Vom Kleinkrieg um Bürgerbegehren und -entscheide

Hinweis auf eine interessante Gerichtsentscheidung aus der attac-privatisierungs-Liste, „Schwere Klatsche für Verwaltungsgericht“:
2006+2007 waren schlimme Jahre für Bürgerbegehren und -entscheide in NRW. Vielerorts wurden die erfolgreichen Bürgerbegehren mit unsäglich bürokratischen Argumenten einfach für unzulässig erklärt, ob in Mülheim zum Verkauf der Ostruhranlagen, in Oberhausen zur Bäderschließung, in Hattingen zu Schulschließungen und in Düsseldorf zum Verkauf eines Grundstücks am Golzheimer Friedhof. Die Begründungen grenzten z.T. an intellektuelle Beleidigung für die Bürger wie in Oberhausen oder Hattingen.
Es ist aber auch in sich widersinnig, dass die Stadträte über die Zulässigkeit von Bürgerbegehren entscheiden, welche sich im Normalfall gegen Entscheidungen genau dieser Räte richten. Die bestätigen dann mit der Nichtzulässigkeit ihre vorherige Entscheidung. Und die Bürokraten klemmen sich dafür scheinjuristische Argumente aus den Hüften.
Unabhängig von diesem Anachronismus hat sich eine absolute Respektlosigkeit der sog. „Stadt“ gegenüber den Bürgern eingebürgert deshalb, weil ja Unterschriftensammlungen und selbst zulässige Bürgerbegehren keine aufschiebende Wirkung haben.
Diejenigen, die sich als Stadt definieren – man denke an unsägliche Aussprüche von Frau OB Mühlenfeld (s.u.) oder Rechtsdezernent Dr. Steinfort letztes Jahr („Die Stadt kann doch nicht im Sinne eines Bürgerbegehrens beraten, wenn dieses den Interessen der Stadt widerspricht“) – schaffen einfach Fakten, um Bürgerentscheiden den Boden zu entziehen, auch wenn es dafür keinen zwingenden Grund gibt. Auch der Düsseldorfer OB Erwin macht das mit Vorliebe, so z.B. als er letzes Jahr Anteile der Stadtwerke schnell an EnBeWe verkaufte, obwohl mehr als genügend Unterschriften zur Erneuerung des abgelaufenen und erfolgreichen Bürgerentscheids gegen genau diesen Verkauf beisammen waren. Das gleiche in Mülheim in 2003 zum Ruhrbania-Wettbewerb, aber auch letztes Jahr zur Ruhrbania-Projekt-Entwicklungsgesellschaft (entgegen dem gültigen Bürgerentscheid aus 2005!) und in Duisburg ähnliches zum Verkauf der Krankenhausanteile.
Auch zum Golzheimer Friedhof tat OB Erwin dies erneut, dieses Mal per Dringlichkeitsbeschluss – dieser auch in Mülheim zum Alltag gewordenen mißbräuchlich genutzten Ausnahmeregelung für Notfälle. Diese geradezu absolutistisch anmutetenden Aktionen demonstrieren, was Frau Mühlenfeld meinte, als sie sagte: „Wir sind gewählt und machen, was wir wollen, egal wieviele Bürger dagegen sind“.
Und wie in allen anderen Fällen gab das Verwaltungsgericht Düsseldorf den Neo-Berlusconis von Rhein&Ruhr recht. Ganz schlimm war es in Oberhausen, wo die VG-Richter die Klageführer sogar persönlich derart unter Druck setzten, bis die ihre Klage eigenmächtig zurückzogen und 18.000 Unterschriften den Rechtsweg entzogen, nur weil der Richter am Telefon darauf insistierte, sie hätten eh keine Chance.
Genausowenig Chancen hatten alle anderen Klagen zu Bürgerbegehren bei diesem VG Düsseldorf. Der Richter zu der Mülheimer Klage sagte ja auch sinngemäß, das Bürgerbegehren wolle eh nur die Ruhrbania-Pläne von Stadtrat und Stadtspitze stören. Mit der Prämisse waren dann alle anderen Argumente nebensächlich und einfach unterzuordnen.
Genauso war das VG auch mit OB Erwins Grundstücksverkauf umgegangen. Doch das OVG rückte jetzt nicht nur diese enorm bürgerfeindliche Rechtsprechung zurecht, es erteilte auch den Machiavellis a la Erwin oder Mühlenfeld Nachhilfe in Demokratie und Anstand. Das gesamte Urteil ist lesenswert (siehe Anhang)
Im folgenden 2 Zitate daraus, die an Deutlichkeit kaum zu überbieten sind: Einmal von S. 4 zur Frage dessen, ob Grundstücksverkauf zu einem Bebauungsplanverfahren gehört: Dabei werden Steinforts ausführliche Reden und Schriften dazu offiziell beerdigt!
Zum 2. auf S. 9 zur Illegitimität des Faktenschaffens zur Aushebelung von Bürgerbegehren: „Das vom Gesetzgeber vorgegebene Institut des Bürgerbegehrens bedarf in Sonderfällen wie dem vorliegenden gerichtlichen Schutzes davor, dass eine Gemeinde die ihr eröffneten zügigen Entscheidungsmöglichkeiten sachwidrig und einseitig zu Lasten des ohnehin in der Entscheidungsfindung langwierigeren Bürgerbegehrens ausnutzt.“
Eine schwere höchstrichterliche Klatsche sowohl für die OB`s, die sich zusehends wie Sonnenkönige verhalten, als auch für das ach so verwaltungsfreundliche VG Düsseldorf!

Aus dem Urteil: Oberverwaltungsgericht NRW, 15 B 1744/07 vom 06.12.2007 Aktenzeichen: 15 B 1744/07 Vorinstanz: Verwaltungsgericht Düsseldorf, 1 L 1751/07, das anders entschieden hatte (wie gehabt!)

Urteil: „Der angegriffene Beschluss wird mit Ausnahme des Streitwertbeschlusses geändert: Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, unverzüglich die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens „Rettet den H. Friedhof“ festzustellen.“ Dieser Beschluss ist unanfechtbar.Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsgegner, die Stadt Düsseldorf.

Zitate

von S.4: „Dem Recht des Bürgerbegehrens in Nordrhein-Westfalen kann nicht entnommen werden, dass den Bürgern keine Entscheidung darüber zustehen soll, ob ein bauplanungsrechtlich ermöglichtes Vorhaben unter Einsatz eines städtischen Grundstücks verwirklicht wird. Das gilt schon deshalb, weil Bauleitplanung grundsätzlich Angebotsplanung ist. Darüber hinaus kann die Verwirklichung einer bauplanungsrechtlich ermöglichten Baumaßnahme von vielfältigen Einzelumständen abhängen (z.B. städtische Entscheidung über die Durchführung als eigenes Bauvorhaben, Förderung fremder Bauvorhaben durch Grundstücksveräußerung, Subventionierung, Bereitstellung von Ausgleichsflächen, zusätzliche Erschließung oder sonstige begleitende Maßnahmen).“

und S. 9: „So bleibt bei lebensnaher Betrachtung des Vorgangs als alleiniger nachvollziehbarer Grund für den Kaufvertrag am 15. Oktober 2007 übrig, dass das einzig reale Risiko für die Verwirklichung des Vorhabens, nämlich die Sperrwirkung eines zugelassenen Bürgerbegehrens und erst recht ein erfolgreicher Bürgerentscheid, durch Schaffung vermeintlich endgültiger, eine Entscheidung über den Verbleib des Eigentums ausschließender Zustände beseitigt werden sollte. Genau dies ist kein legitimer Grund. Der Respekt vor dem – verfassungsrechtlich nicht vorgeschriebenen, aber gesetzlich begründeten – Institut des Bürgerbegehrens hätte es geboten, die Möglichkeit der Entscheidung der Bürger, ob das städtische Grundstück für die geplante Bebauung hergegeben werden soll, zu akzeptieren und für eine solche Entscheidung offensiv zu werben statt zu versuchen, sich durch überstürzte Vertragskonstruktionen dem Votum der Bürger zu entziehen. So hätte binnen kurzem und weit vor dem Endtermin zur inneren Wirksamkeit des Vertrages am 30. September 2008 verfahrensrechtlich legitimierte Klarheit geschaffen werden können.
Das vom Gesetzgeber vorgegebene Institut des Bürgerbegehrens bedarf in Sonderfällen wie dem vorliegenden gerichtlichen Schutzes davor, dass eine Gemeinde die ihr eröffneten zügigen Entscheidungsmöglichkeiten sachwidrig und einseitig zu Lasten des ohnehin in der Entscheidungsfindung langwierigeren Bürgerbegehrens ausnutzt. Deshalb reicht es für die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens hier aus, dass die Möglichkeit einer Entscheidung über den Eigentumsverbleib als Ziel des Bürgerbegehrens zwar nicht – wie grundsätzlich zu fordern – feststeht, aber jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann.“

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