenz, nach Regulierung, staatlicher Kontrolle laut. Insbesondere der Ausverkauf des Öffentlichen stößt mittlerweile auf wachsenden Protest. Eine vor wenigen Monaten von der Zeit in Auftrag gegebene Umfrage ergab, dass 67 Prozent der Befragten Unternehmen wie die Deutsche Bahn und die Energieversorgung in staatlicher Hand lassen wollen. Nicht nur für die traditionelle Linke, auch für Konservative überall in Europa wird statt der Freiheit privater Eigentümer zur Sicherung der allgemeinen Reproduktionsbedingungen der „Staat wieder chic“, jammert die FAZ (5.8.07, 32). Aber „nein, nicht die Privatisierung ist falsch“, klagt der Neoliberale, es wurde „nur manchmal falsch privatisiert“ (ebd.). Der Ton ist defensiv, gedämpft, voller Unverständnis.
Ablehnung von Privatisierung – Affirmation privater Effizienz
Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa vom Januar 2008 zufolge befürworten nur noch 47% der Bevölkerung die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Die Erfahrungen mit Privatisierungen werden von 52% als eher schlecht bezeichnet. „Weitere Privatisierungen werden immer kritischer gesehen.“ Die generelle Akzeptanz ist gegenüber den 1990er Jahren deutlich zurück gegangen. Zugleich glauben aber 80% der Bevölkerung, der Staat arbeite schwerfälliger als private Anbieter; 71% denken, private Unternehmen seien leistungsfähiger, billiger (61%) und außerdem freundlicher (58%). Und dies, obwohl es den Privaten nur um hohe Gewinne gehe (74%).
Dies verweist nicht nur auf die Persistenz der Privatisierungsideologie, sondern zugleich auf einen „bizarr“ zusammengesetzten Alltagsverstand (Gramsci): Denn obwohl die Mehrheit glaubt, private Unternehmen seien billiger und leistungsfähiger, denkt die Mehrheit zugleich, sie erhöhten unkontrolliert die Preise (68%) und nur der Staat garantiere eine flächendeckende Versorgung (58)%, angemessene Preise (52%) und die Sicherung der Qualität der Dienste (49%).
Dieser bizarre Alltagsverstand spiegelt keineswegs irrationale Vorstellungen, sondern widersprüchliche Erfahrungen: Einst fand die Politik der Privatisierung breite Unterstützung, weil sie die Wiederherstellung von Effizienz angesichts des maroden Zustandes vieler öffentlicher Einrichtungen versprach, ebenso wie Kosten- und damit Preissenkungen, eine neue Wahlfreiheit der Konsumenten durch Vielfalt der Anbieter und Produkte, sowie die Lösung der öffentlichen Haushaltskrisen durch Veräußerungsgewinne. Nach 20 Jahren Erfahrung mit privatisierten Dienstleistungen zeigt sich: Die Versprechen wurden nicht eingehalten. Die Ausdünnung von Dienstleitungen hat die Rede der Effizienzgewinne durch Private als Mythos entlarvt; statt Kostensenkung gibt es höhere Preise bei Energie, Gas, Wasser, Gesundheit; die neue Wahlfreiheit wird als intransparentes Tarifchaos erlebt, hinter dem doch nur einige wenige, z.T. oligopolistisch organisierte Anbieter stehen; und auch die Krise der öffentlichen Finanzen wurde nur in Einzelfällen kurzfristig durch Privatisierungserlöse gelindert, in der Regel führt der Verkauf des ‚Tafelsilbers‘ insbesondere in den Kommunen zu langfristigen Einnahmeausfällen bzw. hohen Folgekosten. Allzu häufig beförderte Privatisierung massiv die Korruption. Die dürre Wirklichkeit führt zu einer neuen ‚Privatisierungs-Verdrossenheit‘, belebt zugleich politisches Engagement dagegen wie auch die direkte Demokratie. Über 160 Bürgerbegehren gegen Privatisierung wurden in Deutschland initiiert, immerhin 32 hatten Erfolg. Doch sogar ein erfolgreicher Volksentscheid wurde in Hamburg vom Senat ignoriert. In Leipzig gilt der Privatisierungsaufschub zunächst für drei Jahre.
Failed Privatisations – Effizienz- und Profitabilitätskrise
Eine veritable Legitimationskrise der Privatisierung nährt sich nicht zuletzt aus den zahlreichen fehlgeschlagenen Privatisierungen der Vergangenheit: am bekanntesten sicher das Desaster bei der englischen Bahn, dessen Netz am Ende wieder vom Staat übernommen wurde. Immer häufiger kommt es zu Deprivatisierung bzw. Rekommunalisierung von Müllabfuhr, Wasserwerken, Stromnetzen oder Wohnungen. Immerhin jede zehnte Stadt plant Privatisierungen wieder rückgängig zu machen. Dabei werden auch die Erwartungen der Investoren enttäuscht, die vom Wirbel und manchmal heftigen Widerständen überrascht sind, um Image und Profite fürchten. Zwar verkauften in den vergangenen Jahren Kommunen ganze Bestände städtischer Wohnungen an große internationale Private Equity Fonds, die versprachen sich langfristig zu engagieren, soziale Standards zu beachten und dennoch die Rendite zu vervielfachen. Doch Giganten wie Cerberus stießen nach kurzem Engagement ihre Neuerwerbung ab, weil sich augenscheinlich doch nicht so schnelle und hohe Rendite heraus pressen ließ: tausende renitenter Mieter, oft auch Alte oder Kranke, und mühseliges Hausverwaltungsgeschäft passen nicht zur beschleunigten, glamourösen Welt der internationalen Finanz. Der Staat muss immer wieder bei gescheiterten Privatisierungen einspringen. Die Staatsintervention wird nötig, um die Schulden bankrotter Unternehmen zu übernehmen und die Bereitstellung wesentlicher öffentlicher Güter zu gewährleisten. Daher gehen Investoren von dem Versuch einer direkten Leistungserbringung und Kontrolle mehr und mehr zu Strategien der Inwertsetzung über Finanzialisierung und Public-Private-Partnerships über, zum Beispiel im Bereich der Wasserver- und -entsorgung: „Investmentfonds wollen kein Wasser managen, sondern Geld“, meint der belgisch-kanadische Politologe Eric Swyngedouw. Angesichts der enormen infrastrukturellen Anforderungen, lassen sich gerade in Ländern des ‚globalen Südens‘ mit dem Wasser keine angemessenen Profitraten erzielen, ohne dass staatliche Subventionen notwendig werden. „Dann“, schreibt Marx in den Grundrissen, „wälzt das Kapital“ die Bereitstellung entsprechender Reproduktionsbedingungen „auf den Staat“ ab (MEW 42, 437). Entsprechend plädierte bereits Adam Smith dafür, dass solche „öffentlichen Güter“ von staatlicher Seite zur Verfügung gestellt werden müssen.
Auf den ersten Blick scheint die große Zeit der Privatisierung am Ende. Das Interesse der Investoren beschränkt sich auf profitable Filetstücke. Die Kommunen schauen bei Privat-Public-Partnerships, der weniger sichtbaren, aber expandierenden Form der Privatisierung, genauer hin. Der Staat – die USA, wie Spanien, Italien, natürlich Frankreich und nun auch Deutschland – sucht in ’strategischen‘ Bereichen unliebsame ausländische Konkurrenten aus den Nachbarländern oder ‚dubiose‘ Staatsfonds aus China und dem Nahen Osten von Übernahmen abzuhalten. Der Spiegel (1/2008) urteilte: „Die Privatisierung und Liberalisierung, wie sie der Politik einst vorschwebte, ist gescheitert.“
Krise, doch kein Ende der Privatisierungen
Dennoch werden die nächsten Runden der Privatisierung bereits vorbereitet. Die Privatisierung von Krankenhäusern funktioniert – aus Sicht ihrer Befürworter, über ein Viertel ist bereits in Besitz von Konzernen wie Vivantes oder Asklepios – 2015 sollen es 40 bis 50 Prozent sein. Sie erwirtschaften wachsende Profite, die mit deutlich sinkender Qualität (für Normalversicherte) und höherer Arbeitsbelastung bei sinkenden Reallöhnen erkauft werden, so Jane Lethbridge von der Londoner Privatisierungs-Forschungsgruppe PSIRU. Trotzdem werden auf Seiten des Gesundheitssystems nur 0,07 Prozent der Kosten eingespart. Kein gutes ‚Geschäft‘ für die Allgemeinheit. Entsprechend nehmen die Proteste gegen Privatisierungen zu. In Großbritannien nimmt die Labour-Regierung bereits Abstand von der weiteren Privatisierung der staatlichen Health Care. Werner Raza spricht von der dritten Welle des Protests – es fällt den Neoliberalen zunehmend schwerer die Segnungen der Privatisierung zu propagieren, nicht zuletzt angesichts einer wachsenden Zahl kritischer internationaler Studien der Privatisierungsfolgenabschätzung.
Doch die Stadt Hamburg beispielsweise hat schon vor einiger Zeit detailliert alle ihre öffentlichen Vermögenswerte erfasst, um vom Hafen bis zum letzten Denkmal alles auf den Markt werfen zu können. Den kommunalen Vermögensbestand zu erfassen ist mittlerweile Pflicht. Jede dritte Großstadt plant weiterhin Privatisierungen. Auch Wohnungsprivatisierungen bleiben im Trend. Insgesamt nahm Deutschland 2006 mit Frankreich und knapp 9 Mrd. € Privatisierungserlösen den Spitzenplatz in Europa ein und wird in wohl auch 2007 behalten: denn die Regierung sieht „als ordnungspolitisch gebotenen Weg“, den „Staat weiter zu verschlanken“, auch gegen den Willen der Bevölkerung.
Doch der Wille der Bevölkerung ist nicht so eindeutig: Laut Forsa befürwortet eine überwältigende Mehrheit von über 90% den Verbleib von Justiz, Polizei und Feuerwehr in staatlicher Hand, ebenso wie von Finanzverwaltung, Schulen und Hochschulen sowie der Rentenversicherung. Dies gilt mittlerweile auch für die Deutsche Bahn: 46% meinen, die Leistungen der Bahn hätten sich durch deren formelle Privatisierung (die Bahn ist immer noch im Besitz des Staates) verschlechtert und die Preise erhöht. Die reelle Privatisierung durch Verkauf an private Investoren oder Börsengang wird daher abgelehnt. Durch den Verbleib der Bahn im öffentlichen Eigentum wäre eine politische Kontrolle zumindest potenziell möglich. Doch eine Mehrheit denkt auch, Theater und Museen, die Müllentsorgung, der öffentliche Nahverkehr, die Energieversorgung und sogar die Arbeitsämter könnten privatisiert werden. Dem smithschen Argument folgend, ist für den Alltagsverstand ein öffentliches Gut eben nur die Ausnahme, von der ansonsten gut funktionierenden marktförmigen (kapitalistischen) Produktion.
Deprivatisierung und die Rückkehr des Öffentlichen
Zusammengefasst: Für weitere Privatisierungen ist nur noch eine Minderheit von 16%, und Deprivatisierungen halten bereits 28% für sinnvoll – ohne sich freilich davon eine deutliche, zielgerichtete Vorstellung zu machen. Das allerdings hat auch damit zu tun, dass die Linke gleichfalls keine ausgearbeitete, überzeugende Alternative entwickelt hat. Forderungen wie ‚Wasser ist keine Ware‘ beispielsweise befördern die Mythenbildung von links. Wasser war schon seit langem eine Ware, die auch bei staatlicher Bereitstellung bezahlt wurde, schärft Eric Syngedouw ein – ein bezahlbarer Zugang zu Wasser für alle ist nicht gleichbedeutend mit der Warenform. Auch einfache Forderungen nach Re-Verstaatlichung überzeugen nicht: Werner Rügemer erinnert, dass Staatseigentum wahrlich kein Garant für die Gewährleistung des Gemeinwohl ist. „Der Staat ist vielmehr ein Akteur der Privatisierung.“ Umso mehr, wenn er nicht nur aktiv Eigentum veräußert, sondern wenn staatseigenen Unternehmen selbst Profitmaximierung und Wettbewerbsfähigkeit als leitende Maxime verordnet werden, an Qualität und Löhnen der Beschäftigten sparen, wie die Beispiele von Bahn, Energieversorgern oder Müllbeseitigung zeigen. Reine Re-Verstaatlichungsstrategien ohne eine weitgehenden Demokratisierung, Dezentralisierung und Effektivierung des Öffentlichen mit Blick auf die Bedürfnisse der Nutzer und der unmittelbaren Produzenten greifen zu kurz. Ansätze einer entsprechenden Optimierung von Leistungen und Arbeitsabläufen gibt es etwa bei der Kommunalverwaltung in Freiburg – mit günstigeren Preisen sowie positiven Effekten für kommunalen Haushalt, erläutert Tim Engartner. Überzeugender linker Politik muss die Vermeidung des Rückfalls in autoritäre Staatsgläubigkeit gelingen. Doch die Kampagnen zur Deprivatisierung aktualisieren Fragen der Verteilung von Macht und Reichtum, rücken die gute alte Frage nach den Eigentumsverhältnissen wieder ins Zentrum politischer Auseinandersetzung, ebenso wie Fragen nach dem Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft. Weitreichende soziale Kämpfe für Deprivatisierungen wie in Bolivien führen bereits zu neuen, partizipativen Steuerungsformen sog. öffentlicher Güter. Doch um die Entwicklung von Alternativen in Europa ist es noch nicht gut bestellt. Daher gilt, so Werner Rügemer: „Die Mythen glaubt keiner mehr, aber das Projekt der Privatisierung wird fortgeführt“. Es ist Zeit für konkrete Alternativen.
*Zitate stammen von der 5. Jahreskonferenz des internationalen Netzwerks ppg (privatisation – public goods) im Dezember 2007: www.wem-gehoert-die-welt.de.
Politologe, aktiv im ppg-Netzwerk und Referent für Kapitalismuskritik bei der Rosa Luxemburg Stiftung.
[…] Mario Candeias, http://www.wemgehoertdiewelt.de [EXT. LINK →], Feb. […]