Der Teufelsberg, eine riesige Schuttdeponie der im Krieg zerstörten Häuser, ist eine Art Denkmal für den Niedergang des «Dritten Reichs». Ausgerechnet hier will sich eine Institution einrichten, die nebst der Transzendentalen Meditation auch der «Unbesiegbarkeit» Deutschlands huldigt.
Als der Trümmerberg Anfang der 1960er Jahre aufgeschüttet war, wurde er mit einer Höhe von 115 Metern zur höchsten Erhebung Westberlins. Von keinem Ort liess sich der Osten besser aushorchen, und so bauten die Amerikaner hier die modernste Abhöranlage der Welt. Drei geheimnisvolle weisse Kugeln ragen auf gedrungenen Türmen in den Himmel – ein Stück altmodischer Futurismus wie aus einem James-Bond-Film. Seit 1993 ist die Station verlassen. Überall liegen Scherben und Kabel, herausgerissene Rohre, zerschlagene WC-Schüsseln; wie ein Splitterteppich hängt kugelsicheres Glas aus einem Fensterrahmen. Der Wind heult durch die Türme. Er bringt Klänge hervor, die man noch nie gehört hat. «Resort Teufelsberg Berlin», verspricht eine lädierte Tafel an der Einfahrt. «Lofts mit Panoramablick» – «Fertigstellung Herbst 2002».
Unterschrift in der Limousine
Es wäre ein perfektes Setting für einen Film von David Lynch. Er soll den Teufelsberg gekauft haben, doch nicht als location für Dreharbeiten, sondern für eine «Universität des unbesiegbaren Deutschland», die im Namen der Transzendentalen Meditation gebaut werden soll. Die öffentliche Vorstellung des Projekts in der Urania geriet allerdings zum Eklat. Der deutsche «Raja» Emmanuel Schiffgens war in weissem Gewand und goldener Krone erschienen. Er forderte das Publikum auf, dreimal «Unbesiegbares Deutschland» zu sagen, und als er auf Zurufe hin meinte, dass Hitler bedauerlicherweise die Techniken der Unbesiegbarkeit gefehlt hätten, liess sich das Publikum auch von David Lynch kaum mehr beruhigen. Doch die PR-Schlappe hat das sonnige Selbstbewusstsein des Rajas nicht getrübt. Bereitwillig erzählt er am Telefon, wie der Kauf vonstattenging. «Haben Sie etwas, wo ich morgen einen Grundstein legen kann?», habe Lynch ihn in der Präsidentensuite des Hotels Adlon gefragt. Ein Anruf genügte, und der verkaufswillige Besitzer des Teufelsbergs fuhr sofort von Bad Pyrmont nach Berlin. In aller Eile habe der Notar einen Vertrag aufgesetzt. «Den haben wir uns dann in der Limousine auf dem Weg zur Urania vorlesen lassen. Als wir ausstiegen, hatten wir den Teufelsberg gekauft!» Der Grundstein wurde noch in der Nacht gelegt.
Die Sache hat allerdings einen Haken. Nachdem der bisherige Eigentümer die Baugenehmigung hatte auslaufen lassen, wurde das Grundstück vom Bezirksamt Charlottenburg wieder in eine Waldfläche umgezont, auch unter politischem Druck, denn Anwohner hatten gegen das «Millionärsghetto» protestiert. Das Bezirksamt liess umgehend verlauten, dass eine erneute Umzonung nicht zur Debatte stehe. «Die haben unsere Bauunterlagen noch nicht gesehen!», meint Schiffgens. Er spricht von weissem Marmor und nennt für die 24 000 Quadratmeter grosse Universität eine Bausumme von 120 Millionen Euro. «In Deutschland gibt es hundert Milliardäre, und einige von ihnen interessieren sich für Transzendentale Meditation. Geld spielt keine Rolle.»
Schiffgens ist von der nationalen Bedeutung der Universität überzeugt. Tausend yogische Flieger sollen am Morgen und am Abend gemeinsam fliegen («Das sind so Hopser») – dies würde, durch eine Steigerung der Kohärenz im nationalen Bewusstsein, den Staat Deutschland unbesiegbar machen. Für den Fall, dass sich der Baustadtrat von Charlottenburg trotz allem nicht umstimmen liesse, bliebe immer noch ein Aussichtsturm, den darf man nämlich auch auf einer Waldfläche bauen. «Ich habe dem Bundespräsidenten kürzlich bereits einen vorgeschlagen, als Denkmal für die deutsche Einheit.» Und was soll mit der Ruine der Abhörstation geschehen? «Darüber haben wir noch gar nicht gesprochen.»
Am Eingang mühen sich zwei Männer damit ab, das rostige Tor aufzuschieben. Es sind Künstler aus Belgien, die das Gelände für einen Tag gemietet haben, um im grossen Turm Tonaufnahmen zu machen. Nico Dockx arbeitet an einem grossangelegten Kunstprojekt über Klang und Architektur. Er hat als DAAD-Stipendiat in Berlin gelebt und war von der verfallenden Abhörstation fasziniert. Während Jahren war das Gelände kaum gesichert. Jugendliche benutzten die Ruine als Abenteuerspielplatz, Kleinfamilien als Attraktion für den etwas anderen Sonntagsspaziergang. An dicken Tresortüren baumeln mehrere Schlösser – eine Erinnerung daran, dass man sich auf dem bestbewachten Gelände des einstigen Westberlin befindet. Im Internet tauschen sich Veteranen der «Berlin Field Station» aus. Sie schwärmen von «currywurst und pommefrit» und «days at the wannsea». Ob das «hanhel ekc (spelling?)» noch existiere? Und die Bar mit «blow-job Annie» und «Dirty Gerty»? Seit einiger Zeit wird der Zaun zwar regelmässig geflickt, doch die Vermietung für Filmaufnahmen und Partys hat der Ruine den Rest gegeben. Aus einem Denkmal des Kalten Kriegs ist ein Stück verwüstetes, mit Müll übersätes Brachland geworden.
Ausgeklügelte Akustik
Wir steigen die stockfinstere Betontreppe hoch in das grösste der Radoms, wie die weissen Kugeln genannt werden. Man muss aufpassen, dass man nicht über die Verankerungen der Radarschüsseln stolpert, die Funksignale bis tief in den Warschauer Pakt hinein abfingen. In die wabenförmigen Platten der Aussenhaut sind Löcher geschnitten – der Blick ist atemberaubend. Wenn man etwas sagt, erschrickt man über die eigene Stimme, die von der ausgeklügelten Akustik verstärkt wird; auch Geräusche von unten hört man in glasklarer Deutlichkeit. Die Musiker experimentieren mit Elektrogitarren. Wie unheimlich es vom Turm durch den Grunewald schallt, merken wir erst auf dem Heimweg.
Sieglinde Geisel, NZZ, 22.12.07