Frankreich: Belegschaft der Reederei SNCM beendet Streik, um Liquidierung abzuwenden
Die französische Regierung hat die Machtprobe mit den streikende Beschäftigten der staatseigenen Fährrederei SNCM für sich entschieden. Den Gewerkschaften bleiben nur Drohungen gegenüber den neuen Eignern.
Angesichts der drohenden Liquidierung der Fährgesellschaft SNCM hat die Belegschaft ihren Streik gegen die Privatisierung nach 24 Tagen abgebrochen und am Wochenende die Arbeit wieder aufgenommen. »Die Beschäftigten haben damit Verantwortungsgefühl bewiesen, ganz im Gegensatz zur Regierung«, erklärte Jean-Paul Israël, Vorsitzender der CGT-Seeleutegewerkschaft. Tatsächlich war Premierminister Dominique de Villepin in diesem ersten ernsten Sozialkonflikt seiner Amtszeit offensichtlich fest entschlossen, in den nächsten Tagen vor Gericht die Zahlungsunfähigkeit der Staatsreederei erklären zu lassen, sollten die Seeleute nicht einlenken – ein einmaliger Vorgang.
Die SNCM war 1976 gegründet worden, als private Fährreedereien nicht mehr in der Lage waren, die Kontinuität des Verkehrs zwischen der Mittelmeerinsel Korsika und dem französischen Festland zu sichern. Mit zuletzt zehn Schiffen – Fähren für Passagiere und Autos sowie Ro-Ro-Frachtern für den Transport von Lastwagen und Containern – fuhr die SNCM regelmäßig Korsika, Algerien und Tunesien an. Da sich die staatseigene Reederei anders als die private Konkurrenz nicht auf die lukrativsten Strecken und Zeiten beschränken konnte, sondern alle Tage und rund um das Jahr fahren musste, summierte sich mit den Jahren das Defizit.
Suche nach Investoren
Den regelmäßigen Ausgleich durch den Staat lässt aber jetzt Brüssel nicht mehr zu – mit der Begründung, »gleiche Wettbewerbsbedingungen« auf dem seit 1992 offenen Markt zu garantieren. Anfang dieses Jahres kündigte Verkehrsstaatssekretär François Goulard an, Paris wolle das Kapital der Reederei öffnen. Nach seinen Angaben wurden mehr als 60 Unternehmen kontaktiert. Nur zwei zeigten Interesse: der Investmentfonds des Franko-Amerikaners Walter Butler und die Finanzgesellschaft Caravelle. Beide sind dafür bekannt, dass sie wirtschaftlich angeschlagene Unternehmen übernehmen, um sie dann mit Brachialgewalt zu »sanieren« und später mit sattem Gewinn weiterzuverkaufen. Die Regierung entschied sich für Butler, der eine komplette Übernahme wollte. Als die SNCM-Beschäftigten Mitte September vor vollendete Tatsachen gestellt wurden, reagierten sie mit Streik und Besetzung im Hafen liegender Schiffe. Eins wurde später sogar von Mitgliedern der korsisch-nationalistischen Gewerkschaft STC von Marseille nach Bastia »entführt«. Diese Aktion, von der sich die CGT distanzierte, bot der Regierung den willkommenen Vorwand, das Schiff durch ein per Hubschrauber abgesetztes Antiterrorkommando medienwirksam »zurückzuerobern«.
In den Verhandlungen mit der Gewerkschaften sicherten Verkehrs- und Wirtschaftsminister zu, dass der Staat 25 Prozent der Anteile der SNCM behält und 5 Prozent der Belegschaft überlassen werden. Doch die Beschäftigten bestanden auf einer Mehrheit des Staates. Das letzte Angebot der Regierung war eine Aufstockung des Belegschaftsanteils auf neun Prozent, womit Staat und Beschäftigte zusammen über eine Sperrminorität von 34 Prozent verfügen würden. Butler würde mit 38 Prozent einsteigen und 28 Prozent an das französische Verkehrsunternehmen Connex gehen. Um die SNCM wieder flott zu machen, sollte ihr Kapital um 35 Millionen Euro aufgestockt werden – zu 25 Prozent vom Staat und zu 75 Prozent von den neuen privaten Teilhabern. Allein dafür sollen sie zwei Drittel der Reederei bekommen, deren zehn Schiffe Experten zufolge allein schon 400 Millionen Euro wert sind.
Staat bezahlt Sozialplan
Der Staat soll ferner die Schulden – 131 Millionen Euro – tilgen und die Kosten des Sozialplans für 400 Beschäftigte übernehmen; auf deren Entlassung hatten Butler und Connex bestanden. Das ist hart für die Betroffenen«, meint CGT-Gewerkschafter Israël. »Den künftigen Hauptaktionären wünsche ich viel Freude mit ihrer Neuerwerbung, denn wir werden wachsam und kampfentschlossen bleiben.«
Von Ralf Klingsieck, Paris
Quelle: Neues Deutschland, 17.10.05
>>> http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=79558&IDC=3